31. Oktober 2025
Der AWS-Ausfall zeigt, dass wir echte europäische Clouds brauchen

Der kürzliche Ausfall von Amazon Web Services hat gezeigt, wie fragil und angreifbar das moderne Internet durch die zunehmende Konsolidierung ist. Das ist insbesondere aus europäischer Sicht bedenklich. Es braucht heimische Alternativen. Doch würden diese überhaupt genutzt, wenn sie nicht alle Funktionen und Annehmlichkeiten von AWS bieten?
Von Michael Förtsch
Gefühlt war plötzlich das halbe Internet weg. Der Musikdienst Spotify stockte, Zoom konnte keine Videochats organisieren und in den Chat- und Messenger-Apps Slack, WhatsApp und Signal konnten weder Nachrichten gesendet noch geladen werden. In Social-Media-Apps wie Snapchat wurden keine Videos mehr angezeigt. In Games wie Roblox und Fortnite waren keine Matches möglich. Amazon Prime Video weigerte sich, Filme und Serien abzuspielen. Auch die KI-Tools Perplexity, Claude und ChatGPT sowie Nachrichtenseiten wie New York Times und Wall Street Journal waren teilweise nicht erreichbar. Zahlungs-Apps wie Venmo oder das Steuerportal HMRC des Vereinigten Königreichs bereiteten ebenfalls Probleme. Und sogar einige Betten waren unbenutzbar, da für sie eine konstante Verbindung zu einem Server benötigt wird.
Der Grund? Der zu Amazon gehörende Hosting- und Cloud-Dienstleister AWS hatte am 20. Oktober 2025 über mehrere Stunden hinweg ein Problem.
Erst nach einigen Tagen konnte der Hyperscaler genau sagen, was schiefgelaufen war. Im Data-Center-Komplex Nord-Virginia, also der Region US-East-1, kam es zu einer Störung in DynamoDB, einem der internen Datenbanksysteme von AWS. DynamoDB wird dort auch für das Management bestimmter DNS-Einträge genutzt. Dadurch verlor ein wichtiger DNS-Endpunkt – für dynamodb.us-east-1.amazonaws.com – kurzfristig seinen gültigen Eintrag. Dies löste eine Fehlerkaskade bei den für Lastverteilung und Netzwerküberwachung zuständigen Systemen aus. Kurz gesagt: Die AWS-Server in dieser Region knickten ein. Da US-East-1 viele AWS-Dienste intern miteinander verbindet und zahlreiche AWS-Systeme auf Infrastruktur in dieser Region zurückgreifen, waren auch andere Regionen indirekt betroffen. Ein einziges System, ein Single Point of Failure, hatte also alles zusammenbrechen lassen.
Das war in den meisten Fällen vor allem ärgerlich und lästig. Aber nicht nur das. Auf Reddit und anderen Social-Media-Plattformen berichten Nutzer, dass sie plötzlich weder ihre Einkäufe via Smartphone begleichen noch ein krankes Familienmitglied erreichen konnten. Besonders hart traf der Ausfall laut verschiedener Schätzungen aber die Wirtschaft. Es sollen mehrere Hundert Milliarden Euro an Werbeumsätzen, Verkäufen und Arbeitsstunden verloren gegangen sein. Allein die acht größten betroffenen Firmen, darunter Snap, Zoom und Roblox, sollen pro Offline-Stunde rund 72 Millionen US-Dollar Umsatzverlust erlitten haben. Diese Summen werden zwar angezweifelt, unstrittig ist aber: Das war teuer. Vor allem demonstriert der Vorfall, wie fragil und störanfällig das moderne Internet geworden ist.
Der Mythos von der Ausfallsicherheit
Den Mythos zum Ursprung des Internets kennt wohl jeder: Demnach wurde dessen Vorläufer, das Arpanet, entwickelt, um ein Netz von Militärcomputern aufzubauen, das selbst dann weiterbesteht, wenn wichtige Anlagen durch Atomschläge zerstört werden. Das stimmt allerdings nicht. Stattdessen sollten ursprünglich die Rechner von Universitäten und Militäreinrichtungen verbunden werden, um die damals noch knappen Rechenkapazitäten besser auszunutzen. Erst später kam die Idee auf, daraus ein resilientes Kommunikationsnetzwerk zu entwickeln, bei dem zahlreiche untereinander verbundene Computer ein engmaschiges Netz ergeben und Informationen so immer einen Weg zum Ziel finden – selbst, wenn Teile davon ausfallen. Das war auch ein Gedanke, der die Frühzeit des Internet prägte. Vor allem die Cypherpunks und die Pioniere des Silicon Valley sahen im Internet einen Raum, in dem sich alle gleichberechtigt präsentieren, ausleben und kommunizieren können, indem sie ihren eigenen Computer ans Internet hängen.
Von diesem Konzept ist heute nur noch die utopische Vorstellung übrig. Denn während viele der jungen Start-ups in den 1990ern noch eigene Server in ihren Kellern betrieben oder sich in örtlichen Colocation-Rechenzentren oder bei Providern einmieteten, hat sich das Internet-Hosting seitdem extrem konsolidiert. Kaum ein junges Internetunternehmen, großes Medienunternehmen und Diensteanbieter betreibt heute noch eigene Server. Nahezu alle verlassen sich auf einen der großen Hosting- und Cloud-Anbieter: Google Cloud, Microsoft Azure und, allen voran, AWS von Amazon – und vielleicht noch Oracle. Selbst viele alternative Hosting- und Cloud-Dienste wie Vercel, Netlify, Upsun, WP Engine und Redington nutzen bei AWS oder den anderen angemietete Infrastruktur. Die Vielfalt in diesem Bereich ist also mehrheitlich eine Illusion.
Das sollte zu denken geben – insbesondere aus europäischer Sicht. Denn im Falle des AWS-Ausfalls war es lediglich ein einziger Fehler in einem Rechenkomplex, der zum Desaster geführt hat. Was aber, wenn es zu einem gezielten Angriff auf weite Teile der AWS-Infrastruktur durch Hacker oder ein anderes Land kommen sollte? Was, wenn sich die politische Lage in den USA weiter verschärft und die Spannungen mit einstigen Partnern wie der Europäischen Union weiter zunehmen? Was, wenn Amazon, Microsoft, Oracle und Google sich gezwungen sähen, der US-Regierung freien Zugang zu eigentlich geschützten Kundendaten zu geben oder ihre Dienste nicht mehr frei anzubieten – oder einfach… abzuschalten? All das ist in der zweiten Amtszeit von Trump, in der Teile des Weißen Hauses abgerissen werden, nicht ganz unrealistisch.
Zwar würde nicht sofort das Licht ausgehen, aber Chaos wäre die Folge. Die Daten von Millionen Europäern sowie Geschäftsgeheimnisse von Firmen könnten in die falschen Hände geraten. Laut dem Cloud Report 2025 von Bitkom Research würden über 60 Prozent aller deutschen Unternehmen ohne Cloud-Dienste „stillstehen“. Die Seiten großer Medien könnten offline gehen und sogar Behörden könnten plötzlich ohne Zugang zu ihren üblichen Werkzeugen dastehen, weil sie beispielsweise nicht mehr auf die Office-Cloud-Dienste von Microsoft zugreifen können. Das gilt ebenso für die Bundeswehr, die sich entschieden hat, für ihre eigenen Cloud-Anwendungen auf Google zu setzen. Energieversorger könnten ins Straucheln geraten, da ihre Abrechnungs- und Analysesysteme auf den Servern von US-Cloud-Anbietern laufen. Diese Websites und Systeme einfach von AWS und Co. auf andere Server umziehen? Das ist gar nicht so einfach, da die Oligopol-Anbieter etliche Sicherheits- und Skalierungswerkzeuge sowie einfach kombinierbare Bausteinfunktionalitäten und eigene Function- und Software-as-a-Service-Dienste offerieren, die andere nicht bieten.
Mehr Souveränität wagen
Der Verlass auf die Hosting- und Cloud-Giganten aus den USA ist heute nicht mehr und war vielleicht nie wirklich gerechtfertigt. Kritiker sagen schon lange, dass es mehr Redundanz für das World Wide Web und mehr Datensouveränität für Europa braucht. Das erfordert mehr Vielfalt und Konkurrenz. Dabei ist viel aufzuholen. In den 2010er Jahren haben die EU-Länder es nämlich verpasst, eigene, auf eigenen oder offenen Technologien basierende, international konkurrenzfähige Hosting- und Cloud-Angebote zu fördern. Zwar existieren durchaus renommierte EU-Hosting- und Cloud-Dienste wie Hetzner, Hostinger, Ionos, OVH, Vshosting, StackIT oder die Open Telekom Cloud. Mit den Kapazitäten, Tools, Integrationsmöglichkeiten und Preisen der US-Hyperscaler können sie jedoch nicht mithalten.
Doch wie auch, wenn sich Behörden, einheimische Unternehmen und Medien immer wieder für AWS, Google, Microsoft und Co. entscheiden? Dabei würden laut dem Cloud Report 2025 nahezu alle befragten Unternehmen gerne auf einen deutschen Anbieter setzen. Über 60 Prozent würden sich für einen Anbieter aus dem EU-Raum interessieren. Allerdings wollen 65 Prozent dabei keine Nachteile in Kauf nehmen, etwa in Form von höheren Preisen, einer schlechteren Bedienbarkeit oder fehlenden Funktionen. Ein Dilemma. Denn wie sollen sich deutsche und europäische Hosting- und Cloud-Anbieter motiviert sehen, ihre Angebote weiterzuentwickeln, Ressourcen aufzubauen und Tools bereitzustellen, wenn es aktuell nicht genug Kunden gibt, die sie wollen und fordern? Gerade Behörden und größere Unternehmen könnten hier den Anfang machen. Denn sonst wächst die Abhängigkeit von US-Diensten immer weiter.

Michael Förtsch
Leitender Redakteur
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