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17. Februar 2025

Trotz Stargate, Taiwan und Nvidia: Wo europäische Computing-Start-ups Chancen sehen


Kann Europa im globalen „Chip Krieg“ noch eine Rolle spielen? Ja, meinen erstaunlich viele Start-ups. Sie sehen ihre Chance, obwohl die USA die besten KI-Chips entwickeln und Unsummen in Rechenzentren pumpen, während Asien die Halbleiterproduktion beherrscht. Mit neuen Chip-Architekturen, photonischen Rechnern und Quantencomputern wollen sie in lukrative Nischen vorstoßen.


Von Wolfgang Kerler


500 Milliarden Dollar für amerikanische KI-Infrastruktur. So viel wollen OpenAI, Softbank und Oracle mit Partnern in ihr Projekt „Stargate“ investieren. Und auch, wenn es daran Zweifel von Elon Musk gibt, überzeugte der Plan den wiedergewählten US-Präsidenten Donald Trump. Zur Verkündung des Projekts lud er die Firmenchefs ins Weiße Haus ein.


Ein beträchtlicher Teil des Geldes dürfte wohl an Nvidia fließen, das mit über drei Billionen US-Dollar ohnehin schon am höchsten bewertete Unternehmen der Welt – trotz des Dämpfers, den der Erfolg des chinesischen KI-Start-ups DeepSeek der US-Industrie versetzt hat. Doch ohne modernen Prozessoren von Nvidia kommt derzeit dennoch kein Rechenzentrum aus, das für die Entwicklung und den Einsatz von Künstlicher Intelligenz errichtet wird. Der Boom der generativen KI, ausgelöst durch ChatGPT von OpenAI, beschert dem Unternehmen explodierende Gewinne: fast 20 Milliarden im dritten Quartal 2024.


Gegen die Zahlen, die die amerikanische KI- und Halbleiterindustrie aktuell um sich wirft, muten die 43 Milliarden Euro, die der European Chips Act der EU bis 2030 mobilisieren soll, wie Peanuts an. Kann die EU also einpacken? Nicht unbedingt, denn Geld ist nicht alles. Setzt die EU jetzt auf die richtigen Technologien, aufbauend auf eigener Forschung, könnte sie noch eine Chance haben, beim Thema Computing mitzuspielen.


Darauf hoffen Dutzende europäische Start-ups und ihre Investoren, die im Dezember 2024 in München zusammenkamen – für die „Future of Computing“-Konferenz, organisiert vom gleichnamigen Newsletter und vom TUM Venture Lab Quantum / Semicon, einer Initiative, die Technologie-Start-ups beim Wachstum unterstützt.

 

Mut zur Nische: Start-ups könnten von Lieferengpässen profitieren


Die gut 30 Start-ups, die sich in München mit kurzen Pitches vorstellten, leben derzeit noch bescheiden. Einstellige Millionenbeträge haben die meisten bisher von Investoren eingesammelt, manche zweistellige. Kein Vergleich zu den Milliardenbeträgen, die in den USA fließen.


Aber die jungen Unternehmen blasen auch nicht zum Frontalangriff auf Chipriesen wie Nvidia. Sie setzen auf vielversprechende Nischen. Warum, das erklärt Christopher Trummer, der das TUM Venture Lab Quantum / Semicon leitet.


„Die Kunden merken, dass sie immer schwerer an Chips herankommen und die Preise steigen“, sagt er.  Als weiterer Kostentreiber komme der hohe Energieverbrauch hinzu, gerade von KI-Chips. Zumal es für viele Anwendungen, zum Beispiel in der Industrie, eigentlich keine hochgezüchteten Allround-Prozessoren wie von Nvidia bräuchte, deren Architektur auf der von Hochleistungs-Grafikkarten basiert. „Wir gehen deswegen davon aus, dass sich der Markt fragmentiert. Zwischen den riesigen Konzernen entstehen Nischen für europäische Start-ups, die spezialisierte Hardware entwickeln.“


Christopher Trummer vom TUM Venture Lab Quantum / Semicon bei der Future of Computing-Konferenz in München. Bild: Bert Willer
Christopher Trummer vom TUM Venture Lab Quantum / Semicon bei der Future of Computing-Konferenz in München. Bild: Bert Willer

Die meistens aus Universitäten und Forschungseinrichtungen ausgegründeten Unternehmen profitieren also von der Schattenseite des KI-Booms seit ChatGPT. Dieser sorgte schon 2023 für Lieferschwierigkeiten bei Nvidia, dem Weltmarktführer bei leistungsfähigen KI-Prozessoren. Fast 90 Prozent der deutschen Unternehmen, die im selben Jahr vom Branchenverband Bitkom befragt wurden, meldeten Probleme bei der Halbleiter-Beschaffung. Tendenz: steigend. Ihre größten Sorgen: Lieferverzögerungen und Preiserhöhungen.


Der wachsende Energiehunger, den Rechenzentren für die Entwicklung und Nutzung von KI verursachen und der die globalen Klimaziele konterkariert, wird unterdessen durch keine Meldung besser symbolisiert als durch diese: Microsoft lässt das berüchtigte Atomkraftwerk Three Mile Island wieder in Betrieb nehmen, um Strom für KI zu produzieren.


Daraus folgt: Neue Player, die energieeffiziente Computing-Technologie entwickeln, treffen auf mögliche Kunden, die ihre Abhängigkeit von einzelnen Lieferanten und ihre Kosten senken wollen. Es könnte eine Win-Win-Situation werden.

 

Halbleiter mit In-Memory und Neuromorphic Computing


Die erste Gruppe der Start-ups, die in München pitchten, setzt zwar noch klassisch auf Halbleiter, arbeitet aber an völlig neuen Chip-Architekturen.


Eine davon ist das sogenannte In-Memory Computing. Die Trennung von Prozessor und Speicher, die bei klassischen Chips zum Nadelöhr wird, weil Daten dazwischen hin- und herbewegt werden müssen, wird dabei aufgehoben. Beim In-Memory Computing können Speicherzellen gleichzeitig als Recheneinheit fungieren. Gerade bei KI-Anwendungen soll das sowohl die Geschwindigkeit als auch die Energieeffizienz vervielfachen und die Kosten deutlich reduzieren.


Mit Axelera aus den Niederlanden, Synthara aus der Schweiz und Semron aus Dresden wollen gleich drei der in München teilnehmenden Start-ups mit In Memory-Computing einen wachsenden Markt erobern: Edge AI. Das bezeichnet spezialisierte KI-Anwendungen, die lokal oder auf mobilen Geräten laufen können – ohne Anbindung an die Cloud. Smartphones, Drohnen, Kameras oder Industrieroboter könnte damit komplexere KI-Funktionen bekommen, die bisher am hohen Energieverbrauch von KI-Chips scheitern. Daten müssten außerdem nicht mehr in die Cloud übertragen werden.


Mehr Rechenleistung und Energieeffizienz verspricht auch der Ansatz des Neuromorphic Computing. Auf diese Computing-Architektur, die die Funktionsweise biologischer Gehirne nachahmt und damit völlig anders als klassische Chips arbeitet, haben sich die Start-ups Innatera aus den Niederlanden und SpiNNcloud Systems aus Dresden spezialisiert. Innatera entwickelt neuromorphe Prozessoren, die Sensordaten blitzschnell verarbeiten sollen. SpiNNcloud will hybride KI-Supercomputer ermöglichen.

 

Photonisches Computing: Rechnen mit Licht, produzieren in Europa?


Eine ganze Reihe von Start-ups bei der „Future of Computing“-Konferenz nutzen Licht, also Photonen, um in Computern Daten zu übertragen, zu speichern und zu verarbeiten. Sie ersetzen damit die Elektronen, die in klassischen elektronischen Computern als Informationsmedium zum Einsatz kommen. Das soll mehrere Vorteile bringen: hohe Geschwindigkeit, geringe Wärmeentwicklung und niedriger Energieverbrauch. „Wenn man es richtig hinkriegt, kann man sowohl Geschwindigkeit als auch Energieeffizienz um den Faktor zehn verbessern“, sagt Christopher Trummer. „Bei der Energieeffizienz geht vermutlich sogar noch mehr.“ Die Technologie wird photonisches oder optisches Computing genannt.


Akhetonics aus Berlin und München will „den ersten komplett optischen General-Purpose-Prozessor der Welt“ entwickeln. Linque aus München sieht für seinen photonischen Chip Einsatzmöglichkeiten in Rechenzentren und Supercomputern, aber auch beim Edge Computing. Den „energieeffizientesten KI Data Center Prozessor“ will Lumai aus Oxford auf den Markt bringen. Und Q.ANT aus Stuttgart arbeitet nicht nur an photonischen Chips für KI, sondern auch an Sensortechnologie.


Neben möglichen technischen Vorzügen wäre ein Erfolg für photonische beziehungsweise optische Computer für Europa strategisch von Bedeutung: Denn sie könnten tatsächlich „Made in Europe“ sein, anders als aktuelle Hochleistungsprozessoren, die fast ausschließlich in hochspezialisierten Fabriken in Asien, vor allem in Taiwan produziert werden. „Aus meiner Sicht sind Photonics für Europa deswegen extrem relevant“, sagt Christopher Trummer. „Wir haben nicht nur das wissenschaftliche Knowhow, wir haben auch das Equipment, um leistungsfähige Chips herzustellen – ganz ohne TSMC oder Samsung.“


Datenübertragung mit Photonen statt mit Elektronen bildet auch bei Enlightra aus der Schweiz und NcodiN aus Frankreich das Herzstück ihrer Technologie. Sie arbeiten allerdings nicht an alternativen Prozessoren, sondern wollen in Data Centern die Datenübertragung zwischen elektronischen Prozessoren beschleunigen, um deren Rechenleistung zu steigern. „Aktuell ist die Connectivity zwischen den Chips tatsächlich ein Bottleneck“, sagt Christopher Trummer. „Wer das löst, hat einen riesigen Markt.“

 

Quantencomputer mit Neutralatomen, Ionenfallen, Supraleitern oder Photonen


Die dritte Gruppe von Start-ups wagt sich an den „Heiligen Gral“, wie Christopher Trummer Quantencomputer nennt. „Mit Quantencomputern können Probleme gelöst werden, die mit heutiger Rechenleistung unlösbar sind.“ Einerseits sind sie die bekannteste der zukünftigen Computing-Plattformen, andererseits auch die, deren Marktreife am weitesten entfernt sein dürfte. Welche unterschiedlichen Technologien am Ende zu leistungsfähigen Quantencomputern führen könnten, demonstrierten die Pitches.


Auf neutrale Atome als Qubits setzt planqc aus Garching bei München, eine Ausgründung des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik. ZuriQ aus Zürich rechnet sich dagegen mit Ionenfallen die größten Chancen aus. Auf photonisches Quantencomputing haben sich Quandela aus Frankreich, das britische Start-up ORCA Computing und, ausnahmsweise aus den USA, QC82 fokussiert. Mit supraleitenden Qubits will Peak Quantum aus München, gegründet 2024, skalierende Quantencomputer konstruieren. Und SemiQon aus Finnland arbeitet an einer eigenen Hardware-Plattform auf Silizium-Basis.


Neben den Quantencomputer-Herstellern pitchten auch Start-ups, die zur bisher noch ungelösten Skalierung der Qubitanzahl und der Fehlerkorrektur heutiger Quantencomputer beitragen wollen. Dazu gehörten Qoro Quantum, Qruise und Haiqu. Quantum Grade Materials wiederum will die Gewinnung von Silan-28 sowie German-73d in der Lausitz vorantreiben, wichtige Rohstoffe für die Quantencomputer-Produktion.


Dass Europa bei Quantentechnologien aktuell noch einen Vorsprung vor anderen Weltregionen hat, sogar den größten über alle Zukunftstechnologien hinweg, hieß es übrigens erst kürzlich in einem Whitepaper des World Economic Forums mit McKinsey.

 

Erfolg in der Nische – wie einst Nvidia?


Einige Start-ups, die ihre Pläne präsentierten, gehen Wege abseits der drei vorgestellten Felder. Anabrid aus Berlin stellt Analogcomputer her, die in Verbindung mit digitalen Technologien Rechenleistung und Energieeffizienz bringen sollen. Ubitium aus Düsseldorf will einen universell einsetzbaren Mikroprozessor auf Basis der Open-Source-Architektur RISC-V auf den Markt bringen. Und auf Software zur Entwicklung und Simulation von Chips konzentrieren sich SimBricks, eine Max-Planck-Ausgründung aus Saarbrücken und LUBIS EDA aus Kaiserslautern.


Alle teilnehmenden Start-ups und Speaker der Future of Computing-Konferenz im Dezember 2024 in München. Bild: Bert Willer
Alle teilnehmenden Start-ups und Speaker der Future of Computing-Konferenz im Dezember 2024 in München. Bild: Bert Willer

Für Teilnehmer ohne technischen Background war die „Future of Computing“-Konferenz in München durchaus komplex und kleinteilig – allein wegen der vielen Pitches. Doch gleichzeitig bot sie einen guten Überblick, mit welchen meist in Europa erforschten Technologien junge Start-ups vom KI-Boom und bei zukünftigen Computing-Plattformen profitieren wollen. Mit In-Memory- oder Neuromorphic-Computing soll das Geschäfts mit Edge AI in den nächsten Jahren erschlossen werden. Dann folgen optische Computer für spezifische Anwendungen und Quantencomputer, die zunächst wohl ebenfalls nicht universell einsetzbar, sondern für bestimmte Anwendungsfälle Mehrwert bringen werden.


Es geht also um Nischen. Doch damit muss es nicht enden, meint Christopher Trummer: „Nvidia hat schließlich auch mit Grafikkarten für ein paar Gamer angefangen und ist jetzt der dominante Player bei KI.“

Wolfgang Kerler

Wolfgang Kerler

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Kommentare (4)

Coole Perspektive, dass Knappheit zu Kreativität führen kann.


"Fast 90 Prozent der deutschen Unternehmen, die im selben Jahr vom Branchenverband Bitkom befragt wurden, meldeten Probleme bei der Halbleiter-Beschaffung. Tendenz: steigend. Ihre größten Sorgen: Lieferverzögerungen und Preiserhöhungen"


Dasselbe passiert momentan mit Grafikkarten, die viele Tensor Cores haben. Die benötigt man, um neuronale Netze zu trainieren. Wer vor einem Jahr eine RTX 4090 Founder Edition gekauft hatte, hat heute einen Profit von um die 1.000 Euro gemacht.

1
Wolfgang Kerler
Wolfgang Kerler
Admin
vor 5 Tagen
Antwort an

Interessant! Das zeigt, dass die Nachfrage kaum bedient werden kann. Dass die USA irgendwann auch ihre Partner bei der Belieferung durch US-Hersteller benachteiligen, würde ich auch nicht ausschließen.


florianpinzel
florianpinzel
06. Feb.

Ein wirklich lesenwertes Review der Future of Computing 2024 und eine Hoffnung machende Perspektive 🚀 Die vielleicht wichtigste Nachricht hast du bestens herausgearbeitet: Nischen besetzten und ausbauen! Was in der allgemeineren Berichterstattung zu Mikroelektronik inkl. Halbleiterproduktion und Computing nämlich häufig kurz kommt ist, dass auch europäische Unternehmen und Start-ups hin und wieder eine starke Position haben. So beträgt der Marktanteil von EU-Unternehmen an Mikrokontrollern ca. 50%, an nicht-optischen Sensoren ca. 40% und an Leistungselektronik/Powermanagement ca. 25%. Forschung im Bereich Quantum Computing auch exzellent. Für alle die tiefer in die Materie eintauchen möchten sind noch diese beiden Studien empfohlen: 1) ZVEI-Studie: Die Bedeutung und Wirtschaftlichkeit der Mikroelektronikförderung 2) EE Times: Silicon 100 Start-ups worth watching 2024. Synthara und Axelera AI sind hier ebenfalls gelistet.




ps Persönlich freut es mich natürlich ganz besonders, dass mit Semron und SpiNNcloud zwei in Dresden beheimatete Start-ups ihre Technologie gepitcht haben - Let's Go🚀

3
Wolfgang Kerler
Wolfgang Kerler
Admin
vor 5 Tagen
Antwort an

"Was in der allgemeineren Berichterstattung zu Mikroelektronik inkl. Halbleiterproduktion und Computing nämlich häufig kurz kommt ist, dass auch europäische Unternehmen und Start-ups hin und wieder eine starke Position haben." Das ist ein sehr wichtiger Punkt! Am Ende wäre schon viel gewonnen, wenn Europa in der Wertschöpfungskette mit wichtigen Bauteilen unverzichtbar ist - noch stärker als heute. Zeiss und Trumpf (dazu gehört Q.ANT, auch im Artikel) sind dafür gute Beispiele.


Danke für die Links zu den spannenden Papern!


Und, ja, Dresden taucht bei dem Thema sehr oft auf :) Da läuft irgendwas sehr gut.

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