10. Dezember 2025
Wie KI-Suchmaschinen die Finanzierung von Journalismus noch schwieriger machen

Der Medienbranche geht es seit Jahren schlecht. Und jetzt schlägt auch noch KI zu. Da KI-Chatbots und -Suchmaschinen viele Fragen direkt beantworten, lesen immer weniger Menschen Artikel. Vor allem die KI-Tools von Google treffen Verlage hart – denn der Traffic, den Google auf Medienseiten spült, bricht ein. Dadurch sinken Werbeeinnahmen. War’s das jetzt mit Journalismus als Geschäftsmodell?
Von Wolfgang Kerler
Wer verstehen will, warum Künstliche Intelligenz in Medienhäusern nicht nur Begeisterung, sondern auch existenzielle Sorgen auslöst, muss ihr Geschäftsmodell kennen. Online-Journalismus funktioniert nur, wenn viele Menschen die Inhalte auch sehen. Denn Reichweite entscheidet darüber, wie viel Geld Anzeigen bringen und wie viele Abos abgeschlossen werden. Ohne Reichweite lohnt sich die Arbeit nicht.
Die Reichweite kommt aus unterschiedlichen Quellen: von Social Media, über die eigenen Newsletter, direkte Zugriffe des loyalen Publikums, News-Apps – und von Suchmaschinen, allen voran von Google mit rund 90 Prozent Marktanteil. Bei den meisten Medienhäusern macht der Search Traffic zwischen 20 und 80 Prozent ihrer gesamten Reichweite aus, kann also überlebensnotwendig sein.
Genau da fängt die Geschichte an, zu kippen. Denn KI verändert, wie wir im Internet nach Informationen suchen. Und vor allem, wo wir dabei landen. Angesichts dessen, dass es den meisten Verlagen nie gelungen ist, im Internet so viel Geld zu verdienen wie im Print-Zeitalter – weshalb es seit Jahren fast nur noch Entlassungen gibt –, könnte das an die Substanz der Branche gehen.
Mit KI werden Suchmaschinen zu Antwortmaschinen
Fragen wie „Wie werde ich meinen Schnupfen los?“, „Was ist die beste Reisezeit für Mallorca?“ oder „Welches E-Auto hat die höchste Reichweite?“ bedeuteten früher: Googlen, Ergebnisse durchscrollen, Links öffnen, lesen, weiterklicken, Ergebnisse vergleichen. Heute beantworten ChatGPT, Gemini oder Perplexity das in einem Zug: Ein paar Sätze, gut formuliert, ausreichend für das schnelle Bedürfnis nach Orientierung. KI-Chatbots sind keine Suchmaschinen, sondern Antwortmaschinen.
Dass diese Antworten auf Inhalten basieren, die Journalistinnen und Journalisten für Medienhäuser produziert haben – und die jetzt keine Klicks mehr abbekommen, war vor allem ärgerlich, als es nur um die neuen KI-Chatbots ging. Als Trainingsdaten, aber auch für aktuelle Onlinerecherchen nutzten die KI-Anbieter die Artikel meist ungefragt. Daher folgten Klagen wegen Urheberrechtsverletzungen, wie die der New York Times gegen OpenAI und Microsoft.
Richtig bedrohlich wird die Situation für die Medienbranche erst, seit die KI-Antwortmaschinerie auch dort einzieht, wo sich Milliarden Menschen täglich ihre Informationen holen: in die Google-Suchmaschine. In den vergangenen Monaten integrierte das Unternehmen weltweit seine AI Overviews beziehungsweise „Übersichten mit KI“. In Deutschland wurden sie am 25. März 2025 eingeführt.
Bei den AI Overviews handelt es sich um KI-generierte Kurztexte, die in Kästen über den eigentlichen Suchergebnissen eingeblendet werden – so wie seit ein paar Jahren die Infokästen, die Google zum Beispiel aus Wikipedia ableitet. Doch die AI Overviews sind noch komfortabler: Sie liefern direkte Antworten auf Fragen und sind ausgeklappt oft so lang, dass sie die klassischen Suchergebnisse aus dem Bildschirm verdrängen. Wie ein Mini-ChatGPT direkt in der Google-Suche. Neben den Overview-Kästen werden kleine Logos oder Quellenhinweise angezeigt, aber geklickt wird darauf kaum noch. Die Klickrate liegt unter ein Prozent.
Wie sich diese AI Overviews schon jetzt, aber auch perspektivisch auf die Medienbranche auswirken – und wie diese darauf reagieren kann, haben wir uns für den Thinktank des Mediennetzwerks Bayern angeschaut. Detailliert nachzulesen im Deepdive: Future of Search – Vol. 2, der kostenfrei online abrufbar ist.
Erste Zahlen sind da – und nicht ermutigend: bis zu minus 79 Prozent
Laut einer Datenanalyse von SISTRIX im September 2025 zeigte Google in Deutschland bereits bei rund 17 Prozent aller Keywords AI Overviews an – im Vergleich mit anderen Märkten ein Platz im Mittelfeld. Der britische Guardian zitierte vor einigen Wochen eine Analyse des Dienstleisters Authoritas, die ergab, dass Webseiten, die vorher als Top-Ergebnis auf Google standen, durch AI Overviews bis zu 79 Prozent ihres bisherigen Search-Traffics verlieren. Im Durchschnitt, so Authoritas, sinken die Klicks bei Desktop-Suchen um 47,5 Prozent und bei mobilen Suchen um 37,7 Prozent.
Auch Zahlen aus den USA weisen in dieselbe Richtung: Laut einer Zusammenstellung des Wall Street Journal haben unter anderem Washington Post, Business Insider und HuffPost zwischen April 2022 und April 2025 jeweils rund 50 Prozent ihres organischen Suchmaschinen-Traffics eingebüßt – ein Rückgang, der zeitlich eng mit dem Aufstieg generativer KI und ihrer Integration in Suchmaschinen zusammenfällt.
Wie heftig der Einbruch insbesondere durch AI Overviews in Deutschland ist, war eines der Themen einer Paneldiskussion bei den Münchner Medientagen. Erik Kubitz, Head of AI beim Wort & Bild Verlag, zu dem die im Netz bisher sehr reichweitenstarke Apotheken Umschau gehört, nannte eine konkrete Zahl: „So ungefähr 30 Prozent haben wir schon verloren.“ Besonders bitter sei dabei, dass die eigene Marke in den KI-Antworten zwar als Quelle sichtbar bleibe, die Klicks aber ausblieben.
„Wir werden immer noch angezeigt“, so Kubitz, „aber es kommt immer weniger Traffic auf unsere Seiten zustande.“ Auch bei Burda Forward, dem Medienhaus hinter Portalen wie Focus Online und Chip.de, zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Managing Director Richard Weber differenzierte allerdings zwischen aktuellen News und zeitlosen Inhalten, denn gerade Letztere trifft es aktuell schon: „Wo wir diese 30, 40 Prozent Einbrüche sehen, sind bei Wissen, Gesundheitsfragen, Finanzfragen, Evergreen Content.“
Ganz oder gar nicht: Setzt Google die Publisher unter Druck?
Der zentrale Vorwurf vieler Medienhäuser lautet aktuell: Google lasse ihnen faktisch keine Wahl. Wer weiterhin Traffic aus der klassischen Suche erhalten wolle, weil die eigenen Inhalte dort als Ergebnisse angezeigt werden, müsse akzeptieren, dass die eigenen Inhalte auch in den AI Overviews verwendet werden. Die Branche reagiert darauf mit Beschwerden und Klagen.
„Google platziert seine KI-Antworten vor den Inhalten Dritter und wird damit zum ‚Traffic-Killer‘“, sagte etwa Daniela Beaujean, Geschäftsführerin des Verbands Privater Medien VAUNET in einem Statement für die Allianz der Medien- und Digitalwirtschaft, die im September 2025 bei der Bundesnetzagentur in deren Rolle als Digital Services Coordinator förmliche Beschwerde gegen Googles AI Overviews einreichte. Nach Auffassung der Allianz verletzt Google damit zentrale Vorgaben des Digital Services Act der Europäischen Union.
International wird der Ton noch drastischer. In den USA hat die Penske Media Corporation, zu der Titel wie Rolling Stone und Variety gehören, Klage gegen Google eingereicht. In der Klageschrift heißt es, Google „zwingt Online-Verlage dazu, Inhalte bereitzustellen, die Google ohne Erlaubnis in KI-generierten Antworten erneut veröffentlicht, und konkurriert damit unlauter um die Aufmerksamkeit der Internetnutzer“.
Bei den Münchner Medientagen wurde genau dieser Punkt kritisiert: Die fehlende Trennlinie zwischen klassischer Suche und KI-Antworten. Uli Köppen, Chief AI Officer des Bayerischen Rundfunks, formulierte es so: „Es geht darum, dass eigentlich der Deal mit Google ein bisschen aufgekündigt wird, den wir als Medienhäuser haben.“ Gemeint ist der nahezu stillschweigende Tausch, der jahrelang funktionierte: Medien liefern Inhalte, Google liefert Traffic. Mit den AI Overviews greift dieser Mechanismus nicht mehr, weil Sichtbarkeit in der Suche automatisch bedeutet, dass derselbe Content auch für KI-Antworten genutzt wird – die den Traffic reduzieren. Deswegen beschrieb auch Richard Weber von Burda Forward die Situation als Wahl ohne echte Alternative.
Google wies den Vorwurf eines solchen Zwangs zurück, ohne ihn jedoch auflösen zu können. Jens Riedmer, Principal New Products bei Google, betonte auf dem Panel mehrfach, dass die AI Overviews aus Googles Sicht eine „natürliche Weiterentwicklung“ der Suche seien. Gleichzeitig machte er deutlich, dass KI-Antworten technisch tief mit der bestehenden Suche verwoben sind: Sie entstünden, indem mehrere klassische Suchanfragen parallel ausgeführt und anschließend zusammengefasst würden.
Von KI-Mautstellen bis zu besseren Inhalten: Was Medienhäuser tun können
Um trotz KI-Chatbots und -Suchmaschinen erfolgreich zu sein, müssen Anbieter von Journalismus vermutlich mehrere Maßnahmen ergreifen: Ein erster Strang zielt darauf ab, neue Spielregeln für die Nutzung journalistischer Inhalte durch KI-Systeme zu etablieren: etwa mit einem Modell nach dem Vorbild der GEMA. So wie Musikwerke kollektiv verwertet werden, könnte auch journalistischer Content über eine gemeinsame Organisation lizenziert und vergütet werden, sobald er für KI-Antworten genutzt wird. Die Initiative Really Simple Licensing will genau das möglich machen.
Alternativ werden technische Ansätze entwickelt, die eher wie digitale Mautstellen funktionieren: KI-Crawler dürfen Inhalte lesen und für Antworten verwenden – aber nur unter klar definierten Bedingungen und idealerweise gegen Bezahlung pro Nutzung. Etablierte Unternehmen wie Cloudflare mit einem „Pay-per-Crawl“-Ansatz oder Start-ups wie TollBit versuchen genau das umzusetzen.
Solche branchenweiten Lösungen könnten langfristig den Flickenteppich an Einzelabkommen ersetzen, der sich derzeit vor allem zwischen großen Playern bildet: OpenAI hat etwa Deals mit Axel Springer (Bild, Welt), Vox Media, der Associated Press, News Corp und The Atlantic abgeschlossen, Google kooperiert unter anderem mit der AP und Reddit, Amazon mit der New York Times, Perplexity beteiligt Partner wie Der Spiegel, TIME oder Fortune über sein Publishers’ Program an Werbeumsätzen. Für kleinere Anbieter wäre ein gemeinsamer Standard deutlich attraktiver als ein Markt, in dem nur wenige große Häuser auf Augenhöhe mit KI-Unternehmen verhandeln können.
Gleichzeitig wird es für Medienhäuser immer wichtiger, sich unabhängiger von Suchmaschinen zu machen. Auf den Medientagen wurde immer wieder betont, dass der Aufbau direkter Nutzerbeziehungen an Priorität gewinnt: über Personalisierung von Inhalten, Newsletter, Apps Bezahlangebote, Community-Building, Veranstaltungen. Wort & Bild etwa arbeitet daran, Gesundheitsangebote stärker zu personalisieren und an registrierte Nutzer auszuspielen. Burda Forward will weg vom anonymen Massen-Traffic, hin zu wiederkehrenden Nutzern, mit denen sich langfristige Beziehungen aufbauen lassen.
Gemein ist diesen Ansätzen die Erkenntnis, dass Reichweite allein nicht mehr genügt – sie muss in einen direkten Draht zum eigenen Publikum verwandelt werden. Und das gelingt nur mit Inhalten, für die Menschen bewusst wiederkommen, statt sie nebenbei aus einer Suchmaschine mitzunehmen.
Parallel dazu experimentieren viele Medienhäuser mit KI als Werkzeug für neue und bessere Produkte. Im Panel schilderte Uli Köppen, wie der Bayerische Rundfunk KI nutzt, um etwa personalisierte Audio-Updates auf Basis regionaler Interessen zu erstellen oder Kommentare auf Nachrichtenseiten zusammenzufassen, um Diskussionen leichter zugänglich zu machen. Weltweit experimentieren Verlage auch mit eigenen Chatbots, die ausschließlich mit vertrauenswürdigen, redaktionell geprüften Inhalten arbeiten.
Sind AI Overviews nur der Anfang – und es wird noch schlimmer?
So engagiert die Debatte bei den Medientagen war – und so hart der verbale Schlagabtausch zwischen Verbänden, einzelnen Verlagen und Google weltweit ist: Medienhäuser und Google wollen sich eigentlich nicht als Gegner gegenüberstehen, die nichts mehr miteinander zu tun haben wollen. Das machen beide Seiten immer wieder klar, auch bei den Medientagen. Jens Riedmer betonte mehrfach, Google habe ein eigenes Interesse daran, dass das Web als offenes Ökosystem funktioniere, in dem verlässliche Informationen verfügbar bleiben. „Das Web muss offen bleiben und ein gesundes Ökosystem zu unterstützen ist das Wichtigste, was wir als Aufgabe haben“, sagte er. Am Ende sind sowohl Google als auch Journalismus-Anbieter getrieben von neuen Playern wie OpenAI, Perplexity und Anthropic.
Die Auseinandersetzung zwischen Google und Publishern dürfte trotzdem weitergehen – die nächste Konfliktzone ist nämlich schon da: Google Discover, der personalisierte Nachrichten-Feed für Smartphones, über den viele Nutzerinnen und Nutzer Artikel entdecken – und der für zahlreiche Medienhäuser zuletzt zu einer der wichtigsten Traffic-Quellen geworden ist. Seit dem Sommer 2025 testet Google, auch dort KI-Zusammenfassungen auszuspielen. Sollten diese flächendeckend kommen, könnten Verlage einen weiteren Zugang zum Publikum verlieren.
Noch gravierender könnte der neue KI-Modus von Google sein, der komplett wie ein Chatbot funktioniert: Antworten stehen im Mittelpunkt, Links rücken in den Hintergrund – die klassische Ergebnisliste verschwindet völlig. Dass die Lage angesichts all dieser Entwicklungen wirklich ernst ist, brachte laut Medienberichten kürzlich Nicholas Thompson, Chefredakteur des Atlantic, intern auf den Punkt: Medien müssten sich darauf einstellen, dass der Traffic von Google irgendwann ganz wegfällt – und ihre Geschäftsmodelle so bauen, als wäre dieser Moment unausweichlich.

Wolfgang Kerler
Chefredakteur
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Ich glaube das, dass besonders die Journalisten in Deutschland diese Entwicklung fürchten. Die Gefahr droht, dass es wieder Meinungsvielfalt gibt, dass politisch gefärbte Berichterstattung und gewohntes AfD-Bashing plötzlich in neutrale Nachrichten übergehen. Das Modell der letzten Jahre war folgendes - Medienhäuser und Zeitungsverlage wurden und werden direkt oder Indirekt von der Regierung durch Anzeigen unterstützt. Die Chefredaktion und Aufsicht- bwz Verwaltungsrat ist in der Regel politisch besetzt. Die vorgegebene Richtung von Haltung und Meinung wird in diesen Häusern top-down kommuniziert und vorgegeben. Da es immer mehr freiberufliche Journalisten gibt, sind die direkt davon abhängig, ob sie im Sinne der Redaktion schreiben. Tun sie es nicht, findet sich ein anderer. Julia Ruh ist nur ein Beispiel von vielen. Und was passiert nun, wenn Google&Co plötzlich auch denjenigen Bürgern eine breite Meinungsperspektive bieten, die bislang nur ARD und ZDF geschaut und die Süddeutsche gelesen haben?