18. Juni 2025
Diese neuartige KI aus Schweden soll Robotern ein künstliches Nervensystem verpassen

Das schwedische Start-up IntuiCell möchte die Art und Weise, wie Roboter lernen und gesteuert werden, verändern. Dazu entwickelt es ein digitales Nervensystem und ein virtuelles Gehirn. So sollen Maschinen den Umgang mit ihrem Körper und die Interaktion mit der Welt erlernen, wie es Menschen und Tiere tun. Laut Firmenchef werde dadurch die Grundlage für eine Welt mit synthetischen Lebewesen geschaffen.
Von Michael Förtsch
Auf den ersten Blick sieht der Roboterhund Luna nicht sonderlich spektakulär aus. Er hat vier Beine, einen schlanken, dosenartigen Korpus und einen Kopf mit Laserscanner, Kamera und Beschleunigungssensoren. Solche Robo-Hunde sind mittlerweile keine Seltenheit mehr. Bereits für einige Tausend Euro kann man sie im Internet kaufen, meist von chinesischen Robotikfirmen. Tatsächlich ist der Robo-Hund des schwedischen Start-ups IntuiCell ein solches Modell: ein GO2-Pro-Robot-Dog-Modell von Unitree, das für 3.500 Euro zu haben ist. Doch abseits des sichtbaren Äußeren soll Luna nur noch wenig mit dem Robo-Vierbeiner gemein haben, der ursprünglich aus dem Lieferkarton kam. Laut IntuiCell-Chef Viktor Luthman stellt Luna nämlich den Beginn einer Revolution in der Robotik dar. Eine Revolution, die in eine futuristische Blade-Runner-Zukunft führen könnte. „Wenn es nach mir geht, werden wir irgendwann eine Welt voller digitaler Kreaturen in allen möglichen Formen haben”, prophezeit Luthman. „Eine Welt, die radikal anders sein wird als unsere.“

Möglich werden soll das alles durch eine neue Herangehensweise bei der KI-gestützten Steuerung von Robotern. Bislang findet diese vor allem durch KI-Modelle statt, die vortrainiert sind. Das bedeutet, dass KI-Systeme mit riesigen Datensätzen gefüttert und durch unzählige Simulationen geschickt werden. Anschließend werden die fertigen und unveränderlichen Modelle in einen Roboter implantiert. Das hat durchaus seine Vor-, aber auch Nachteile. „Der Moment, in dem sich eine unvorhergesehene Herausforderung ergibt, ein Terrain oder ein Hindernis erscheint, das nicht in den Trainingsdaten enthalten war, oder sich ein Motor anders als erwartet verhält, ist das System überfordert“, sagt Luthman. „Denn diese klassische KI ist starr und nicht fähig, sich auf Unbekanntes einzustellen und in Echtzeit dazuzulernen.“
Denn diese klassische KI ist starr und nicht fähig, sich auf Unbekanntes einzustellen und in Echtzeit dazuzulernen.
Doch aus Sicht des Ingenieurs Viktor Luthman müssen Roboter – und auch andere Maschinen –genau das können, wenn sie wirklich nützlich sein und der Menschheit dabei helfen sollen, sich weiterzuentwickeln. Die Lösung? Das derzeit noch kleine Forschungs- und Entwicklungsteam von IntuiCell ist der Meinung, dass sie nicht in den derzeit so gehypten Sprach- oder Multimodalmodellen liegt, sondern in der Natur – aber nicht nur. „Vereinfacht gesagt entwickeln wir ein System, das selbstständig lernt, indem es mit seiner Umwelt interagiert und seinen Körper erforscht“, sagt Luthman. „Also im Grunde genauso, wie Tiere und Menschen lernen: Embodied Learning. Dabei ist unser System nicht nur von Tieren inspiriert, sondern auch von neuen Erkenntnissen der Neurophysiologie.“
Hirnforschung als Basis für Künstliche Intelligenz
Das Start-up IntuiCell ist kein brandneues Unternehmen, sondern wurde bereits vor rund vier Jahren von einer Forschergruppe der Lund University ausgegründet. Das Ziel? Rund 30 Jahre neurowissenschaftlicher Forschung zum Gehirn und technischer Forschung zum digitalen Denkvermögen in eine brauchbare Technologie umzusetzen. Dazu gehören Erkenntnisse zum Reizsignaltransport zwischen Synapsen, den neuronalen Feuereigenschaften in Neuronen und der Ganzkörperkoordination zur Selbsthilfe bei der Fortbewegung. „Das waren radikale Erkenntnisse darüber, wie das Gehirn die Welt begreift“, sagt Luthman, der mit Premune bereits zuvor ein Forschungs-Start-up im Bereich der Immunologie aufgebaut hatte und von der Forschergruppe zu IntuiCell dazu geholt wurde. „Sie hatten eine spannende Idee, wie eine Künstliche Intelligenz nach Vorbild des menschlichen Verstandes gebaut werden könnte. Eine absolute Science-Fiction-Vision. Das hat mich begeistert!“
Die konkrete Idee? Anstatt einem Roboter eine fertige KI-Software zu implementieren, soll er mit einem künstlichen Nervensystem und später auch einem Kortex ausgestattet werden. Luna ist der erste große Schritt in diese Richtung. Es ist der erste Roboter, der über ein solches Nervensystem verfügt. Dieses ist wiederum aus ebenso künstlichen Neuronen zusammengesetzt, die jedoch deutlich komplexer sind und anders funktionieren als jene, die hinter dem Training klassischer KI-Modelle stehen. „Wir haben unsere eigenen Neuronen basierend auf unserem Verständnis der Neurophysiologie konzipiert”, sagt Luthman. „Der Aufbau dieser neuronalen Netze ist also anders, die Neuronen und die Synapsen, die Art und Weise, wie sie kommunizieren, sind anders. Der Lernalgorithmus ist anders. Wir haben die Art und Weise, wie Sensoren als Übersetzungsschicht arbeiten, um Daten in das System einzugeben, völlig neugedacht.“
Die genauen Details seien schwer zu erklären und die präzise Funktionsweise natürlich auch ein Firmengeheimnis, meint Luthman. Der Kern sei allerdings, dass das künstliche Nervensystem mehr tue, als nur Muster und statistisch relevante Daten aus Informationen zu destillieren und abzuspeichern. Die Neuronen könnten zudem „eigenständig Prioritäten setzen und Maßnahmen zur Lösung ihrer eigenen lokalen Probleme auswählen“. In der Folge sei es Luna bereits möglich, mit einem Prototypennetz aus einigen hundert digitalen Neuronen selbstständig zu lernen, ohne an ein KI-Modell in einer Cloud angebunden zu sein. Der Computer, der das Lernen ermöglicht, befindet sich im Robohund selbst. Ganz auf sich gestellt ist der elektrische Vierbeiner aber nicht.
Die Welt als Lernspielplatz
Zu Beginn war Luna wie ein unbeschriebenes Blatt Papier. Der Robohund hatte keinerlei Informationen über sich oder seine Umwelt erhalten. „Luna wusste nicht einmal, wie ihr Körper aufgebaut ist“, sagt Luthman. „Sie wusste nicht, dass sie vier Beine hat oder wie diese kontrolliert werden.“ Jedoch konnten die Forscher dem Roboter eine Mission vorgeben. Beispielsweise, einen Punkt im Raum zu erreichen. Daraufhin sendet der Roboter verschiedene Impulse aus, die etwa die Gliedmaßen in Bewegung brachten, und das Netz Daten von LIDAR und Kamera heranziehen ließen. Wie sich der Zustand in Relation zur Ausgangssituation veränderte, wurde vom virtuellen Nervensystem aufgenommen und verarbeitet. Dadurch lernt Luna nach und nach, wie die Beine bewegt, die Kraft moduliert, mit den Informationen der Sensordaten kombiniert und in eine gezielte Bewegung umgesetzt werden konnten. „Die Welt ist ihr Feedback-Loop“, sagt Luthman. „Aber das alles ist noch sehr einfach.“
Das aktuelle digitale Nervensystem von Luna sei lediglich ein „reflexives System“, das dem Rückenmark ähnele. „Es kann nicht planen oder denken, sondern reagiert auf sehr unmittelbare Probleme“, sagt Luthman. Einen Punkt im Raum zu erreichen, sei damit bereits möglich, aber wenig mehr. „In diesem Moment integrieren wir daher die nächste Komponente unseres digitalen Nervensystems, nämlich den Kortex“, sagt der Ingenieur. Dieser sei so etwas wie das „große Gehirn“, durch das Luna ein Intentions- und Kontextverständnis entwickeln soll. „Wenn wir Luna mit Gesten oder Körpersprache auffordern, etwas zu tun, oder wenn wir ihr einen Gegenstand zeigen, der sie neugierig macht, und ihn dann wegwerfen, würde sie verstehen, dass wir wollen, dass sie mit diesem Gegenstand interagiert.“ Daher hat das Team auch einen echten Hundetrainer engagiert, um Luna weiterzubilden. Wie lange es dauert, bis Luna eine neue Fähigkeit erlernt, sei unterschiedlich. Manchmal seien es nur Minuten. Manchmal dauere es etwas länger.
Wenn wir Luna mit Gesten oder Körpersprache auffordern, etwas zu tun, oder wenn wir ihr einen Gegenstand zeigen, der sie neugierig macht, und ihn dann wegwerfen, würde sie verstehen, dass wir wollen, dass sie mit diesem Gegenstand interagiert.
Wenn es nach dem Forscherteam von IntuiCell geht, würde durch diese Art der Ausbildung einer Künstlichen Intelligenz ein System geschaffen, das sowohl sehr robust als auch flexibel ist. Wenn Luna auf neue Herausforderungen stößt, kann sie auf bestehende Erfahrungen zurückgreifen und diese den neuen Gegebenheiten anpassen. Sei es, dass der Roboter nun auf Sand statt Asphalt laufen muss, ein Bein nicht mehr korrekt funktioniert oder er einen zusätzlichen Sensor auf dem Rücken geschnallt bekommt, der eine weitere Wahrnehmungsmöglichkeit, aber auch zusätzliches Gewicht darstellt. „Luna lernt fortwährend“, sagt Luthman. Ist eine Fähigkeit erst einmal erlernt, wird sie im neuronalen Netz gespeichert und kann dann in der Theorie auf baugleiche Roboter mit dem gleichen Aufgabenfeld kopiert werden.
Das System habe auch gezeigt, dass es etwa selbstständig in der Lage ist, „Anomalien zu erkennen“, wie etwa einen schleifenden Motor oder ein beschädigtes Gelenk – und diese zu melden oder zu adressieren, indem der Motor und das Gelenk weniger belastet oder abgeschaltet werden.
Die Kapazität und die Möglichkeiten dieser Praxis seien lediglich durch die Größe des neuronalen Netzes, die verfügbare Rechenleistung und die Komplexität des jeweiligen Roboterkörpers begrenzt. Und da sehen die Macher praktisch keine Grenzen. Ein digitales Gehirn mit einem ebensolchen Nervensystem könnte ebenso gut in einen einfachen Staubsaugerroboter integriert werden wie in einen humanoiden Körper mit zwei Armen und Beinen oder in eine riesige Fabrikanlage mit Dutzenden Transportbändern und Hunderten Roboterarmen. Aber auch in Smart Homes, Automobilen oder Bahnnetzwerken könnte es zum Einsatz kommen.
Der Ursprung einer neuen Spezies?
Statt selbst Roboter zu konstruieren, will IntuiCell das lieber anderen überlassen. Denn das Start-up versteht sich eigentlich nicht als Robotikunternehmen. Es sei kein Boston Dynamics, Figure, Apptronik oder Unitree und wolle auch keines sein. „Wir sind eher ein Infrastrukturanbieter. Wir entwickeln Software für die nächste Entwicklungsphase von Künstlicher Intelligenz“, erläutert Luthman. Die bereits etablierte Robotikfirmen sowie Start-ups in diesem Bereich sollen daher zu Partnern werden. Das Unternehmen möchte seine einzigartige KI-Software in Roboter dieser Firmen integrieren, um sie zu befähigen, mehr zu leisten als das mit aktuellen KI-Modellen möglich ist. Das Interesse daran sei durchaus vorhanden, und es gebe bereits erste Kooperationen.
„Wir sind gerade an einem Punkt angelangt, an dem wir unsere Architektur gemeinsam mit externen Partnern implementieren“, sagt der IntuiCell-Chef. „Wir haben alle wichtigen Bausteine zusammen – und sie funktionieren.“ Bis die ersten Roboter mit IntuiCell-Netzen auf den Markt kommen, wird es aber noch etwas dauern, wenn auch nicht mehr allzu lange. Denn natürlich müssten die Komponenten und Funktionalitäten noch erprobt, Fehler gefunden und Sicherheitsmechanismen implementiert werden. In etwas über einem bis zwei Jahren könnten aber die ersten Roboter mit einem künstlichen Nervennetz und Gehirn auf den Markt kommen, schätzt das schwedische Start-up. Dann sei die Technik wohl reif dafür. Wie der erste Roboter mit der Technologie aussieht? Das steht noch nicht fest.
Der IntuiCell-Chef Viktor Luthman sieht darin aber bereits jetzt eine mögliche Zeitenwende. Denn bei solchen Robotern handele es sich nicht mehr um einfache Maschinen, die vordefinierten Befehlen und Weisungen aus einem starren digitalen Modell folgen. Es wären vielmehr „synthetische Kreaturen“, die sich flexibel einer Situation anpassen können – in welchem Umfang auch immer. Sie würden dadurch „wie Menschen und Tiere, die durch Interaktion und Erfahrung lernen“. So würden über kurz oder lang neue Lebensformen und verschiedene digitale Spezies entstehen – sowohl welche, die tierischen Vorbildern gleichen, als auch welche, die exotische Formen besitzen. Diese artifiziellen Kreaturen würden zwar gebaut statt geboren, aber das würde nichts an ihrer Natur ändern. Menschen würden mit ihnen zusammenarbeiten statt sie nur als Werkzeuge oder Spielzeuge zu nutzen.
Laut Luthman würden sich durch solche synthetischen Lebewesen „Gesellschaft und Arbeit“ sowie die Welt als solche „auf dramatische Weise verändern“. Robotische Wesen würden selbstverständlich im Haushalt, in Fabriken und an anderen Orten arbeiten. „Menschen werden mit Maschinen zusammenarbeiten, um Probleme zu lösen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können“, sagt Luthman. Dies werde jedoch nicht über Nacht geschehen, sondern sei ein schleichender Prozess. Diese Transformation müsse eher früher als später adressiert werden. Denn ein solcher Wandel würde viele neue ethische, moralische und gesellschaftliche Fragen aufwerfen. „Wir brauchen dafür Regeln und Richtlinien“, sagt Lutman. „Es würde mich freuen, wenn wir mit den klügsten Köpfen der Welt darüber sprechen könnten. Wenn wir dabei helfen könnten, eine Vision für diese Welt zu entwerfen.“

Michael Förtsch
Leitender Redakteur
Weiter bei 1E9...

Überschrift 3
Cooler Artikel!

Überschrift 3
Artikel

Überschrift 3
Cooler Artikel!

Überschrift 3
Cooler Artikel!
3ef75288-d8d5-47b5-ac30-765d26b0ca4e
68530b3991fef63801b1e022
Dieser Robohund wurde ja schon drei Monate vor Erscheinen dieses Artikels vorgestellt. Gibt es seitdem interessante Fortschritte in dem Projekt? In dem Artikel kann ich das leider nicht erkennen. Danke!