7. Mai 2025
Warum alle den Browser Chrome kaufen wollen – und warum die Debatte darüber wichtig ist

Google steht derzeit wieder einmal vor Gericht. Die US-Justiz beschäftigt sich mit der Vormachtstellung des Konzerns bei der Online-Suche. Sollte das monopolistische Verhalten von Google bestätigt werden, könnte der Konzern gezwungen werden, seinen Browser Chrome zu verkaufen. Interessenten gibt es bereits. Doch warum?
Von Michael Förtsch
Es könnte die bisher größte Niederlage für Google werden. Seit dem 21. April steht der Such-, Technologie- und Werbekonzern im US-Bundesstaat Virginia erneut vor Gericht. Zum wiederholten Male beschäftigt sich die US-Justiz mit der Marktmacht, dem möglicherweise monopolistischem und wettbewerbswidrigem Verhalten des Konzerns – der gerade erst einen Rekordgewinn von 34,5 Milliarden US-Dollar für das erste Quartal dieses Jahres verkündet hat. Der Vorwurf des US-Justizministeriums und mehrerer US-Bundesstaaten gegen Google: Das Unternehmen habe eine marktbeherrschende Stellung bei der Online-Suche. Eine Stellung, die dem Wettbewerb, den Nutzern und den Konkurrenten schade. Sollte sich das im Prozess bestätigen, fordert die Justiz drastische Maßnahmen, um Googles Position zu beschneiden und einen fairen Wettbewerb wiederherzustellen.
Eine der diskutierten Maßnahmen, die das Geschäft von Google massiv treffen würde: ein Verkauf des 2008 gestarteten Browsers Chrome. Der hat in Deutschland einen Marktanteil von über 65 Prozent, weltweit von über 41 Prozent – und auf Android-Geräten ist Chrome mit über 90 Prozent der de facto Standard. Die meistgenutzte Option für die Suche dabei? Trotz einer verpflichtenden Auswahloption, die Wettbewerbshüter durchgesetzt haben, ist das Google. Denn natürlich greifen viele auf den bekanntesten Namen zurück. Damit ist Chrome für Google wie ein Trichter zur eigenen Suche. Aber es ist noch mehr: ein bequemes und listiges Portal in das gesamte Google-Ökosystem. Denn Google setzt alles daran, dass sich die Nutzer direkt im Browser mit ihrem Google-Konto einloggen.
Der Grund? Damit sind sie automatisch bei den Google-Diensten wie Gmail, Google Maps, Google Drive, YouTube und Co. im Web angemeldet. Wer das nicht explizit deaktiviert, sendet Nutzungsstatistiken und andere Daten an Google, die unter anderem dazu dienen, „Suchanfragen und Surfen zu verbessern“ oder „Suchvorschläge zu optimieren“. Mit anderen Worten: Chrome ist für Google eine riesige Maschinerie, die nicht nur Suchanfragen generiert, sondern auch wertvolle Nutzerdaten, die vermutlich im gesamten Google-Konzern ihre Verwendung finden. Für Google wäre das ein riesiger Verlust. Für den Käufer von Chrome hingegen wäre es eine historische Chance, die Machtverhältnisse im Internet zu verändern.
Milliarden von Nutzern
Wer auch immer Chrome kaufen und übernehmen würde, hätte die Möglichkeit, bis zu 3,45 Milliarden Nutzer durch ein Update des Browsers in sein eigenes Ökosystem zu locken. Statt bei Google würden sich die Chrome-Nutzer dann im System eines anderen Anbieters anmelden. Dafür müsste nicht einmal zwingend ein neues Konto angelegt werden, denn es das Google-Konto durch das Third-Party-Sign-In-System Login with Google weiter genutzt werden. Statt der bisherigen Suche könnte die eigene Suchmaschine oder die eines Partnerunternehmens als Standard integriert werden – die dann beim Öffnen eines neuen Tabs angezeigt wird oder eine Suche durchführt, wenn statt einer URL ein Suchbegriff in die Adresszeile eingegeben wird.
Zudem könnte der Platz unter der derzeit sichtbaren Google-Suchleiste in neuen Tabs für die Präsentation eigener Inhalte und Dienste genutzt oder teuer an Werbetreibende verkauft werden. Tatsächlich ist diese freie Fläche wahrscheinlich einer der meistgesehenen Orte im gesamten Internet: It's Free Real Estate. Gleiches gilt für die Top-Positionen im Chrome Web Store, wo die zahlreichen Erweiterungen für den Browser präsentiert und heruntergeladen werden können. Wer Chrome kauft, hätte also sofort eine garantierte Nutzerschaft und damit die Möglichkeit, die Aufmerksamkeit von Milliarden Menschen zu nutzen oder zu verkaufen: eine unschätzbare Ressource. Sonderlich günstige wäre diese daher nicht zu haben.
Schon aufgrund seines Marktanteils wird der Wert von Chrome auf 20 bis 50 Milliarden US-Dollar geschätzt. Einige Konkurrenten von Google gehen sogar von einem noch höheren Preis aus. „Ich denke, es wären mehr als 50 Milliarden US-Dollar, wenn es auf den Markt käme“, zitiert Bloomberg den DuckDuckGo-Chef Gabriel Weinberg. „Und das ist jenseits der [finanziellen] Möglichkeiten von DuckDuckGo.“ Tatsächlich gibt es nur wenige Unternehmen, die in der Lage wären, Googles Chrome-Projekt zu kaufen – und mit vermutlich mehreren hundert Millionen US-Dollar pro Jahr weiterzuentwickeln.
Die Käufer stehen bereit
Im Laufe der letzten Woche haben sich bereits potenzielle Käufer zu Wort gemeldet. Allen voran das KI-Unternehmen OpenAI, das mit ChatGPT und seiner Suchfunktion langsam aber sicher an Googles Marktanteil im Suchbereich knabbert. Für OpenAI, das derzeit auch an einem Prototyp für ein soziales Netzwerk arbeitet, wäre ein eigener Browser eine Möglichkeit, seinen KI-Chat auf die Bildschirme von möglicherweise hunderten Millionen Menschen zu bringen, die bisher noch nicht damit in Verbindung gekommen sind. Vor allem aber wäre es eine Möglichkeit, unzählige Daten für das Training Künstlicher Intelligenzen zu akkumulieren.
Ganz ähnliches gilt für das KI-Such-Start-up Perplexity, das sich seit seiner Gründung vor allem bei technik- und KI-affinen Nutzern eine breite Nische erobert hat. Mit Comet arbeitet Perplexity bereits an einem eigenen Browser, der mit zahlreichen KI-Funktionen ausgestattet sein soll – und gerade erst für Kontroversen sorgte, als Perplexity-Gründer Aravind Srinivas von Plänen sprach, hyper-personalisierte Werbung schalten zu wollen. Der Chrome-Browser wäre für das Unternehmen also vor allem eine Möglichkeit, die eigenen Bemühungen zu beschleunigen und eine bestehende Nutzerschaft direkt zu erreichen.
Beide Browser könnten zunächst parallel entwickelt und schließlich zusammengeführt werden. Zumindest nach Ansicht des Perplexity-Managers könnte das KI-Start-up den Chrome-Browser ohne Qualitäts- und Sicherheitseinbußen für die Nutzer angemessen weiterführen. „Ich denke, wir könnten das schaffen“, sagt Dmitry Shevelenko. Eine andere Frage ist allerdings, ob Perplexity über die nötigen finanziellen Mittel verfügt. Im Moment ist das nicht der Fall. Zwar will das Unternehmen noch in diesem Jahr rund eine Milliarde Dollar an neuen Investorengeldern einsammeln, was die Bewertung von Perplexity auf 18 Milliarden US-Dollar festsetzen wurde. Das würde aber bei weitem nicht ausreichen, um Chrome zu kaufen. Dafür bräuchte das Start-up einen finanzstarken Partner.
Etwas überraschend brachte sich auch das Internet-Urgestein Yahoo! als möglicher Käufer in Stellung, das heute der Investmentgesellschaft Apollo Global Management gehört, die unter anderem auch am Whirlpool-Hersteller Jacuzzi, dem Filmstudio Legendary und der Oldenburgischen Landesbank beteiligt ist. Laut Yahoo!-Manager Brian Provost könnte das Unternehmen mit Hilfe von Apollo die Milliarden für den Kauf von Chrome aufbringen. Für Yahoo! wäre das ein gigantischer Coup. Denn damit könnte der verblasste Name aus den frühen Tagen des Webs wieder an Relevanz gewinnen. Tatsächlich soll Yahoo! intern bereits an einem eigenen Browser-Projekt arbeiten, das allerdings noch nicht sehr weit fortgeschritten ist.
Verkauf mit Problemen
Der mögliche Verkauf von Chrome weckt bei vielen die Hoffnung auf einen kleinen Reset des Internets durch die Beschneidung der Marktmacht von Google. Das könnte insbesondere den Browser- und Suchmaschinenmarkt durch eine dynamischere Wettbewerbssituation revitalisieren. Sei es auch nur, um Google dazu zu bewegen, seine seit Jahren qualitativ degenerierende Suchmaschine mit ernsthafter Entwicklungsarbeit, Innovation und Nutzerfreundlichkeit – und nicht nur mit Geld und Marktmacht – auf Platz 1 zu halten. Im Idealfall aber auch, um ganz neuen und mutigen Aufsteigern oder der Internet-Community eine Chance zu geben, das Internet stärker mitzugestalten, interessanter und besser zu machen.
Allerdings sind mit dem potentiellen Verkauf von Chrome auch Befürchtungen verbunden. Denn wäre es wirklich ein Gewinn für das Internet, wenn beispielsweise OpenAI den Chrome-Browser übernimmt? Ein Unternehmen, das zwar die KI-Revolution angestoßen hat, dies aber vermutlich unter Missachtung von Urheberrechten, Datenschutz und Ethik tat – und wohl auch weiterhin tut? Wie würde dieses Unternehmen mit den Daten seiner Nutzer umgehen? Die gleichen Fragen stellen sich bei Perplexity? Erste Stimmen plädieren daher: Chrome verkaufen? Ja, gerne, aber nicht an eine KI-Firma. Doch wäre Yahoo! wirklich besser, das die Milliarden-Investition vermutlich so schnell wie möglich mit satten Gewinnen für die Geldgeber wieder hereinholen muss – und dafür vermutlich massiv auf Werbung und Produktplatzierungen setzen würde?
Und wie würde es nach einem Verkauf eigentlich mit dem Open-Source-Aspekt von Chrome weitergehen? Denn der Kern von Chrome ist der Open-Source-Browser Chromium, auf dem heute auch die Browser Edge, Brave, Ecosia Browser und Vivaldi basieren – und viele kleine Browserprojekte, die kaum jemand kennt. Wichtige Neuerungen, die vor allem die Sicherheit und Stabilität von Chrome betreffen, fließen über Google in Chromium zurück. Ebenso finden Verbesserungen an Chromium durch Microsoft, Vivaldi, Brave und Open-Source-Entwickler ihren Weg in Chrome. Es ist fraglich ob OpenAI, Yahoo! oder Perplexity die stille kollaborative Verpflichtung gegen über dem Open-Source-Projekt würdigen würden.
Eine weitere Möglichkeit, die von einigen Beobachtern gesehen wird: Google könnte Chrome als eigenes Unternehmen ausgliedern – als eine Art Spin-off, ähnlich wie in den 1980er Jahren viele kleine unabhängige Unternehmen aus dem Monopol von AT&T beziehungsweise Bell Systems hervorgegangen sind. Damit wären die Macher von Chrome frei, den Browser in eine unabhängige und eigenständige Richtung zu entwickeln, eigene Partner zu finden und Geschäftsmodelle aufzubauen. Allerdings müsste sich Chrome dann auch komplett eigenständig finanzieren können. Das deutlich kleinere Projekt The Browser Company zeigt mit dem Arc-Browser und einem weiteren Projekt namens Dia, dass das zumindest nicht vollkommen unmöglich ist. Wobei… auch dieses Start-up auf Chromium als Basis setzt.
Letztlich bleibt abzuwarten, ob und wie es zum Verkauf von Chrome kommt. Denn natürlich würde Google eine solche Entscheidung nicht hinnehmen und sie mit juristischer Gegenwehr bis zur letzten Instanz bekämpfen. Daher dürfte es selbst bei einem entsprechenden Urteil gegen den Such- und Werbegiganten noch Jahre dauern, bis ein Verkauf akut wird und der Browser einen neuen Besitzer findet. Bis dahin könnte sich der Browser-Markt verändern oder Google entsprechende Änderungen vornehmen, die dann die Argumente für einen Verkauf abschwächen oder gar verpuffen lassen.

Michael Förtsch
Leitender Redakteur
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Was mich ein bisschen beunruhigt ist das Mozilla damit ebenfalls unter Druck gerät. Diese Zahlungen seitens Alphabet an Mozilla für die Suchmaschinen-Standard sind für Mozilla ziemlich wichtig, teils Existenzsichernd... ich liebe den Firefox, das wäre wirklich Worstcase wenn es die dadurch zerlegt.