27. März 2025
Wie sich Deutschlands Forschungseinrichtungen neu erfinden sollten

Die Koalitionsverhandlungen in Berlin laufen. Unser Kolumnist Thomas Sattelberger mahnt daher zu einer Neuaufstellung der Wissenschaftspolitik: Die Organisationen, die vom Pakt für Forschung und Innovation profitieren, müssten dazu verpflichtet werden, effizienter mit Steuergeld umzugehen und mehr Start-up-Ausgründungen zustande zu bekommen. Gemeint sind Fraunhofer, Max Planck, Helmholtz und Leibniz.
Eine Kolumne von Thomas Sattelberger
Die Evaluierung zur Halbzeit des 2019 auf zehn Jahre abgeschlossenen Pakts für Forschung und Innovation (PFI) steht 2025 an. Die „Fetten Katzen“ Max Planck, Fraunhofer, Helmholtz und Leibniz, wie ich sie nenne, sollen auf den Prüfstand. Dazu muss man wissen, dass diese Forschungseinrichtungen allein im Jahr 2024 fast 40 Prozent des Einzelplanes des Ministeriums für Bildung und Forschung ausmachen: jährlich um 3 Prozent dynamisiert, steigen diese Fixkosten bis zum Jahr 2030.
Zusammen mit langfristigen Verpflichtungen aus der Hochschulförderung und der Projektförderung sind geschätzt rund 70 Prozent des ministeriellen Haushalts verfixkostet. Dazu kamen im Jahr 2024 gerade einmal rund 16 Prozent BAföG, die Förderung des beruflichen Aufstiegs und Begabtenförderung.
Der Bundesrechnungshof berichtet 2024, dass sich die Kosten für die Wissenschaftseinrichtungen seit 2010 von 3,8 Milliarden Euro auf 7,9 Milliarden Euro im Jahr 2024 mehr als verdoppelt haben. Er sieht auch deshalb keinerlei Anzeichen dafür, „dass die außeruniversitären Forschungseinrichtungen unterfinanziert sein könnten.“ Ganz im Gegenteil: Es gäbe Hinweise darauf, dass sie „zumindest teilweise über das eigentlich tatsächlich notwendige Maß hinaus finanziert sind“.
Der Rechnungshof urteilt nicht unter dem Aspekt, wie Deutschlands Innovationsposition verbessert werden könnte, sondern nur bezogen auf den finanziellen Input. Angesichts dieser Fixkostenstrukturen verbleibt im Haushalt des Ministeriums kaum noch Spielgeld oder auch „Wild Cards“ für neue Innovationsprojekte und Antworten auf potenzielle neue Schlüsseltechnologien.

Thomas Sattelberger
war nach Stationen bei Daimler-Benz, Lufthansa und Continental von 2007 bis 2012 im Vorstand der Deutschen Telekom als Personalvorstand tätig. Von 2017 bis 2022 saß er für die FDP im Deutschen Bundestag und war zuletzt auch Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung.
Finanzieller Input korreliert nicht mit Output und Impact
Wenn das Forschungsministerium noch einigermaßen manövrierfähig bleiben will, muss es an die „Fetten Katzen“ ran: sie zum einen zu Effizienzsteigerungen verpflichten und zum anderen zu besseren Transfer-Ergebnissen. Und wenn es hart auf hart geht, müssen die Paktmittel gekürzt werden. Dass das geht, zeigt gerade das Land Berlin. Übrigens kürzt auch gerade die Schweizer Regierung die Zuschüsse für den Schweizer Nationalfonds, die ETH Zürich und die der EPFL in Lausanne.
Der Wissenschaftsjournalist Jan-Martin Wiarda berichtete dazu im August 2022, dass zwar das Geld verlässlich fließen würde, die Gegenleistung aber so schwammig vereinbart wäre, dass sie fast automatisch als erbracht gelte. „Und wenn doch einmal Zweifel an der Performance bestanden (etwa in Bezug auf die erreichte Diversität des wissenschaftlichen Personals oder die Transfererfolge), gab es hier und da im Bundestag ein wenig Aufregung, aber am Ende doch keine oder fast keine finanziellen Konsequenzen.“ Nichts hat sich seither geändert. Die Planungssicherheit des finanziellen Inputs korreliert bis heute nicht im Geringsten mit dem Output und erst recht nicht mit dem Impact.
Dieses Problem ist vor allem ein Fraunhofer Case: Für die nach eigenen Angaben „Vorreiterin anwendungsorientierter Forschung“ war schon das Jahr 2022 mit 375 prioritätsbegründenden Patentanmeldungen das niedrigste Jahr seit 2012, doch 2023 war mit 406 Patentanmeldungen kaum besser – gegenüber noch beispielsweise 638 Anmeldungen in 2020. Die Zahlen bei Leibniz sinken ebenfalls. Bei Max Planck stagnieren die Werte auf niedrigem Niveau. Nur Helmholtz hat einen guten Aufwuchs.
Fraunhofer ist dabei die einzige deutsche Forschungsorganisation, die 2023 in keiner einzigen der vier European Research Grant-Dimensionen auch nur einen Grant erhielt! Übrigens ist die Forschungsgesellschaft auch bei Lizenzen seit 2012 auf dem absteigenden Ast, während die restlichen drei Katzen stagnieren: von 444 Lizenzen in 2019 auf jetzt 211 in 2023, zwar bei passablen Lizenzerträgen, aber im Sinne einer ABC-Analyse macht gerade „Kleinvieh viel Mist“. Was ja in Zeiten abgemagerter öffentlicher Kassen geradezu unerlässlich wäre.
Bei Ausgründungen, dem „Königsweg des Transfers“ (Ex-Fraunhofer-Präsident Neugebauer) wird die Situation immer schlimmer. Nicht, weil wir noch viel schlechter werden, sondern weil die anderen Nationen immer besser werden. Allein die ETH Zürich hatte in 2023 ein Rekordjahr mit 53 Spin Offs. Zugegeben: Die Schweizer zählen auch Alumni-Gründungen. Doch die vier „Fetten Katzen“ haben es 2023 insgesamt gerade mal auf 51 gebracht. Und die Schweizer legen gerade für 2024 vor: 46 Start-ups wurden aus der Universität heraus gegründet.
Eine einzige Schweizer Universität (!) deklassiert vier sich weltweiter Reputation rühmender deutscher Forschungsorganisationen, die seit Jahren zu mehr Ausgründungen und Transfer generell aufgefordert werden…!
Die Ausgründungsbilanz der Forschungsorganisationen bleibt schlecht
Fraunhofer wie Helmholtz haben in 2022 und 2023 die schlechtesten Ergebnisse seit 2017 (18 beziehungsweise 23 Ausgründungen bei Fraunhofer, 14 beziehungsweise 17 Ausgründungen bei Helmholtz) vorzuweisen. Leibniz krebst seit vielen Jahren meist nur knapp über der Null-Linie herum (zwei Ausgründungen in 2022 und drei Ausgründungen in 2023). Einzig Max Planck steigert sich für seine bescheidenen Verhältnisse überproportional: Sprünge von drei Ausgründungen jeweils in 2020 und 2021 auf elf in 2022 und acht in 2023.
Wenn der Fraunhofer-Präsident Holger Hanselka jetzt einwendet, sein Hauptgeschäft seien nicht Ausgründungen, sondern Kooperationen mit Industrie und Mittelstand, so belegt das eine „Zurück in die Vergangenheit“-Mentalität. Natürlich ist die Innovationskompetenz der etablierten Branchen, die Standbeine unserer Volkswirtschaft sind, zentral für ihr und unser Überleben. Aber wenn wir nicht über den Weg forschungsbasierter Ausgründung neue innovative Spielbeine jenseits unserer heutigen Industrie entwickeln, dann gute Nacht nicht nur gegenüber den DeepTech-Nationen USA und China, sondern schon gegenüber Schweiz und Dänemark.
Deswegen interessiert es auch nicht, ob im Paktbericht vermeldet wird, dass eine überwältigende Mehrheit der Ausgründung einige Jahre überlebt, wenn gleichzeitig Zahlen zu Umsatz- und Beschäftigungswachstum unterschlagen werden. Wer kann denn ausschließen, dass ein beträchtlicher Anteil dieser Ausgründungen nicht Zombie-Start-ups sind?
Auch in Europa wächst die Kritik: Selbst Marc Lemaitre, Director General for Research and Innovation, fordert, dass das European Research Council (ERC) und damit auch die Vergabe von ERC-Grants aufhören müssen, im Vakuum zu agieren und sich der Wettbewerbsfähigkeit stellen müsse. Es ist Zeit, dass auch die deutsche Regierung, egal welcher Couleur, den Weckruf verspürt. Wie passt es angesichts dieser Diskussionen, dass die Forschungsorganisationen in einem FAZ-Artikel an eine neue Bundesregierung nur Forderungen richten, ohne auch nur ein Wort zu verlieren, wie sie ihre eigene Leistung verbessern wollen.
Bereits am 29. Dezember 2021 habe ich während meiner aktiven politischen Zeit im Forschungsministerium eine internationale Benchmark-Studie in Auftrag gegeben und genehmigt. Ziel war es, die PFI-Zielvereinbarungen verbindlicher zu gestalten. Am 3. Februar 2022 habe ich außerdem initiiert, dass gezielte Anreizmechanismen – zum Beispiel leistungsabhängige Vergütungen für Vorstände von Forschungsorganisationen – identifiziert und eingeführt werden.
Bis jetzt nicht geschehen! Jetzt muss die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) ran. Bayerns Wissenschaftsminister Markus Blume hat schon „ambitioniertere Ziele“ gefordert. Andere Landesminister forderten Effizienz! Deutschland braucht endlich jenseits von Nobelpreisen und bescheidenen 908 Millionen von Industrieerträgen, forschungsbasierte Ausgründung in kritischer Masse zum Aufbau nationaler und innovativer Spielbeine unserer Volkswirtschaft. Die geht nämlich den Bach runter und Biontech hat aktuell einen Börsenwert von 27 Milliarden Euro.
Thomas Sattelberger beim Festival der Zukunft 2025!
Unser Kolumnist Thomas Sattelberger wird übrigens beim Festival der Zukunft 2025 von 1E9 und Deutschem Museum dabei sein, Anfang Juli in München. Dort werden wir mit ihm über die Zukunft des Innovationsstandorts Deutschland diskutieren. Komm vorbei!

Thomas Sattelberger
Kolumnist 1E9
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