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22. Juli 2025

Von Deutschland nach Dubai: Warum der Kryptoanarchist Smuggler die Freiheit in der Wüste sucht


Vom Kryptoanarchisten zum Anhänger der Monarchie? Jonathan 'Smuggler' Logan kämpft seit Jahren gegen Überwachung und staatliche Bevormundung – und fand für sich ausgerechnet in der absoluten Monarchie Dubai die Freiheit, die er in Deutschland vermisste. Im Interview mit 1E9 erzählt er, wie es dazu kam und in welchen Bereichen die Vereinigten Arabischen Emirate aus seiner Sicht fortschrittlicher sind als Europa.


Ein Interview von Krischan Lehmann


Vor fünf Jahren haben wir mit Jonathan ‘Smuggler’ Logan über die Gefahren staatlicher Überwachung und neue Wege zur individuellen Souveränität gesprochen. Damals war er gerade dabei, mit Hilfe von verschlüsselter Kommunikation, dezentralen Netzwerken und viel Handarbeit parallele Strukturen und Communities aufzubauen, in denen der Staat eine möglichst kleine Rolle spielt. 


Als wir ihn zu unserem diesjährigen Festival der Zukunft einladen wollten, waren wir deshalb nicht wenig erstaunt: Nach 20 Jahren in Berlin – und einer abenteuerlichen Episode in der Ukraine kurz nach Ausbruch des Krieges – hatte es ihn ausgerechnet nach Dubai verschlagen. Das Emirat am Persischen Golf, das sich in nur 35 Jahren von einer Wüstenlandschaft zu einer pulsierenden Metropole entwickelt hat, gilt in der westlichen Welt nicht gerade als Hort der Meinungsfreiheit und Menschenrechte  – und ist als absolute Monarchie keine geeignete Wahlheimat für freiheitsliebende Individualisten. Oder doch? 


Was als kurzer Erholungsurlaub gedacht war, entwickelte sich zumindest für Smuggler schnell zu einem dauerhaften Aufenthalt, der seine Sicht auf Staat, Freiheit und Effizienz noch einmal grundlegend veränderte. Vor seinem Remote Talk dazu beim Festival der Zukunft 2025 haben wir den selbsternannten Kryptoanarchisten, Cypherpunk und Privacy-Extremisten, der inzwischen als “Research engineer in confidential computing” für die Finanz- und Sicherheitsindustrie arbeitet zu seiner scheinbar paradoxen Lebensentscheidung befragt.


1E9: Spulen wir noch mal zurück: Als wir uns zuletzt unterhalten haben - im Rahmen eines Talks bei unserer 1E9 Konferenz 2020 -, warst du noch in Berlin. Was ist seitdem passiert und wie hat es dich nach Dubai verschlagen?


Smuggler: Ende 2020 habe ich einen Job bei einer Softwarefirma im Blockchain-Bereich angenommen. Unser CEO war Ukrainer und etwa drei Viertel unserer Mitarbeiter kamen ebenfalls aus der Ukraine. Als Russland im Februar 2022 seinen Angriff auf die Ukraine begann, haben wir sofort von Blockchain auf "Support Our People in Ukraine" umgestellt. Wir haben Informationen gesammelt: Wo wird gekämpft? Welche Gegenden sind sicher? Wie kommen Menschen raus? Wir haben Satellitendaten analysiert und später die APIs von Google und Waze zur Verfügung gestellt bekommen, um herauszufinden, welche Straßen noch passierbar waren. Die Ukraine hatte selbst viel Infrastruktur unpassierbar gemacht, um den russischen Vormarsch zu verlangsamen, was aber auch die Bewegungsfreiheit der eigenen Bevölkerung einschränkte.


Wir haben Datenanalysen gefahren und sehr elaborierte Karten erstellt, die zeigten, wo russische Truppen standen, wo Angriffe stattfanden, wo es noch Strom und Wasser gab, wo man Lebensmittel bekommen konnte. Dann begann die Ukraine, die Grenzen für Männer zu schließen. Viele unserer Leute konnten nicht mehr raus – entweder weil sie selbst männlich und zwischen 16 und 70 Jahren alt waren oder weil sie nicht von ihren Familien getrennt gehen wollten.


1E9: Und ihr habt dann selbst versucht, eure Mitarbeiter aus der Ukraine zu holen?


Smuggler: Ja. Unsere Firma bot an, die Leute rauszuholen. Manche wollten bleiben und kämpfen, andere wollten raus. Eine Person, die nicht rauskam, war unser CEO, der in der Ukraine festsaß. Nach einigem Überlegen haben wir eine Firma aus den USA angeheuert – Ex-Special-Forces-Leute, Söldner. In der Kryptoindustrie gibt es ja bekanntlich sehr viel Geld, das man für solche Herausforderungen einsetzen kann.


Ich war von den Resultaten dieser Leute aber nicht begeistert. Ihre Methoden erschienen mir extrem risikoreich. Deshalb haben wir dann entschieden, dass ich selbst in die Ukraine reise, um unseren CEOs rauszuholen. Ich hatte die Grenzübergänge analysiert und wusste, wo man Menschen noch rausbringen konnte. Also habe ich kurzerhand ein Team aus guten Leuten zusammengestellt und wir sind nach Rumänien geflogen und haben von dort aus operiert. Wir sind jeden zweiten Tag in die Ukraine gefahren, teilweise mehrere Tage geblieben. Die größte Herausforderung waren die letzten 50 Kilometer zur Grenze, weil es Militärcheckpoints gab, die Männer aus den Autos holten. Nach drei Wochen haben wir es dann geschafft, unseren CEO in Sicherheit zu bringen.


1E9: Wie kam es dann zu deiner Entscheidung, nicht wieder in Deutschland zu leben? 


Smuggler: Ich möchte da nicht im Detail drüber reden. Aber sagen wir so: Der Kontrast zwischen dem, was ich in der Ukraine gesehen hatte, und dem, was in Deutschland erzählt wurde, war für mich nicht vereinbar. Ich konnte das nicht verarbeiten. Was der ukrainische Staat mit den Ukrainern gemacht hat – und alle, die das unterstützt haben – dafür werden wir uns in ein paar Jahrzehnten vermutlich rechtfertigen müssen. Was in der Ukraine abging – und immer noch abgeht – hat nichts mit dem zu tun, was berichtet wird. Der bedingungslose Support für die Ukraine ist aus menschenrechtlicher und politischer Sicht äußerst problematisch. Mehr möchte ich nicht dazu sagen.


1E9: Dann belassen wir es an dieser Stelle dabei. Wie ging es bei dir weiter?


Smuggler: Kurz nach meiner Rückkehr aus der Ukraine sagte die Firma zu mir: "Du machst jetzt Urlaub. Wir holen dich nach Dubai, du setzt dich in eine Villa und entspannst dich für eine Woche." Ich kam in Dubai an und hatte zwei Wochen später meine Residency. Ich bin dann noch einmal zurück nach Deutschland geflogen, um meine Wohnung auszuräumen und mich abzumelden. Und das war's.


1E9: Was hat dich denn in Dubai gehalten?


Smuggler: Mehrere Dinge. Zum einen spielte der Konflikt in der Ukraine hier keine große Rolle. Es kamen zwar, aus Angst eingezogen zu werden, viele Ukrainer und Russen hierher – ich habe zeitweise in einer Nachbarschaft gelebt, in der fast nur Russisch und Ukrainisch gesprochen wurde. Aber es war kein dominierendes Thema in den Medien oder im Alltag. Es wurde nicht totgeschwiegen, aber es war etwas, das woanders passierte. Das war “entspannend”.


Zum anderen funktioniert hier einfach vieles so viel besser als in Deutschland. Nicht auf allen Ebenen natürlich, aber vieles ist einfach moderner.  Nicht nur neuer, sondern moderner. Die Behördenprozesse sind so trivial, dass man es sich als Deutscher kaum vorstellen kann. Für meine Residency, also meine Aufenthaltsgenehmigung, habe ich genau einmal mit einem Beamten gesprochen – und für gerade mal zwei Minuten. Er hat lediglich meine Fingerabdrücke genommen. Dann gab es noch einen 15-minütigen Medical Test. Und das war’s an Aufwand für mich. Den Level an “einfach” hier kannst du dir nicht vorstellen.  


1E9: Hast du noch ein paar Beispiele?


Smuggler: Wenn du einen neuen Führerschein brauchst, beantragst du ihn elektronisch und holst ihn an einem Druckautomaten ab – ein paar Stunden später. Die Registrierung meiner Wohnung, in Deutschland ein Fall für das Einwohnermeldeamt, ist hier eher eine Art Vertragshinterlegungsstelle und komplett online. Es gibt eine App dafür. Und eigentlich laufen alle Behördenprozesse über genau zwei Apps.


Für mein erstes Bankkonto habe ich eine App heruntergeladen, und ein paar Stunden später kam jemand mit meiner Kreditkarte vorbei. Mein zweites Bankkonto habe ich in einer Filiale eröffnet, aber auch das hat nur 15 Minuten gedauert.


Im täglichen Leben taucht der Staat praktisch nicht auf. Du siehst ihn nicht, außer du baust Mist. Ansonsten hast du einmal im Jahr mit dem Staat zu tun, nämlich wenn du deinen Mietvertrag erneuerst oder deine Grundsteuer bezahlst. 


Natürlich gibt es Polizei, die irgendwo mal die Straße entlangfährt. Aber meine einzige Interaktion mit der Polizei war, als ich mich verlaufen hatte und nach dem Weg fragen musste.

Es gibt auch diese ganzen Folgeprozesse nicht, die man normalerweise durch Regulierung hat. Ich habe beruflich viel mit großen Geldbeträgen zu tun. Und trotzdem habe ich keine Probleme mit Banking. Es gibt auch kein Problem damit, dass ich in der Kryptoindustrie arbeite oder in Krypto bezahlt werde. Es gibt keine überbordenden Compliance-Prozesse. Meine Banken funktionieren einfach.


1E9: Glaubst du, das alles ist eine Folge davon, dass man hier die Institutionen und ihre Workflows sprichwörtlich auf der grünen Wiese – oder besser gesagt auf der Sanddüne – von Grund auf neu denken konnte? Oder geht man philosophisch anders an den Staat heran?


Smuggler: Es ist beides. Als die Vereinigten Arabischen Emirate 1971 gegründet wurden, gab es ein britisches System, das allerdings zunächst unwichtig wurde, weil die Briten ihr Protektorat beendeten. Zugleich gab es die traditionelle Organisationsform der Gesellschaft, mit Scheichs, Councils und Sprechern – ein tribales Scheichtum. Und die Scheichs sind jetzt visionär und sagen: "Wir nehmen das System, das wir haben und das für unsere Leute funktioniert, formalisieren es etwas mehr und importieren dann die Gesetze, die wir brauchen." 


Ein gutes Beispiel ist das Dubai International Financial Center (DIFC), das praktisch eine Kopie der City of London ist. Es ist eine der sogenannten Free Zones. Im DIFC gilt größtenteils das Common Law, also britisches Recht. Darunter fallen dann alle Verträge. Viele Gesetze wurden direkt aus Großbritannien importiert. Es gibt ein eigenes Gerichtssystem und sogar eine andere Währung – statt Dirham wird der US-Dollar verwendet.


Die Skyline von Dubai bei Nacht.
Dubai beherbergt 3,9 Millionen Einwohner, von denen über 87% Expats sind. Die Wirtschaft wächst jährlich um 3,5-4,5%, angetrieben von Handel (36%), Tourismus (27%) und Finanzen (12%) – während der Anteil von Öl und Gas weniger als 1% beträgt. Das Steuersystem ist äußerst attraktiv: Es gibt keine Einkommens- oder Kapitalertragssteuer, eine pauschale Mehrwertsteuer von 5% und eine Körperschaftssteuer von 9% (oder 0% für Offshore-Unternehmen).

Es gibt mehrere solcher freien Zonen, die eigene Rechtssysteme haben. Das Motto war: "Wir nehmen das Beste, was irgendwo auf der Welt existiert, kaufen es ein und implementieren es, damit Firmen und Industrien in ein System kommen, das sie verstehen." Dadurch zieht das DIFC Industrie und Finanzunternehmen an, die das System schon kennen.


Und der nächste wichtige Punkt ist ein starkes Bewusstsein dafür, dass der Staat als Provider von Services nicht die beste Option ist. Es gibt hier das offizielle Statement: "Wenn der Staat es nicht besser kann als die Privatwirtschaft, sollte der Staat es nicht tun."


Deshalb taucht der Scheich manchmal völlig unangekündigt in einer Behörde auf und kuckt sich die Arbeit an. Wenn es da jemanden gibt, der nichts zu tun hat, wird diese Position sofort gestrichen – nicht erst im nächsten Budgetzyklus. Wenn etwas verschwendet wird oder zu kompliziert ist und jemand im Management das mitbekommt, wird es knallhart gestrichen. Der Staat wurde erfolgreich digitalisiert und die Staatsquote ist dramatisch gering. 


Wobei man auch sagen muss, dass es ja gar nicht so viele Emiratis gibt, die den Job in vertrauenswürdiger Position machen könnten. Es gibt eine Knappheit an Leuten, die man überhaupt in den Staatsapparat reinstecken könnte, die meisten Leute sind halt zugezogen. Der Staat ist hier gezwungen, klein zu sein. Und wenn etwas nicht gut für Business ist, dann wird es halt auch nicht gemacht.


1E9: Wie funktioniert das soziale Netz in einem solchen System?


Smuggler: Es gibt ein Sozialsystem für Emiratis, aber das ist mit unserem in Deutschland nicht vergleichbar. Es besteht im Wesentlichen aus einem Stück Land und einem Kredit. Für die meisten funktioniert das. Wenn du das einigermaßen vernünftig anlegst – und das machen die meisten Emiratis –, wirst du nie das Problem haben, dass du nicht essen kannst.


Du musst kämpfen, um weiterzukommen. Du kannst dich nicht ausruhen.

Es gibt natürlich auch Leute, die durch dieses Netz fallen, und für die gibt es Sozialwohnungen und Sozialjobs, aber es gibt keine automatischen monatlichen Zahlungen. Vielmehr übernimmt der Staat deine Ausgaben nach Anfrage. Ich habe einen Freund, der seinen Job verloren hat und dessen Vater sehr krank ist und gepflegt werden muss. Er ist jetzt im Sozialsystem. Er geht alle paar Wochen hin und sagt: "Ich habe kein Geld, ich kann das nicht ändern, und ich brauche Hilfe." Und er bekommt sie auch.


Aber er muss alle paar Wochen vor einem Komitee seinen Fall schildern. Die Behörden wollen nur wissen, dass du alles tust, was du kannst, um aus deiner Situation herauszukommen. Und wenn du das tust, dann helfen sie auch. Bei echtem Pech helfen sie. Sie helfen nur nicht bei "Der Job war mir nicht gut genug". Das gibt es hier nicht. Du musst kämpfen, um weiterzukommen. Du kannst dich nicht ausruhen.


1E9: Wie sieht es mit der Arbeitslosenversicherung aus?


Smuggler: Es gibt eine Art Pflichtversicherung bei klassischen Arbeiterjobs, die aber nur für maximal 12 Monate in deinem gesamten Arbeitsleben greift. Wenn diese 12 Monate vorbei sind, bekommst du nichts mehr. Du musst hier deinen Wert beweisen, sonst wird es schwierig.


1E9: Kriegt man die Leute mit, die wirklich aus dem System fallen? 


Smuggler: Ja, aber nicht viele. In meinen drei Jahren hier habe ich vielleicht vier Obdachlose gesehen. Aber ich kenne Leute, die es hier nicht geschafft haben und nach Deutschland zurückgegangen sind. 


1E9: Also in Summe ein knallhart auf fachliche Eignung ausgerichtetes Einwanderungssystem, extrem meritokratisch und mit "Aristokraten" in der Führung, die dafür sorgen, dass die Workflows und Befehlswege schlank bleiben… 


Smuggler: Die Befehlswege sind sehr kurz – und das in beide Richtungen. Wenn du ein Problem hast, kannst du dich in einer Schlange anstellen und es dem Scheich erzählen. Er hält Audienz. Wann du drankommst, hängt davon ab, ob du Emirati bist, ob du Muslim bist, wie wichtig dein Anliegen ist... Aber irgendwann kommst du dran. Und dann präsentierst du deinen Case. Und wenn er wichtig genug ist, sagt der Scheich zu irgendeinem seiner hundert Berater: "Du bist jetzt dafür verantwortlich, das zu lösen."


Dann wird das gemacht. Und ein paar Wochen später muss der Berater dem Scheich berichten, wie das Problem gelöst wurde. Und wenn er das nicht kann, wird er gefeuert. Das sind halt die Wege eines kleinen Landes. Eine kleine Größe bedeutet direkte Prozesse.


1E9: Hast du dein eigenes Wertesystem angepasst, seitdem du in Dubai bist? Anarchie, speziell Kryptoanarchie, war ja ein Begriff, der für dich einen hohen Wert hatte – und jetzt lebst du mitten in einer strengen Monarchie…


Smuggler: Nein, in gewisser Weise hat sich das nicht geändert. Ich erlebe hier die Freiheit, die ich immer erkämpfen wollte. Deshalb funktioniert es hier für mich. So einfach ist das. Jetzt muss ich natürlich dazu sagen, dass ich keinen Freiheitsbegriff habe, der ohne jegliche Grenzen ist. Man muss beweisen, dass man zur Freiheit fähig ist.


Du kannst nicht einem psychotischen Menschen eine Waffe in die Hand drücken und sagen: "Sei frei." Das geht nicht. Im Kontext von Covid haben wir das eindringlich erlebt. Wir haben Leute gesehen, die mit Freiheit umgehen können, und Leute, die damit definitiv nicht umgehen können. Und das ist schon immer meine Position gewesen, dass Freiheit verdient werden muss.


Ich glaube, dass ich die Freiheit, die ich verdiene, hier tatsächlich habe. Mit ganz wenigen Abstrichen. Es gibt hier einfach keinen Staat, der ständig in mein Leben eingreift. Natürlich gibt es Gesetze und Überwachung. Aber sie werden nicht gegen mich benutzt. Sie sind ausreichend begrenzt.


1E9: Aber wie gehst du als freiheitsliebender Mensch mit der absoluten Monarchie um?


Smuggler: Ich war immer ein Fan von Monarchien. Ich betrachte mich eigentlich als Anarcho-Monarchist. Ich glaube tatsächlich, dass es ein Symbol geben muss, um das sich Gesellschaften herum bilden können. Und einige Symbole, die historisch relativ gut funktioniert haben, sind Monarchen – die nicht notwendigerweise wirklich Macht brauchen, aber die als Visionäre und als moralische Instanz vorangehen. Das hilft Gesellschaften sehr. Und das ist etwas, das man hier extrem stark sieht.


Zum Beispiel ist es unter Emiratis gerade super populär, sehr viel Sport zu treiben. Der Grund dafür ist, dass der Scheich irgendwann gesagt hat: "Ich muss ein bisschen mehr auf meine Gesundheit achten, ich fange jetzt an, Sport zu treiben." Und dann hat jeder andere gesagt: "Oh, wenn der das macht, dann sollten wir das auch machen." Und weißt du was? Ich habe auch angefangen, Sport zu treiben (lacht).


Ich brauche die Revolution hier nicht.

Das ist inspirierende Leadership. Das ist ein Mensch, den man wirklich respektieren kann. Der hat gute Ideen, der sagt gute Sachen, der mischt sich nicht in Dinge ein, in die er sich nicht einmischen muss. Der ist klug, der ist weise, der verarscht die Leute nicht und erzählt nicht nur, was die nächste Wahlstimme einbringt. Und die Auswirkungen spürt man in der Gesellschaft definitiv, insbesondere bei den Emiratis, aber auch bei Zugezogenen, die schon lange hier sind. Was er sagt und was er als Werte vorlebt, das inspiriert die Leute. Und die versuchen, das nachzuahmen. Das ist die Funktion ist, die der Monarch im Anarchomonarchismus hat: Er ist der Typ, der inspiriert. 


Was sich also für mich geändert hat: Ich muss hier nicht für die Freiheit, die ich brauche, kämpfen. In Europa gab es immer einen Konflikt und immer eine Suche nach Wegen. Hier muss ich das einfach nicht machen. Ich brauche die Revolution hier nicht.


1E9: Was ja ein Privileg ist…


Smuggler: Natürlich ist es ein Privileg. Ich bin super froh, hier zu sein. Will ich immer noch das Gleiche? Ja, aber ich habe es hier. Das ist der Unterschied. Und natürlich gibt es Sachen, die ich mir besser wünschen würde. Aber das ist hier so wenig, dass es sich nicht lohnt, sich darüber aufzuregen.


1E9: Zum Beispiel? 


Smuggler: Dass sich manche Dinge sehr schnell ändern. Ich war letzten Sommer zwei Monate weg, kam zurück und fand mich nicht mehr zurecht, weil die halbe Stadt umgeplant wurde – und nichts davon in den Karten eingetragen war. Sie haben schneller gebaut, als die Daten in Google und Waze aktualisiert wurden. In meinem Automatismus wäre ich fast in die Leitplanke gefahren, weil jetzt nach links ging, wo es eigentlich immer nach rechts ging,


Als Deutscher erwarte ich, dass es einen ausschweifenden Prozess gibt und dann eine Baustelle, die mindestens für ein halbes Jahr brach liegt, damit man sich daran gewöhnen kann, was passiert. Immerhin gibt es da jetzt keinen Stau mehr. Und du merkst: Wenn du dich über so etwas aufregst, dann kannst du dich wirklich über nichts anderes mehr aufregen.


1E9: Wie sieht es mit Überwachung aus? Das war ja immer ein zentrales Thema für dich.


Smuggler: Natürlich gibt es Überwachung, aber sie ist anders ausgerichtet. In Deutschland wirst du überwacht, um sicherzustellen, dass du deine Steuern zahlst, dass du dich an jede kleine Regel hältst, dass du politisch konform bist. Hier wirst du überwacht, um sicherzustellen, dass du keine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellst.


Solange du dich an die grundlegenden Regeln hältst – keine Drogen, keine politische Agitation gegen das System, keine öffentlichen Ausschreitungen – interessiert sich niemand für dich. Du kannst dein Leben leben, wie du willst. Es ist eine andere Art von Freiheit, aber für mich persönlich ist sie wertvoller als die deutsche Version.


1E9: Hat sich dein Blick auf Deutschland aus der Ferne verändert?


Smuggler: Als ich noch in Deutschland gewohnt habe, war mir nicht bewusst, wie viel weiter andere Teile der Welt in vielerlei Hinsicht inzwischen sind. In vielerlei, nicht in jeder natürlich. Das medizinische System ist ein klassisches Beispiel: Innerhalb von vier Stunden bekomme ich in Dubai ein CT samt Auswertung und das kostet meine Versicherung etwa 300 Dollar. Als ich hier kürzlich beim Zahnarzt war, konnte ich den 3D-Scan mitnehmen und meine 3D-gedruckte Zahnspange war am nächsten Tag da. 


Das Bild des Westens von sich selber und vom Rest der Welt hat nicht mehr wirklich viel mit der Realität zu tun.

Und das betrifft nicht nur Dubai, sondern z.B. auch Singapur, Hongkong oder Shenzhen, wo ich oft bin. Diese Orte sind uns in Bezug auf ihre Prozesse, Produkte und den Einsatz von Technologie weit voraus. Deutschland ist in vielen Bereichen erstarrt. Es gibt eine Angst vor Veränderung und eine Risikoaversion, die Innovation und Fortschritt behindert. 


Auch kulturell gibt es so große Unterschiede: Ein Freund aus Großbritannien, der mich kürzlich besuchen kam, war erstaunt, wie zivilisiert es hier zuginge, im Gegensatz zu seiner Heimat. Man sieht keine Betrunkenen auf der Straße, keine Schlägereien, kaum Kriminalität. Ich kann mein iPhone im Straßencafé liegen lassen, um meinen Platz zu reservieren, ohne Angst vor Diebstahl zu haben. Es herrscht ein wesentlich höherer Grad an gegenseitigem Respekt, die Straßen und Parks sind sauber, es gibt keine Graffitis. All das summiert sich zu einem Gefühl, nicht abgehängt zu sein, sondern aktiv an der Zukunft teilzuhaben. 


Und was mir auch immer mehr bewusst wird: Das Bild des Westens von sich selber und vom Rest der Welt hat nicht mehr wirklich viel mit der Realität zu tun. Aber um das zu verstehen musst du wirklich in den Flieger steigen und in andere Gesellschaften eindringen – und nicht nur als Tourist. 


1E9: Hat der Westen in diesem globalen Wettbewerb noch eine Chance? 


Smuggler: Ja, aber nur, wenn wir uns dramatisch verbessern. Das betrifft insbesondere unser politisches System, unsere Gesetze, Prozesse und die Pflege der Infrastruktur. Auch die Offenheit gegenüber Neuem und die Bereitschaft, Experimente zuzulassen, sind entscheidend. Hier in Dubai gibt es überall sogenannte Sandboxes: Wir haben eine neue Technologie und wissen nicht, wie risikoreich sie ist. Also definieren wir einen experimentellen Raum, testen sie und kucken, was dabei rauskommt. So ein Szenario ist hier zwei Telefonanrufe entfernt. Die Geschwindigkeit, mit der der Rest der Welt an der Zukunft iteriert, ist um ein Vielfaches höher als in den “alten” Ländern.


1E9: Wirst du in Dubai bleiben?


Smuggler: Ja, weil es einem Technologen wie mir einfach Spaß macht, Teil dieser Entwicklung zu sein. Dann haben wir halt nächstes Jahr Drone Deliveries und in zwei Jahren fliegende Autos und in fünf Jahren lebt noch mal eine Million Leute mehr hier. Man wacht morgens auf und spürt, dass es vorwärts und aufwärts geht, dass es besser wird. Wenn ich mit Kollegen über Erfolge spreche, freuen sie sich mit mir und fragen, wie ich es gemacht habe, um es selbst auch zu versuchen. 


Das ist eine Mentalität, die ich in Deutschland und in ganze Europa so nie erlebt habe. Hier kommt niemand ums Eck und sagt: “Das hast du aber jetzt nicht mit Siemens gemacht, also können wir das nicht zertifizieren.” Oder: “Hast du daran gedacht, was das mit der Unterschicht macht?”


Die Lösung ist hier nicht zu sagen: “Wir machen es nicht.” Sondern: “Wir gehen jetzt noch einen Schritt weiter und bauen es so, dass jeder teilhaben kann.” Und wenn das dann fünf Dollar mehr kostet, aber 30% Gewinn drin sind, dann ist das etwas, was alle glücklich macht. Erfolg wird hier einfach gefeiert und jeder, der Erfolg hat, ist eine Inspiration für jeden anderen. Nur so kommt man weiter.


Smugglers Talk beim Festival der Zukunft 2025: "From Germany to Dubai: Why a cypherpunk is seeking freedom in the desert" - hier starten!



Krischan Lehmann

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