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28. April 2025

Das deutsche Start-up Focused Energy will bis 2037 das erste Fusionskraftwerk bauen


Das weltweit erste Fusionskraftwerk soll in Deutschland in Betrieb gehen. So will es die neue Bundesregierung und fördert dafür die Fusionsforschung in Deutschland. Das Start-up-Unternehmen Focused Energy, das als eines der technisch vielversprechendsten weltweit gilt, will diesen Wunsch in die Tat umsetzen – und setzt dabei auf Laserfusion. Dennoch fordert sein Gründer den Ausbau von Solar-, Wind- und Wasserkraft. Denn Fusionsenergie sei keine Zauberkraft.

 

Von Michael Förtsch

 

Es ist ein großes Versprechen: Energie im Überfluss – und das sauber und kostengünstig. Ganz einfach, indem man den Prozess nachstellt, der die Sonne seit Milliarden von Jahren an Leuchten hält. Statt Atome zu spalten, werden sie miteinander verschmolzen und setzen dabei ungeheure Mengen an Energie frei. Das ist Kernfusion. Seit Jahrzehnten forschen Wissenschaftler auf der ganzen Welt, um diese Vision Wirklichkeit werden zu lassen. Die USA investieren derzeit Hunderte von Millionen. In China entstehen riesige Versuchsanlagen, die die technologische Vormachtstellung der Volksrepublik sichern sollen. Und nun steht im schwarz-roten Koalitionsvertrag: „Der erste Fusionsreaktor der Welt soll in Deutschland gebaut werden“. Das sorgt bei manchen für Begeisterung, aber auch  für Irritationen – und sogar Spott. Denn wie soll ausgerechnet das kleine Deutschland da mithalten, fragen sich Kritiker. Vor allem aber: Ist die Fusionsenergie wirklich in absehbarer Zeit wirtschaftlich machbar? Oder doch nur ein wissenschaftliches Luftschloss und geldverbrennender Hokuspokus?

 

Markus Roth kann die Skepsis durchaus verstehen. „Fusion ist immer 30 Jahre entfernt zu jedem beliebigen Zeitpunkt, wenn man fragt“, scherzt der Physiker und Mitbegründer des deutschen Fusions-Start-ups Focused Energy im Gespräch mit 1E9. Denn seit Beginn der Fusionsforschung gab es immer wieder ernüchternde Ergebnisse, neue Herausforderungen, technische und politische Hürden, die die Wissenschaftler erkennen ließen: Ganz so einfach ist es leider nicht. Hinzu kamen mehrere vermeintliche Durchbrüche und Sensationserfolge, die sich im Nachhinein als Irrtum oder gar Betrug herausstellten – und die Fusion insgesamt in Misskredit brachten. Sei es das argentinische Huemul-Projekt, die angebliche Fusion bei Raumtemperatur oder die Bubble Fusion. „Es ist nun mal das komplizierteste Experiment der Menschheit“, sagt Roth. „Wir erschaffen einen künstlichen Stern und den melken wir dann ab.“

 

Dennoch ist Strom aus Kernfusion heute näher denn je, glaubt Roth. Die Fusion sei auf dem Weg von der Grundlagenforschung „in die Machbarkeit“. Und: „Ich glaube, das ist ein wesentlicher Schritt, bei dem ein Land wie Deutschland vorne mit dabei sein sollte.“ Der Grund für die Zuversicht: Im Jahr 2022 gelang der National Ignition Facility des Lawrence Livermore National Laboratory in den USA erstmals eine Kernfusion, bei der mehr Energie freigesetzt als für die Initiierung der Reaktion eingesetzt wurde – wenn auch weniger, als für den Betrieb der Gesamtanlage nötig war. „Sie haben den so genannten Scientific Gain erreicht“, sagt Roth, der als Postdoktorand selbst am Lawrence Livermore National Laboratory gearbeitet und das Verfahren mitentwickelt hat. Ein Meilenstein, der auch für den Hype um die mittlerweile Dutzenden von Fusions-Start-ups weltweit mitverantwortlich ist. Diese haben mittlerweile Milliarden an Investorengeldern eingesammelt und verfolgen unterschiedlichsten Theorien und Ansätze.

 

Der deutsche Physiker und Professor für Laser- und Plasmaphysik an der TU Darmstadt ist überzeugt, dass er und sein Team mit der internationalen Konkurrenz mithalten – ja, sogar gegen sie bestehen – können. Denn Deutschland verfüge über einige der weltweit besten Wissenschaftler, Ingenieure und Industrieunternehmen, um den Traum von der Kernfusion Wirklichkeit werden zu lassen. Zumindest nach dem Konzept, das Focused Energy verfolgt. Es soll das Verfahren perfektionieren, mit dem das Team des Lawrence Livermore National Laboratory bereits erfolgreich war. Dafür setzt es auf Laserlicht und kleine Brennstoffkügelchen, kurz gesagt auf die Laserfusion.

 

Laser statt Magneten

 

Markus Roth gilt in Deutschland als Ausnahmewissenschaftler auf dem Gebiet der Fusionsforschung. Seit über 25 Jahren beschäftigt er sich mit der Frage, wie die Energiequelle der Sonne in einem Reaktor nachgestellt und nutzbar gemacht werden könnte. Im Jahr 2019 wollte ihn Marvel Fusion als Chefwissenschaftler gewinnen – eines der ersten Start-ups in Deutschland, das sich zum Ziel gesetzt hatte, die Fusion als privates Unternehmen zu realisieren. „Eine verrückte Idee“, lacht Roth. Aber die Chance, dabei zu sein, falls es klappen sollte, wollte er sich nicht entgehen lassen – und stieg ein. Doch schon nach einem Jahr ging er wieder – ihm folgten weitere Wissenschaftler. Zum Grund kann Roth nichts sagen. Er habe sich zur Verschwiegenheit verpflichtet und sich „in bestem Einvernehmen“ von Marvel Fusion getrennt. Mutmaßen zufolge gab es jedoch Meinungsverschiedenheit über den erfolgversprechendsten Weg hin zur Kernfusion.

 

Aber anstatt als Lehrprofessor an die Universität zurückzukehren, beschloss Roth Mitte 2021 zusammen mit anderen ehemaligen Marvel-Fusion-Mitarbeitern, „die Idee weiterzuverfolgen, die wir hatten“ – eben die Fusion mit Laserstrahlen. In dem Reaktor, den er und seine Mitarbeiter planen, sollen wenige Millimeter große Kügelchen aus maximal 2,5 Milligramm Deuterium und Tritium – auch Targets genannt – mit starken Lasern beschossen werden. Deuterium ist Wasserstoff, aber mit einem zusätzlichen Neutron im Kern. Tritium dagegen besteht aus einem Proton und zwei Neutronen. Rund tausend Laserstrahlen erhitzen und verdichten die Pellets und zwingen die beiden Elemente zur Fusion: Sie verschmelzen zu Helium und setzen dabei jeweils ein Neutron frei – und jede Menge Wärmeenergie. Die Wärme wird genutzt, um Wasser zu verdampfen. Der Wasserdampf wiederum treibt Turbinen an, die Strom erzeugen.


Bis zum Kraftwerk ist es noch ein weiter Weg. Bisher sieht eine Versuchsanlage mit Lasern für die Fusion so aus.
Bis zum Kraftwerk ist es noch ein weiter Weg. Bisher sieht eine Versuchsanlage mit Lasern für die Fusion so aus.

Im Grunde sei das also ganz einfach, meint Roth. Die Herausforderung sei, es technisch sicher und effizient umzusetzen. Denn zehn solcher Kügelchen müssen pro Sekunde zuverlässig gezündet werden. Wie in einem Motor, in dem Benzin zur Explosion gebracht wird. Möglichst 45 Prozent der freigesetzten Energie wollen die Darmstädter dann in nutzbaren Strom umwandeln. „Das war die Idee für Focused Energy“, sagt Roth.  „Und manchmal hat man Glück mit dem Timing. Vier Wochen später wurde [von der National Ignition Facility] das erste Mal erfolgreich die Fusion [mit dieser Methode] gezündet.“ Laut dem Wissenschaftler sei die Laserfusion aber nicht nur aufgrund dieses starken Funktionsbeweises die beste Wahl. Sie habe auch einen grundsätzlichen Vorteil. vor allem gegenüber der magnetisch eingeschlossenen Fusion, wie sie mit Tokamak- und Stellaratorreaktoren versucht wird.

 

Während Magnetfusionsanlagen aus eng miteinander verflochtenen Bauelementen gebaut werden und funktionieren müssen, ist die Laserfusion ein „inhärent modulares Konzept“, wie Roth sagt. „Das heißt, wir können die Lasersysteme unabhängig von den Targets entwickeln, wir können die Targets unabhängig vom Reaktordesign entwickeln. Und auch die einzelnen Aufgaben der verschiedenen Systeme in einem möglichen zukünftigen Kraftwerk sind klar voneinander getrennt“. Das mache die Forschung und Entwicklung eines Laserfusionskraftwerks potentiell einfacher und womöglich auch günstiger. Denn funktioniere ein Teil der Anlage nicht wie geplant, könne es unabhängig vom Rest überarbeitet und verbessert werden, statt das gesamte System neu planen und bauen zu müssen.

 

Sollte sich etwa herausstellen, dass die Laserleistung nicht ausreicht, könnte die Anlage einfach um weitere oder stärkere Laser erweitert werden, die unabhängig in Gebäuden außerhalb der Reaktorhalle betrieben werden. Entspricht die Reaktorkammer nicht mehr den Anforderungen, kann sie ebenfalls einfach durch eine neue ersetzt werden, ohne dass der Rest der Anlage wesentlich verändert werden muss. Bei den komplexen Reaktoren der Magnetfusion, die aus stark miteinander verzahnten Teilen bestehen, ist das nicht möglich. „Wenn dort etwas kaputt geht, muss man die Maschine komplett zerlegen“, betont Roth. Der Reaktor einer Laserfusionsanlage sei dagegen nur „ein Kochtopf mit Löchern für die Laserstrahlen“.

 

Mit seiner Einschätzung will der deutsche Physiker die Magnetfusion keineswegs diskreditieren. Er hält sie grundsätzlich für machbar und ist beeindruckt von den Fortschritten der letzten Jahre. Er sagt auch ganz offen: Ob die Laserfusion oder ein anderes Konzept zum Erfolg führt, „das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht sagen“. Deshalb plädiert er dafür, dass beide Konzepte verfolgt werden sollten. Ebenso betont er, dass Focused Energy enge Beziehungen zu Konkurrenten wie Proxima Fusion und Gauss Fusion unterhält, die auf Magnetfusion setzen. „Wir sprechen miteinander“, sagt Roth. „Wir haben ja auch gemeinsame Forschungsprogramme.“ Denn es gebe viele Überschneidungen, was den Bedarf bei Materialien und Systemen angeht. Aber: „Diese ganzen Probleme, die die Magnetfusion in den letzten Jahrzehnten hervorragend angegangen ist und Teile davon gelöst hat, sind alles Probleme, die die Laserfusion von vornherein eigentlich nicht hat“, sagt er. Deshalb sei die Laserfusion für ihn und sein Team die logische Wahl.

 

Kernfusion in Biblis?

 

Derzeit arbeiten rund 80 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus zwölf Nationen bei Focused Energy. „Darunter sind auch die Wissenschaftler, die am Lawrence Livermore National Laboratory die Fusion erfolgreich gezündet haben“, sagt Roth. „Das hat uns natürlich einen enormen Schub gegeben.“ Wenn es nach dem Team geht, soll es durchaus zügig vorangehen. Schon in einem Monat soll das Labor in Betrieb gehen, in dem die kleinen Fusionskügelchen entwickelt und später in großen Mengen produziert werden sollen. Parallel dazu forscht eine Gruppe an den Lasersystemen, die die Fusion einmal auslösen sollen. Sie sollen um ein Vielfaches leistungsstärker, energieeffizienter und schneller sein als jene, die bei der erfolgreichen Fusion vor drei Jahren der National Ignition Facility zum Einsatz kamen. Die ersten acht sollen bis 2026 fertiggestellt und getestet werden.

 

Das erste Kraftwerk, das Strom erzeugen soll, will das Start-up etwa Mitte des nächsten Jahrzehnts in Betrieb nehmen – und zwar auf dem Gelände des ehemaligen Kernkraftwerks Biblis. Denn dort sei die gesamte Infrastruktur bereits vorhanden, die es für eine solche Anlage braucht. „Wir gehen davon aus, dass wir bis etwa 2037 brauchen“, sagt Roth. Bei dieser Anlage soll es sich noch um einen Prototyp handeln. Sie würde nicht rund um die Uhr laufen und noch keinen Strom zu marktfähigen Preisen produzieren. Aber diese Pilot Fusion Plant – so die offizielle Bezeichnung – soll nachvollziehbar zeigen, dass die Fusionstechnik zuverlässig funktioniert. „Das wäre dann auch das Kraftwerk, das sich die Bundesregierung auf die Fahnen geschrieben hat“, sagt Roth. Aber noch wichtiger: Es wäre, wenn alles nach Plan verläuft, der Weg hin zur Kommodifizierung der Fusionsenergie.

Markus Roth wird dieses Jahr auf der Dome Stage des Festivals der Zukunft zusammen mit anderen Pionieren über „Fusion Made in Germany“ debattieren – am 3. Juli im Forum der Zukunft des Deutschen Museums. Hier findet ihr alle Informationen zum Event!
Markus Roth wird dieses Jahr auf der Dome Stage des Festivals der Zukunft zusammen mit anderen Pionieren über „Fusion Made in Germany“ debattieren – am 3. Juli im Forum der Zukunft des Deutschen Museums. Hier findet ihr alle Informationen zum Event!


„Sobald wir gezeigt haben, dass man mit einem solchen Kraftwerk Strom produzieren kann, da haben wir bereits die klare Aussage aus dem Umfeld der Energieversorger, spielen Milliarden-Investitionskosten keine Rolle mehr, um diese Kraftwerke zu bauen“, sagt Roth. Das erste kommerzielle Kraftwerk könnte daher schon 2040 oder 2042 ans Netz gehen und Strom zu „attraktiven Preisen“ für mehr als 2,5 Millionen Haushalte liefern – vielleicht auch mehr. Dieses First-of-a-Kind würde voraussichtlich direkt neben dem Prototyp in Biblis entstehen. Danach sollen weltweit zahlreiche weitere Kraftwerke nach seinem Vorbild gebaut werden. Dennoch warnt Markus Roth davor, sich zu sehr auf die Fusionsenergie als Klima- und Weltretter zu verlassen. Im Gegenteil.

 

Kein Argument gegen erneuerbare Energien

 

Nach Ansicht von Markus Roth hat die Fusionsenergie ein enormes Potenzial, die Welt nachhaltig zum Besseren zu verändern. Sie könnte Milliarden von Menschen mit sauberem, sicherem und nachhaltigem Strom versorgen. Allerdings nicht ad hoc. Es sei nicht so, dass man plötzlich weltweit die Stromerzeugung auf Fusionsenergie umstellen könne. „Selbst wenn wir mit der Laserfusion Erfolg haben, werden wir keine 1.000 Kraftwerke pro Jahr bauen können“, sagt Roth. „Und auch wenn wir alle Energieversorger und Kraftwerksbauer für uns gewinnen, gibt es Engpässe bei Rohstoffen, Ressourcen und Lieferketten.“ Sogar im Falle, dass sich auch die Magnetfusion in absehbarer Zeit als machbar erweisen sollte, könnten die Kraftwerke der Welt nicht von heute auf morgen ausgetauscht werden.

 

„Die Fusion darf kein Feigenblatt sein, um jetzt nicht in erneuerbare Energien zu investieren“, sagt der Physiker. „Wir müssen jetzt die Erneuerbaren fördern. Denn das sind die Technologien, die jetzt zur Verfügung stehen und die jetzt die nötige Luft für die Dekarbonisierung verschaffen können.“ Es sei richtig und wichtig, Solar-, Wind- und Wasserkraft jetzt auszubauen und zu nutzen statt darauf zu hoffen, dass sich die Fusionsenergie als energetischer Heilsbringer erweist. Jede Tonne CO2, die eingespart werden kann, sei wichtig. Allerdings ist Roth auch davon überzeugt, dass die Fusion langfristig notwendig ist. „Erneuerbare Energien allein werden Industriestandorte wie Nordeuropa auf Dauer nicht versorgen können“, sagt er. Denn der Energiebedarf steige schneller, als die Effizienz der Erneuerbaren wachse und sie ausgebaut werden könnte. „Es gibt keinen Widerspruch zwischen dem Ausbau der erneuerbaren Energien jetzt und der Fusion in der Zukunft“, meint der Physiker. Europa könne es sich nicht leisten, nicht an der Fusion zu forschen.

 

Michael Förtsch

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