14. November 2025
OpenAI greift Google an: Entfacht Künstliche Intelligenz einen neuen „Browser-Krieg“?

Noch ist der Chrome-Browser von Google für die Mehrzahl der Menschen das Tor zum Internet. Doch KI-Unternehmen wie OpenAI und Perplexity wollen das ändern – mit Browsern, in die KI-Chatbots voll integriert sind. Das setzt nicht nur etablierte Player wie Google, Microsoft oder Mozilla unter Zugzwang, es entwickelt sich auch eine Gegenbewegung unabhängiger Browser-Projekte. Die nächste Runde im Browser-Krieg könnte damit gerade beginnen.
Von Michael Förtsch
Ende Oktober hat OpenAI mit Atlas einen eigenen Browser vorgestellt – der zunächst nur für den Mac verfügbar ist. Die Ankündigung war an sich nicht sonderlich überraschend. Bereits Monate zuvor hatte die KI-Firma ihre Ambitionen durchscheinen lassen. So hatte ein OpenAI-Mitarbeiter im Kartellverfahren gegen Google ausgesagt, die mit Milliarden an Investorengeldern ausgestattete Firma könne sich vorstellen, den Chrome-Browser zu übernehmen, falls Google gezwungen würde, ihn auszugliedern. Google beherrscht mit Chrome aktuell über 70 Prozent des Browser-Markts und bindet über Nutzer damit direkt in das Google- und Datensammel-Ökosystem ein. Kurz darauf machten Gerüchte die Runde, OpenAI arbeite bereits an einem eigenen Browser, der Chrome mit KI-Funktionalitäten und einer direkten Integration von ChatGPT herausfordern solle.
Inzwischen hat sich gezeigt, dass Atlas bislang nur begrenzt überzeugt. Der Browser ist langsam, wirkt hektisch „zusammengebastelt“, und das integrierte ChatGPT weigert sich bei speziellen Aufgaben, auf bestimmte Teile des Internets zuzugreifen. Doch das dürfte nicht so bleiben. Atlas wurde bereits millionenfach heruntergeladen – und OpenAI wird in den kommenden Jahren vermutlich immens investieren. Das KI-Unternehmen von Sam Altman folgt damit einem Trend. Denn Atlas ist keineswegs der einzige neue Browser, der derzeit um Nutzer buhlt. Im seit Jahren verkrusteten Browser-Markt ist so viel Bewegung wie lange nicht; manche sehen daher bereits einen neuen Browser-Krieg heraufziehen.
Etwas Historie
Der erste Browser-Krieg spielte sich in den 1990ern ab. In dieser Ära war Netscape mit seinem Navigator praktisch synonym mit dem World Wide Web. Über 80 Prozent aller Internetnutzer hatten ihn um 1995 ihrem Computer installiert – und steuerten nach dem Einwählen damit über die Datenautobahn. Doch als Microsoft das Netz als strategische Gefahr und Chance zugleich erkannte, begann der Konzern, den Internet Explorer kostenlos zu verteilen und direkt in Windows einzubauen.
Innerhalb weniger Jahre sackte Netscapes Marktanteil ab, das Unternehmen wurde 1998 von AOL übernommen und verlor technologisch wie finanziell an Boden, während Microsoft zeitweise bis zu 95 Prozent des Browsermarkts dominierte. Der spätere Vergleich zwischen Microsoft und AOL, der unter anderem kostenlose IE-Lizenzen und eine hohe Zahlung umfasste, beendete die letzten Ambitionen, Netscape noch einmal neu zu beleben.
In den frühen 2000ern geriet Microsoft jedoch selbst unter Druck. Der Internet Explorer alterte schlecht, litt unter Sicherheitslücken und mangelnder Weiterentwicklung. AOL hatte zu diesem Zeitpunkt längst das Interesse an wirklicher Browserinnovation verloren und übergab 2003 den verbliebenen Netscape-Code an die Mozilla-Stiftung. Dort entstand aus früheren Experimenten ein eigenständiger Browser, der 2004 als Firefox erschien. Er war moderner, stabiler und sicherer als der Internet Explorer – und profitierte davon, dass Microsofts Image unter Steve Ballmer massiv bröckelte. Firefox eroberte binnen weniger Jahre zweistellige Marktanteile und wurde für viele Nutzer zur ersten überzeugenden Alternative seit dem Ende der Netscape-Ära.
Gleichzeitig sah Google die Chance, den Browser neu zu denken. Das Unternehmen hatte Start-ups übernommen, die frühe Webanwendungen für Textverarbeitung und Tabellenkalkulation entwickelten, doch diese stießen bei bestehenden Browsern schnell an technische Grenzen. Ein Team unter Sundar Pichai sollte deshalb einen Browser bauen, der komplexe Web-Apps problemlos ausführen kann. 2008 erschien Chrome, begleitet vom quelloffenen Projekt Chromium. Chrome wirkte schnell und modern, war aber ressourcenhungrig – dennoch überzeugte er genügend Nutzer, um bis 2012 über 28 Prozent Marktanteil und wenig später die Marktführung zu erreichen.
Mit dem schnellen Wachstum verschmolz der Browser zunehmend mit Googles Gesamtangebot. Ab 2010 verband Chrome Synchronisation, Profile und Login-Funktionen nahtlos mit der Google-Infrastruktur. Das machte den Browser komfortabel, zugleich aber zum zentralen Sammelpunkt für Daten über Surfverhalten, Geräte, Erweiterungen und den Gebrauch von Google-Diensten. Diese enge technische und datenseitige Integration machte Chrome nicht nur zum dominierenden Browser, sondern auch zum wichtigsten Hebel für Googles Werbe- und Servicegeschäft.
Angriff auf Chrome
Bisher sitzt Google mit Chrome fest im Sattel – mit einem weltweiten Marktanteil von fast 75 Prozent, gefolgt von Microsoft Edge, Apples Safari und Mozillas Firefox. Doch neue Konkurrenten könnten den Markt umkrempeln. Die nächste Runde im Browserkrieg könnte daher gerade beginnen.
Die Herausforderer von Google Chrome sind mehrheitlich moderne KI-Browser – wie Atlas von OpenAI, Comet vom KI-Such-Start-up Perplexity, Dia von The Browser Company – die gerade erst vom Software-Unternehmen Atlassian gekauft wurde –, Opera Neon von Opera Software als einige der bekanntesten. Daneben gibt es zahlreiche kleinere, weniger bekannte KI-Browser wie Maxthon, Sigma AI Browser oder Fellou. Sie integrieren KI-Sprachmodelle mit agentischen Fähigkeiten. Statt nur Websites anzuzeigen, können Nutzer über diese Modelle mit Web-Inhalten interagieren.
Der Chatbot im Browser kann auf Text- und Sprachbefehl eine Suche im Dialog nach Kontext und Sinnzusammenhängen im Internet durchführen, Inhalte von Websites zusammenfassen und erklären, Informationen aus Seiten in anderen Tabs kombinieren und daraus Dokumente erstellen. Ebenso können die KI-Modelle mit Websites fast wie ein Mensch interagieren. Sie können sich etwa in Google Docs einloggen und Texte schreiben, bei Lieferando eine Pizza oder bei Amazon eine Grafikkarte bestellen.
Während die Grundfähigkeiten der KI-Browser fast identisch sind, unterscheiden sich Ausrichtung und Gewichtung. Atlas legt den Fokus auf die agentischen Fähigkeiten und den direkten Zugriff auf ChatGPT, das den Nutzer über seine Erinnerungsfunktion kennt und ihn während des Browsens zudem noch besser kennenlernen soll. Es soll sich für Nutzer zu einem vertrauensvollen Alltagshelfer entwickeln. Comet hingegen wird als mächtiger Recherche-, Such- und Arbeitsapparat inszeniert, der zu Hause wie im Büro als Assistent und Mitarbeiter funktioniert. Und bei Dia hoffen die Entwickler, das Verhältnis zum Internet zu wandeln. Mit der Künstlichen Intelligenz im Browser soll das Netz zu einer Ressource werden, deren Informationen frei gesammelt, kombiniert und personalisiert werden können. Das Internet soll sich an den Nutzer anpassen.
Diese Entwicklung geht an den Machern etablierter Browser nicht vorbei. Microsoft hat seinen KI-Chatbot Copilot in seinen Internet-Explorer-Nachfolger Edge gebracht und drängt ihn den Nutzern geradezu penetrant auf. Opera bringt parallel zu seinem dediziert agentischen KI-Browser Opera Neon seine KI Aria in die bestehende Opera-Reihe. Selbst Mozilla hat begonnen, seinen sonst so konservativ geführten Firefox KI-fit zu machen. Mit Orbit hatte Mozilla mit einem eigenen Chatbot als Erweiterung experimentiert – aber diesen mittlerweile eingestellt. Seit einigen Wochen können stattdessen externe KI-Anbieter wie ChatGPT, Claude oder auch Le Chat von Mistral direkt verknüpft werden. Und natürlich plant auch Apple, seine Apple Intelligence in den Safari-Browser zu bringen. Selbst der so datenschutzfokussierte Brave-Browser verfügt mit Leo AI mittlerweile über KI-Features.
Freilich steckt auch Google nicht zurück. Der Tech-Gigant sieht die wachsende Zahl an Wahlmöglichkeiten für Nutzer. Neben seinen KI-Übersichten und seinem KI-Modus in der Suchmaschine hat Google daher begonnen, den Gemini-Chat-Dienst in den Chrome-Browser zu integrieren und ihn mit verschiedenen Google-Diensten verknüpfbar zu machen, die wohl das Gros der Internetnutzer bereits nutzt: Docs, Sheets, Gmail und mehr.
Es geht um mehr als nur Marktanteile
Die Entwicklung und das oftmals kostenfreie Bereitstellen der Browser – für die Nutzung einzelner KI-Funktionen ist zuweilen ein Abo notwendig – erfolgt natürlich nicht aus reiner Herzensgüte und auch nicht nur aus dem Drang, Google zu entthronen. OpenAI, Perplexity und andere Browser-Entwickler verfolgen klare wirtschaftliche und strategische Ziele.
Gelingt es OpenAI oder Perplexity beispielsweise, auch nur einen Bruchteil ihrer Millionen wöchentlichen Nutzer für den Atlas- beziehungsweise Comet-Browser zu gewinnen, werden ChatGPT beziehungsweise Perplexity für diese vom Angebot im World Wide Web durch die Integration in ihren Browsern zum Portal in das Internet. Statt der Google-Suche nutzen sie dann die Suche per KI-Chat, die sich für immer mehr Menschen zur bevorzugten Suchmethode entwickelt. Daten, wie sie Google sammelt, fließen dann zu den KI-Unternehmen. Und mehr noch: Gegenüber KI-Chatbots geben Nutzer persönliche Informationen preis, die Chrome ihnen wohl so nie entlocken könnte.
„Wir wollen Daten auch außerhalb der [Perplexity]-App erhalten, um dich besser zu verstehen“, sagte Perplexity-CEO Aravind Srinivas etwa ganz offen im Podcast TBPN. Denn mit „dem gesamten Kontext“ könnten dann bessere Profile erstellt werden, um passgenaue Anzeigen zu generieren.
Das Gleiche gilt natürlich auch für kleinere KI-Browser-Konkurrenten, die sich durchaus ein Nischendasein erarbeiten könnten. Je mehr Informationen, desto konkretere personalisierte Werbung ist möglich – und das durch Künstliche Intelligenz in bislang ungekannt effektiver Weise. Eine Empfehlung samt persönlicher Ansprache durch den stets als hilfreich wahrgenommenen Chatbot für eine neue Matratze, ein Hotel oder einen Laptop wird, so die Hoffnung der KI-Unternehmen, ganz anders aufgenommen als die nervigen Sponsored Ads bei Google oder Amazon.
Nicht umsonst propagiert OpenAI beispielsweise seine „ersten Schritte in Richtung Agentic Commerce“, bei denen mit ChatGPT nach Produkten gesucht und diese auch direkt über den Chatbot gekauft werden können. Je nach Partnerprogramm kassiert OpenAI hierfür eine „kleine Gebühr für abgeschlossene Käufe“. Mit dabei sind bereits Etsy und Shopify sowie der Zahlungsanbieter Stripe. „Wenn ein Produkt Instant Checkout unterstützt, können Benutzer auf Kaufen tippen, ihre Bestell-, Versand- und Zahlungsdetails bestätigen und den Kauf abschließen, ohne den Chat auch nur einmal zu verlassen“, wirbt OpenAI. Ob das von ChatGPT für den Nutzer herausgesuchte und gekaufte Produkte dann aber das beste und günstigste ist, oder jenes bei dem OpenAI die höchste Provision bekommt, das bleibt dabei möglicherweise offen.

Vom Öffnen des Browsers bis zum Schließen sollen Internetnutzer den KI-Dienst jedenfalls nicht mehr verlassen müssen. Denn offenbar soll nahezu alles irgendwann innerhalb der Chatbot-Oberfläche ablaufen können. Daher arbeitet OpenAI an einer eigenen Office-Cloud, die natürlich mit ChatGPT verwoben sein wird. Der KI-Chat soll zu einem allmächtigen Terminal und dienstgebundenen Ökosystem werden, durch den der Rest des Internets angesprochen wird – so wirkt zumindest die Vision von OpenAI. Aber auch Aravind Srinivas, der Gründer von Perplexity, sieht seinen Comet-Browser als „das Betriebssystem für alles“. Wirklich gut funktioniert das noch nicht – und erste Medien wollen KI-Agenten blockieren und Unternehmen wie Amazon wollen KI-Browser davon ausschließen, auf ihrer Website für Nutzer einzukaufen. Dennoch…
Selbst Mozilla verfolgt seine KI-Strategie nicht uneigennützig. Denn die Mozilla-Stiftung ist trotz ihrer Anti-Big-Tech-Haltung auf Werbeerlöse und Revenue-Share-Programme marktbeherrschender Technologieunternehmen angewiesen, um ihre Entwicklungsarbeit, das Mozilla-Ökosystem und ihren Digital-Aktivismus weiter finanzieren zu können. Zusätzlich zur Möglichkeit, ChatGPT, Claude und Co. in Firefox zu integrieren, existiert daher bereits die Option, neben Google, Bing und Co. jetzt auch Perplexity als Standardsuche auszuwählen.
So inszeniert sich Mozilla einerseits als Partner und Reichweitenverstärker für die KI- und Tech-Giganten. Gleichzeitig arbeitet die Mozilla-Stiftung diesen Firmen, ihren marktbeherrschenden Positionen und Ambitionen jedoch auch entgegen. So fordert sie mehr Transparenz bei Künstlicher Intelligenz und arbeitet mit Mozilla.ai an Strategien zugunsten freier und lokal nutzbarer KI-Modelle. Ein durchaus gewagter Drahtseilakt, der auch schiefgehen könnte.
Die Anti-KI-Browser?
In diesem neuen Browser-Krieg gibt es jedoch auch Fraktionen abseits der KI-Browser, sogar eine konkrete Gegenbewegung. Auslöser sind die Aversionen gegen die Übergriffigkeit und die Datensammelwut von Google sowie die KI-Heilsversprechen. Auch die zuletzt immer wieder demonstrierten Anfälligkeiten von KI-Browsern spielen eine Rolle. Wie KI- und IT-Sicherheitsforscher sowie Browser-Entwickler gezeigt haben, lassen sich die eingebetteten Modelle nämlich erschreckend leicht durch in Websites, sozialen Netzwerken oder sogar Adresszeilen versteckte Prompts kapern. So können sie zum Abfluss von Daten missbraucht oder mehrstufig eingesetzt werden, um Nutzerkonten bei Diensten wie Perplexity zu übernehmen.
Mit Helium vom Entwicklerkollektiv imput.net entsteht auf Basis von Chromium etwa ein Browser, der explizit auf hohen Datenschutz sowie Werbe- und Ablenkungsfreiheit ausgelegt ist. Helium bietet eine maximal schlanke Grundausstattung und die Nutzer entscheiden selbst, welche Erweiterungen sie hinzufügen und welche Datensammelei sie zulassen. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt der Orion-Browser für Mac- und iOS-Geräte vom Suchmaschinenbetreiber Kagi.
Der Zen Browser wiederum wird als „ruhigerer Weg“ beworben, das Internet zu erkunden: Er ist ein Fork von Mozilla Firefox, bietet jedoch mehr Datenschutz- und Privatsphäre-Einstellungen und ein Design, das Websites mehr Raum lässt. Beide Browser befinden sich noch in frühen Entwicklungsphasen, verfügen aber bereits über wachsende Communities. Hinzu kommt eine Reihe weiterer, kleinerer, noch recht neuer, sich jedoch schnell entwickelnder Projekte wie Min, Floorp und Nyxt. Eingebaute KI-Features? Auch hier keine!
Es braucht mehr technologische Vielfalt
Die Beteiligten des neuen Browser-Kriegs wirken bunt, vielfältig und vertreten offenbar recht unterschiedliche oder zumindest vielfach abgestufte Philosophien. Und das stimmt auch irgendwie. Aber dann auch wieder nicht. Denn hinter dem Gros vor allem der bereits verbreiteteren Chrome-Herausforderer steckt ironischerweise die gleiche technologische Basis wie jene von Chrome. Denn von Atlas über Comet bis hin zu Helium: Sie alle nutzen als Basis das von Google gestartete und gepflegte Open-Source-Projekt Chromium und dessen Browser- beziehungsweise Rendering-Engine Blink.
Das ist eine grundsätzlich vollkommen nachvollziehbare Entscheidung. Denn Chromium und Chrome sind im Kern identisch. Sie unterscheidet nicht viel. Es sind vor allem die Google-Synchronisation, eine Update-Software, eine PDF-Funktion, für die Nutzung von Streaming-Diensten benötigte DRM-Unterstützung und Video-Codecs, die Chrome von Chromium absetzen. Mit Chromium bietet sich also eine vollkommen kostenfreie und in den Grundzügen vollends funktionsfähige Basis für einen modernen, schnellen und vielfältig erweiterbaren und anpassbaren Browser. Doch genau diese weite Verbreitung ein und derselben technischen Basis ist nicht ohne Risiko.
Für Google entwickelt sich das de facto von der Such- und Werbefirma gelenkte Chromium-Projekt durch die vielfache Adoption zu einem immer stärker werdenden Machtinstrument. Denn während OpenAI, Perplexity und andere daran arbeiten, den Chrome-Browser zu verdrängen, geben sie Google durch die Nutzung von Chromium die Macht, über Standards und Technologien im Internet zu entscheiden. Wird eine neue Technologie nicht von Chrome und Chromium übernommen, hat sie kaum eine Chance, sich durchzusetzen. Websites werden bereits jetzt primär für Chrome und Chromium optimiert. Andere Browser mit anderen Browser-Engines, wie Firefox mit Gecko und Safari mit WebKit, werden zu Sonder- und Problemfällen für Webentwickler und Nutzer. Dadurch drohen diese Alternativen weiter an Popularität zu verlieren und der Markt im Browser-Segment an technologischer Diversität einzubüßen.
Insbesondere IT-Sicherheitsexperten sehen eine solche Browser-Engine-Monokultur als massives Problem. Denn dadurch könnte ein einziger Fehler im Code, ein Exploit oder eine ungewollte Hintertür einen großen Teil der Internetnutzer gefährden. Einen solchen Fall gab es gerade erst. Der IT-Sicherheitsforscher Jose Pino hatte im Oktober eine Schwachstelle entdeckt, die er Brash taufte und öffentlich machte. Es handelte sich um einen Fehler in der Engine von Chrome und Chromium, durch den sich Chromium-basierte Browser mit einer einzelnen Zeile JavaScript-Code nach einer bestimmten Zeit zum Absturz bringen ließen. Hätte jemand anderes diesen Fehler vorher gefunden, hätte er ihn ausnutzen können, um ihn – so Pinos Einschätzung – „von einem Störungswerkzeug in eine zeitliche Präzisionswaffe“ zu verwandeln.
Es gibt jedoch auch hier Momentum. So hat die Mozilla-Stiftung angekündigt, viele ihrer bisherigen Projekte vorerst auf Eis zu legen, um sich auf die Weiterentwicklung von Firefox zu konzentrieren und verlorene Marktanteile zurückzugewinnen. Ebenso arbeitet ein Team von Entwicklern mit dem Namen Ladybird derzeit nicht nur an einem neuen Browser, sondern auch an einer vollständig neuen Browser-Engine namens LibWeb. Das Projekt wird unter anderem von Cloudflare, ProtonVPN und Shopify unterstützt. Im kommenden Jahr soll die erste Alpha-Version des Browsers erscheinen und rasch weiterentwickelt werden. Ein ähnliches Projekt ist das ehemalige Mozilla-Projekt Servo, das heute von der Linux-Stiftung weitergeführt wird. Dabei entsteht mit ServoShell ein rudimentärer Browser. Das Hauptziel ist jedoch eine schnelle Browser-Engine, die frei für den Aufbau von Browsern aller Art genutzt werden kann.
Der neue Browser-Krieg scheint also durchaus real und im vollen Gange. Wer davon profitiert und wer verliert, entscheidet sich jedoch nicht nur daran, wer ihn gewinnt, sondern auch daran, wie der Krieg geführt wird – ob Browser wieder zu offenen Werkzeugen werden oder zu eng verkoppelten Verkaufs- und Überwachungsoberflächen. Noch gibt es zwar schrumpfende, aber dennoch reale technische Vielfalt sowie engagierte Communities und Projekte, die sich bewusst gegen Monokulturen und Datensammelwut stemmen. Ob sie am Ende zum Korrektiv werden oder nur als nostalgische Fußnote in der Geschichte des Webs landen, hängt nicht nur von den Strategien der Konzerne ab, sondern auch von Regulierung, der Entwickler-Community – und letztlich von den Entscheidungen der Nutzer.

Michael Förtsch
Leitender Redakteur
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