31. Oktober 2025
Vom Exoskelett bis zum Chip im Gehirn: Der Aufstieg der Augmented Robotics bis 2035

Roboter sind nicht nur technische Gerätschaften, die menschliche Aufgaben übernehmen. In ihrem Buch „20 Trends für 35: Warum vieles besser wird, als Sie denken“ zeigen Thomas Knüwer, Richard Gutjahr und Frank Horn, wie Technologie durch Augmented Robotics in den menschlichen Körper integriert wird – sogar bis ins Hirn. Das kann Krankheiten heilen, das Leben von Menschen mit Behinderungen verändern, aber auch auf gruselige Weise menschliche Fähigkeiten ausbauen. Wir bringen einen Auszug aus dem Buch.
Von Thomas Knüwer, Richard Gutjahr & Frank Horn
„Handys sind für mich Prothesen. Wir vermissen sie, wenn sie nicht mehr da sind“, sagte Amy Mullins 2018 auf der Digitalkonferenz SXSW in Austin. Und die paralympische Sprinterin und Schauspielerin, die schon als Kleinkind beide Unterschenkel verlor, machte eine prophetische Prognose: „Der nächste Schritt werden Prothesen sein, die man nicht mehr ablegen muss.“
Eine solche ist selbst aus der „Lindenstraße“ allgemein bekannt. Das Cochlea-Implantat ist eine Hörprothese, die Gehörlosen und Schwerhörigen hilft, eine hörähnliche Wahrnehmung zu entwickeln.
Künstliche Intelligenz, wissenschaftliche Erkenntnisse und neue Werkstoffe lassen dieses Implantat gestrig wirken: Wir stehen vor einer Ära, in der Augmented Robotics die Idee des Cyborgs, also einer Mischung aus Mensch und Maschine, nicht mehr wie Science-Fiction wirken lassen und wir ein Stück weit neu definieren müssen, was es bedeutet „Mensch“ zu sein.
Wir stehen vor einer Ära, in der Augmented Robotics die Idee des Cyborgs nicht mehr wie Science-Fiction wirken lassen.
Die ersten Beispiele sind selbst dort zu finden, wo die meisten es vielleicht nicht erwarten: auf deutschen Baustellen. Exoskelette sind Gerüste, die in bestimmten Körperregionen menschliche Kraft verstärken oder Belastungen abfedern. Sie mindern bereits heute die physische Belastung, wenn Decken über Kopf abgeschliffen werden oder schwere Lasten gehoben werden müssen.
Der Nutzfahrzeughersteller MAN setzt Exoskelette systematisch bei der Wartung und Reparatur von LKW und Bussen ein. Der Skeletthersteller zeigt, wie die Entwicklungskette dieser Gerätschaften verläuft: Es handelt sich um Ottobock, den Duderstadter Hersteller von Prothesen und Rollstühlen.
In Operationssälen sind Roboterarme schon Alltag. Gesteuert werden sie von Chirurgen, die mit speziellen Joysticks und Monitoren arbeiten. Die Operateure haben dadurch immer einen freien Blick auf die Operationsstelle, während die Roboterarme Schwankungen so gut ausgleichen, dass Chirurgen länger arbeiten können, ohne Angst vor Zittrigkeit zu haben.
Wer den Begriff Augmented Robotics weit dehnen möchte, könnte Wearables wie die Brillen von Meta und Apple hinzunehmen. Doch das wäre unfair, wirken sie doch wie Spielzeug verglichen mit dem münzgroßen Chip in der Schädeldecke von Noland Arbaugh. Von diesem kleinen Implantat ragen Drähte in sein Hirn, die feiner sind als seine Haare. Sie sind so fragil, dass nur ein Operationsroboter sie anbringen kann. Diese Drähte belauschen die Neuronen von Arbaughs Hirn und übermitteln ihre Signale an den Chip.
„Telepathy“ heißt dieses System und Arbaugh, seit einem Schwimmunfall von der Schulter ab gelähmt, ist der Erste, dem es implantiert wurde. Jene Fäden lesen seine Hirnsignale, so dass er einen Computercursor mit Gedanken steuern und sogar Computerspiele bedienen kann, bei denen es nicht um schnelles Ballern geht, zum Beispiel Schach oder Civilization.
Fäden lesen seine Hirnsignale, so dass er einen Computercursor mit Gedanken steuern und sogar Computerspiele bedienen kann.
Hersteller von Telepathy ist Neuralink, ein Startup aus dem Portfolio von Elon Musk. Und so überrascht es vielleicht nicht, dass Arbaughs Implantat Probleme entwickelte. Einen Monat nach der OP hatten sich 85 % jener Fäden vom Chip gelöst, nur ein Software-Update sorgte dafür, dass dem Gelähmten einige der Telepathy-Funktionen erhalten blieben. Ein zweiter Eingriff schuf Abhilfe, nun hofft Arbaugh, eines Tages seinen Rollstuhl mit Gedanken steuern zu können.
Was er in sich trägt, fällt in die Rubrik BCI – Brain Computer Interface. Die Zahl der potenziellen Nutzer einer solchen Technik ist hoch. Laut Morgan Stanley besitzen 16 % der Weltbevölkerung eine mittlere bis schwere Behinderung – von Blindheit bis Querschnittslähmung. Potenziell könnten sie alle von BCI profitieren. Manche werden wieder gehen können, andere sehen, für wieder andere könnte sich das Alltagsleben ein Stückchen einfacher gestalten. Die Marktforscher von The Brainy Insights glauben, dass in den kommenden zehn Jahren der BCI-Markt auf 8,37 Mrd. Dollar wachsen könnte. Auch wenn das zu optimistisch sein könnte: Der serienmäßige Einsatz der Technologie steht bevor.
Die Arbeit in diesem Feld teilt sich in zwei Bereiche. Einerseits, sozusagen, die Software in Gestalt der Übersetzung von Hirnaktivität in mechanische Befehle, andererseits die Hardware, die diese Signale aufnimmt und weitergibt.
Am ersten Bereich forschen Hochschulen wie Unternehmen seit Jahrzehnten. Schon Anfang der Nuller Jahre lasen erste Hirnimplantate Neuronensignale aus, 2017 schrieb Facebook in seinem Firmenblog, dass der Konzern an einem BCI arbeite. Dieses solle wie eine Tastatur funktionieren, nur dass die Nutzer Worte nicht tippen, sondern sie denken. 2023 zeigte die Universität Texas eine Mischung aus MRT und Large Language Model, die unbewusste Gedanken auslesen und verschriftlichen kann. Snapchat und Apple arbeiten ebenfalls an der Erkennung von Hirnaktivität, um ihre Geräte zu steuern.
Auch im Bereich der Hardware sind die Fortschritte beeindruckend. Denn jenes Bohren am Schädel und Einführen von Drähten, das bei Neuralinks Modell nötig ist – das geht auch weniger invasiv.
Synchron aus Brooklyn arbeitet mit Stents, also jenen Hülsen, die ansonsten in der Kardiologie im Einsatz sind, um die Verstopfung von Arterien zu verhindern. Nun werden Stents via Katheter über die Blutbahn in die Großhirnrinde transportiert. Dort angekommen entfaltet sich der Stent und nimmt wie eine Antenne die elektrischen Neuronensignale auf. Ein hauchfeines Kabel leitet sie dann an ein Endgerät weiter. Mehrere Gelähmte können so Texte verfassen, in Kombination mit einer Apple-Brille ist sogar die Steuerung von Haushaltstechnik möglich.
Einen anderen Weg geht Precision aus Manhattan. Das 2021 gegründete Unternehmen hat eine Art Klebefilm entwickelt, der durch einen schmalen Schlitz in der Schädeldecke eingeführt und dann ausgebreitet wird. Im Film enthalten sind dann Elektroden, die Neuronenaktivität messen. Vorteil gegenüber Neuralink: Der Film liegt auf dem Hirn und muss nicht in die Gehirnwindungen eingearbeitet werden. Im April 2025 erteilte die US-Gesundheitsbehörde FDA Precision die Freigabe, um das System bis zu 30 Tage im Körper von Patienten zu belassen.
Mit dieser begrenzten Zulassung ist Precision der größte Hoffnungsträger des BCI-Marktes und damit auch für Millionen von Menschen, die ihre Behinderung überwinden möchten – oder die
Grenzen ihres Körpers.
Die medizinischen Anwendungen stehen nicht für jeden im Vordergrund.
Denn die medizinischen Anwendungen stehen nicht für jeden im Vordergrund. Die chinesische Regierung experimentiert seit fast 10 Jahren mit Kappen, die Hirnaktivitäten von außen messen. Damit wird die Stimmung von Soldaten oder Fabrikarbeitern protokolliert. DARPA, jene Forschungs- und Entwicklungseinheit der US-Streitkräfte, der auch das Internet entsprang, ist ebenfalls im Spiel. 2015 erklärte ein Abteilungsleiter, man arbeite daran, „den Geist von den Limitationen selbst eines gesunden Körpers zu befreien“. DARPA präsentierte bereits einen hochleistungsfähigen Exo-Arm, der mit Hirnwellen angesteuert wird.
Und auch für Elon Musk steht kein wohltätiger Zweck im Zentrum von Neuralink, schreibt das US-Magazin Vox.com. Seine Ambition sei eine Symbiose mit Künstlicher Intelligenz zu erzielen, eine Verschmelzung menschlicher Gedanken mit denen der Maschine. Ansonsten würde der Mensch zurückbleiben, entstehe erst eine Superintelligenz, die das Ziel verfolge, die Menschheit zu vernichten.
Deshalb setzt Neuralink auf derart invasive Technik: Sie ermöglicht eine schnellere Übertragung der Neuronenaktivität, eine Menschmaschine könnte also schneller reagieren und so Kampfroboter besiegen. 2017 schrieb Musk auf Twitter über Telepathy: „Stellt euch vor, Stephen Hawking könnte schneller kommunizieren als ein sehr schneller Sekretär oder ein Auktionator. Das ist das Ziel.“
Die Vision: Wie könnten Augmented Robotics das Leben 2035 beeinflusst haben?
Nichts hat das Alt-Sein mehr verändert als Exoskelette. Alles begann mit MO/GO, einer Kooperation der Outdoor-Marke Arc’teryx und dem Exo-Startup Skip. Sie entwickelten eine Wanderhose mit Exo-Motor am Knie. Sämtliche Chargen des 4.999 Dollar teuren Projektes verkauften sich bereits im Presale 2025 und gründeten eine neue Sportdisziplin: Power-Wandern.
Der Erfolg zeigte, dass Menschen keine Hemmungen haben, sich mechanische Gerätschaften an den Körper zu heften. Gleichzeitig sammelte Skip so viele Erfahrungen mit dem Einsatz seines Modells unter widrigen Bedingungen, dass es zu einem der führenden Exo-Anbieter wurde.
Nichts hat das Alt-Sein mehr verändert als Exoskelette.
2035 haben Teil- oder Ganzkörperskelette Rollatoren weitgehend ersetzt. Nicht nur, weil sie gebrechliche Menschen stabiler auf den Beinen halten. Gleichzeitig sind in ihnen kleine Airbags verbaut, die Stürze mildern. Außerdem hilft ihre Konstruktion, eine physiologisch richtige Haltung zu trainieren und unterstützt den Muskelerhalt im Alter. Deshalb werden die Gerätschaften in der Physiotherapie präventiv eingesetzt, um Bandscheiben-OPs und Fehlbildungen zu verhindern. Im Profisport werden auf diesem Weg dagegen gezielt
Muskelgruppen trainiert, ambitionierte Amateure leihen sich die Skelette bei Spezialhändlern aus, wenn sie sich den Kauf nicht leisten wollen.
Auch in der Arbeitswelt hat Augmented Robotics einiges verändert. Neben den aufwendigen Skeletten für extreme Lasten gibt es nun Exo-Suits, die leicht anzulegen sind und in denen die motorische Unterstützung elegant verbaut ist. Sie sind Alltag in der Kranken- und Altenpflege, bei Feuerwehren und der Polizei.
Die Entwicklung im Bereich der Brain Computer Interfaces verläuft langsamer. Das liegt nicht am Auslesen der Neuronenaktivität. Die Fortschritte in diesem Feld haben eine neue Generation von L ügendetektoren ermöglicht. Statt Körperreaktionen werden nun Hirnströme mit Kappen ausgemessen, die sich die Befragten aufsetzen.
Diese Technik ist das Fundament für Hightech-Prothesen, die sich unter Menschen mit fehlenden Gliedmaßen, aber ausreichend finanziellen Mitteln, verbreiten: Roboter-Arme und -Beine, die über neuronale Signale, gemessen mit Kappen oder Stirnbändern, gesteuert werden.
Allerdings: Die Reaktion dieser Systeme ist noch langsam. Wer Beinprothesen auf diesem Weg verwendet, kann langsam gehen, aber nicht rennen. Dies ist der Übertragungsrate zwischen Hirn und Maschine geschuldet. Weshalb bereits die Higher Tech-Variante vor der Tür steht: Prothesen-Steuermodule von Precision und Neuralink erfordern eine Operation, sind aber rasanter in der Reaktion. Derweil kämpfen die BCI-Anbieter um eine Verwendung ihrer Technik außerhalb des medizinischen Bereichs. Dort können sie tausende erfolgreicher Operationen vorweisen. Nun aber wollen sie an einen margenstärkeren Markt: So mancher Superreiche würde gern auch zum Superdenker. Vorgemacht hat das Elon Musk, 2034 ließ er sich den neuen Neuralink-Chip einsetzen – BCI mutierte zum Status-Symbol.
Die Forschung in diesem Bereich hat sich derweil verschoben. Nachdem das Lesen von Neuronenaktivitäten keine wirkliche Herausforderung mehr darstellt, geht es nun um das Schreiben: Können BCI gezielt Hirnfunktionen beeinflussen?
Wieder werden medizinische Gründe nach vorn geschoben. Wäre dieses Beschreiben der Hirnaktivität möglich, könnten psychische Erkrankungen ohne jedes Medikament und ohne Nebenwirkungen geheilt werden – eine Revolution. Allerdings eine, für die Menschen sich den Kopf aufbohren lassen müssen.
Soldaten könnten jedweder Müdigkeit beraubt und mit Aggressivität vollgepumpt werden.
Diese Beeinflussung dient aber auch düsteren Zielen. Soldaten könnten jedweder Müdigkeit beraubt und mit Aggressivität vollgepumpt werden, gleichzeitig gibt es erste Ergebnisse, dass ihre Sehkraft gesteigert werden kann. Das gilt genauso für ihre Reaktionsgeschwindigkeit: Daten aus Drohnen, Radar und Sensoren werden in Tests in KI-generierte Hochgeschwindigkeitsentscheidungen verwandelt, der Chip im Hirn macht den Soldaten
nur noch zum ausführenden Element – Cyborgs könnten in absehbarer Zeit Realität werden.
Schließlich gibt es eine verlockende Möglichkeit, die auch Musk reizt: Über BCI könnte Wissen ins Hirn transportiert werden. Menschen könnten weitaus mehr lernen als bisher und das innerhalb kürzester Zeit – der Begriff „Superhirn“ bekäme eine neue Bedeutung. Wie das genau gehen soll, ist aber offen.
Die Gesellschaft führt seit Jahren eine andere Diskussion: Fallen die neuronalen Signale unter Datenschutz und Privatsphäre? Die Europäische Union meint: ja. Sie plant einen Brain-Data-Act, um die Nutzung dieser Informationen einzuschränken.
Dieser Text ist ein Auszug des Buchs „20 Trends für 35: Warum vieles besser wird, als Sie glauben“. Erhältlich ist es überall, wo es Bücher gibt. Mehr Informationen: https://www.zwanzigtrends.com
Über die Autoren

Thomas Knüwer (Mitte)
Digitalvordenker, Gründer der Beratung kpunktnull und Mitinitiator der Goldenen Blogger. Zuvor Journalist beim Handelsblatt und Gründungschefredakteur von Wired Deutschland.
Richard Gutjahr (rechts)
Tech-Journalist und Reporter für die ARD. Zuvor u. a. bei Süddeutscher Zeitung und CNN. Lehrt Social Media und Mobile Reporting im deutschsprachigen Raum.
Frank Horn (links)
Partner bei kpunktnull und Experte für digitale Transformation. Zuvor in Führungspositionen bei Bertelsmann, DHL Group und Henkel tätig.

Thomas Knüwer, Richard Gutjahr, Frank Horn
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