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24. September 2025

Wie Discord in Nepal zum Sturz der Regierung führte – und zur Festlegung einer neuen Führung


Mitte September kam es in Nepal zu großflächigen Demonstrationen und Ausschreitungen. Bei den Versuchen der Regierung, diese niederzuschlagen, wurden mehrere Menschen getötet und hunderte verletzt. Letztlich gelang es der Protestbewegung, die Regierung zu stürzen und mithilfe des Militärs eine neue Führung zu installieren. Dabei spielten Social Media und eine Online-Abstimmung auf einer Chatplattform für Gamer eine zentrale Rolle.

 

Von Michael Förtsch

 

Das zwischen China und Indien gelegene Nepal gilt als eine der schönsten Regionen der Welt. Es zieht sich quer über einen Teil des Himalaya-Gebirges und bietet dadurch eine beeindruckende Bergkulisse. Aufgrund seiner überwiegend hinduistischen Bevölkerung ist das Land von unzähligen Tempeln und Schreinen übersäht – und nicht wenige der Einwohner ehren die traditionelle Kleidung des Landes.

 

In der vergangenen Woche kam es in Nepal zu schweren Unruhen, Aufständen und einem abrupten Sturz der bisherigen Regierung, der von unglaublichen Bildern und Videos begleitet wurde. Verantwortlich dafür war vor allem der junge Teil der nepalesischen Bevölkerung. Auslöser war unter anderem der Versuch der Regierung, Social-Media-Plattformen zu blockieren. Die neue Regierungsspitze wurde dann auf einer Plattform gewählt, die ursprünglich als Community-Dienst für Gamer gedacht war.

 

Doch auch wenn die Ereignisse spontan wirkten, waren sie es nicht. Seit Jahren wuchs in der Gebirgsnation bereits der Unmut. Viele Orte jenseits der Hauptstadt Kathmandu sind nur mangelhaft an das Internet und den Mobilfunknetz angeschlossen. Zudem sind Straßen und Brücken seit Jahren schlecht gewartet und daher während der Regenzeit kaum oder gar nicht nutzbar. Dadurch kommt es regelmäßig zu Versorgungsengpässen bei Märkten, Krankenhäusern und Tankstellen.

 

Etliche Schulen sind in schlechtem Zustand. Es fehlen Lehrkräfte – und für junge Menschen gibt es nur wenige Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten. Fast 20 Prozent der Nepalesen leben unter der Armutsgrenze. Jene, die die Möglichkeit dazu haben, verlassen das Land. Sie arbeiten in Indien, Bangladesch oder Malaysia und schicken Geld an ihre Familien zu Hause.

 

Der Grund für diese Zustände? Kein Geld für Investitionen. Die Ursache dafür? Wie ein Großteil der Bevölkerung vermutet und NGOs wie Transparency International mehrfach feststellten: Missmanagement, massive Korruption und die Veruntreuung von Regierungsmitteln. Allein beim Bau des internationalen Flughafens in Pokhara sollen über 60 Millionen Euro – fast ein Viertel der Gesamtkosten – unbeobachtet abgeflossen sein. Das für den Auftrag verantwortliche chinesische Bauunternehmen soll laut einem Bericht der New York Times nationale wie lokale Politiker bestochen, Teilaufträge nur mangelhaft oder gar nicht fertiggestellt und keine Steuern bezahlt haben. Trotz Ermittlungen gab es keine Folgen für die Verantwortlichen.

 

In anderen Fällen wurden Landstriche von Naturschutzgebieten illegal in Agrar- und Gewerbeflächen umgewidmet oder Grundstücke unter Regierungsverwaltung zu äußerst niedrigen Preisen und suspekten Umständen an Privatpersonen veräußert. Insbesondere bei Regional- und Lokalregierungen besetzen oft Familienmitglieder und Freunde die Posten rund um ranghohe Amtsträger. In den letzten Jahren rätselten zudem viele Nepalesen immer wieder darüber, wie sich manche Politiker und insbesondere deren Nachwuchs trotz der vergleichsweise niedrigen Gehälter für Regierungsmitglieder ihren ausufernden Lebensstil leisten können. Denn diese zeigten sich immer wieder mit luxuriösen Gelände- und Sportwagen, teuren Uhren und Kleidung von bekannten Luxusmarken, bauten sich Villen und zeigten sich auf Reisen in teuren Hotels und Clubs.

 

Die Proteste

 

Bereits seit dem vergangenen Jahr organisierten sich deshalb vor allem junge Menschen im Internet in unabhängigen Chatgruppen und Social-Media-Kanälen. Rückendeckung bekamen sie dabei in diesem Jahr von Hami Nepal, einer Bürgerrechts- und Hilfsorganisation. Diese unterstützt schon seit fast zehn Jahren unversorgte Dörfer in Nepal, hilft bei Katastrophen und versucht, auf verschiedenste Missstände aufmerksam zu machen. Gemeinsam sollten alsbald friedliche Demonstrationen in den größten Städten des Landes abgehalten werden, um Veränderungen und einen stärkeren Kampf gegen Korruption und Nepotismus einzufordern. Dafür sollten etliche bislang verstreute Gruppen koordiniert und mobilisiert werden.

 

In der ersten Septemberwoche beschloss die nepalesische Regierung jedoch abrupt, 26 Social-Media- und Nachrichtenplattformen zu sperren. Betroffen waren unter anderem Facebook, WhatsApp, X, Instagram, Discord, Reddit und YouTube, aber auch die Messenger Signal, Telegram und WeChat. Entsperrt werden sollten diese Dienste erst wieder, wenn sie sich zu lokalen Gesetzen bekennen, also einen lokalen Verantwortlichen benennen und auf Verlangen der Behörden einzelne Inhalte oder Inhalte zu bestimmten Themen löschen, wie es etwa TikTok bereits tat. Laut dem Kommunikations- und Informationsministerium war dies eine Maßnahme gegen Desinformation und Cyberkriminalität. Lokale Aktivisten und internationale Beobachter sahen darin jedoch den Versuch, die Koordination der Protestbewegungen zu erschweren, Zensurinstrumente zu installieren und die Meinungsfreiheit zu untergraben.

 

Die Reaktionen auf die Maßnahmen kamen schnell und waren massiv. Am 8. September versammelten sich Abertausende Menschen auf den Straßen. Es waren keineswegs nur, aber sichtbar viele jüngere und Social-Media-affine Nepalesen, weshalb schnell von den Gen-Z-Protesten die Rede war. Viele nutzten VPN-Dienste, um weiterhin auf die Plattformen zuzugreifen, Informationen von diesen über alternative Kanäle an andere weiterzuleiten und die Organisationsstruktur aufrecht zu halten. Ebenso griffen viele auf dezentrale Messenger oder Offline-Plattformen wie Bitchat zurück. Diese erlauben das Verschicken und Empfangen von Nachrichten über WLAN- und Bluetooth-Netze zwischen verlinkten Smartphones.

 

Die Regierung versuchte, die Demonstrationen zunächst mit Ausgangssperren zu unterbinden und sie dann gewaltsam niederzuschlagen. Dabei wurden Tränengas, Gummigeschosse und Wasserwerfer eingesetzt. Vereinzelt soll auch scharfe Munition verwendet worden sein. Auf Seiten der Demonstranten soll es über 50 Tote und über 1.300 Verletzte gegeben haben. Die Berichte über Gewalt und Tote führte zu einer weiteren Organisation und Eskalation der Proteste. An mehreren Orten schlugen die Demonstranten die Sicherheitskräfte mit Steinen, Stöcken und Fahrzeugen in die Flucht.



Am nächsten Tag unternahm die Regierung hektische Versuche, die Situation zu beruhigen, indem sie die Social-Media-Sperren aufhob. Doch das half nichts. Die Proteste verschärften sich trotzdem nur noch. Den Protestierenden gelang es, das Parlament zu stürmen und in Brand zu setzen. Auch wurden der Finanzminister und der stellvertretende Premierminister aufgegriffen und durch die Straßen gejagt. Das Haus des Finanzministers und Premierministers Khadga Prasad Sharma Oli wurde gestürmt, geplündert und anschließend in Brand gesetzt. Einzelne Politiker und ihre Familien mussten mit Helikoptern aus ihren Wohnungen und Verstecken gebracht werden. Die Regierung hatte die Kontrolle verloren. Daher gab Sharma Oli am Vormittag des 9. Septembers seinen Rücktritt bekannt – und damit das Ende seiner Regierung.

 

Übergangsregierung

 

Nach dem Rücktritt von Oli ging die de facto-Führung an das Militär über, dessen General Ashok Raj Sigdel sich mit Vertretern der Proteste trafen. Sie kamen überein, möglichst schnell eine Führungsperson für eine Übergangsregierung zu etablieren, um das Land wieder zu ordnen. Diese sollte von den Protestierenden vorgeschlagen werden. Anstatt klassische Wahlen abzuhalten, setzte die Gen-Z-Bewegung auf eine digitale Lösung. Auf einem Kanal der vor allem bei Gamern beliebten Social-Media-Plattform Discord, auf dem sich zunächst 100.000 und letztlich bis zu 145.000 Protestierende organisiert hatten, wurden über mehrere Stunden ausufernde Debatten über Kandidaten geführt und anschließend eine Abstimmung abgehalten, an der sich praktisch jeder beteiligen konnte.

 

Am Mittwochabend entschieden sich die am Kanal teilnehmenden Nepalesen für die 73-jährige Sushila Karki. Sie ist für ihren bescheidenen Lebensstil und ihre Unbestechlichkeit als Richterin bekannt und war die erste weibliche Vorsitzende am obersten Gerichtshof Nepals. Sie war eigentlich bereits seit Jahren im Ruhestand. Die Militärführung gab bekannt, den Vorschlag zu akzeptieren. Nach einem Treffen mit Militärvertretern und dem bis dahin noch amtierenden Präsidenten Ram Chandra Paudel wurde Sushila Karki am Freitag als neue Premierministerin vereidigt. Präsident Ram Chandra Paudel löste wenige Stunden später das alte Parlament auf und trat zurück. Unter Sushila Karkis Führung soll das Land stabilisiert und eine Übergangsregierung aufgebaut werden. Außerdem soll unter ihrer Leitung die Organisation der Wahl einer neuen, langfristigen Regierung stattfinden. Diese sollen voraussichtlich am 5. März 2026 stattfinden.

 

Politischer Neustart

 

Genau wie die Proteste über Discord und Co. organisiert worden waren, so wurde auch deren Nachgang organisiert. Abertausende jener Menschen, die zu Beginn der Woche noch protestiert hatten, verabredeten sich nach der Wahl und der Aufhebung von Versammlungsverboten durch das Militär zum gemeinsamen Aufräumen. Steine, Müll und Geröll wurden von Straßen geräumt, ausgebrannte Autos abgeschleppt und Barrikaden zerlegt. Einige Demonstranten nahmen aber auch die Versäumnisse der vergangenen Regierung selbst in die Hand. Sie füllten Schlaglöcher, strichen Hauswände und Bordsteine und fischten Abfall aus Bächen und Flüssen.

 

Viele Beobachter und Experten aus der Region sehen im politischen Neustart und in der digitalen Jugendbewegung sowohl eine Chance als auch eine Herausforderung. Denn die Proteste und deren Folgen haben gezeigt, dass die junge Bevölkerung mehr Teilhabe an der politischen Kultur möchte – und zwar im digitalen Raum, in dem sie mitreden, ihre Meinung dokumentieren und Entscheidungen nachvollziehen kann. Sie will mehr Transparenz und Stimmgleichheit. Gleichzeitig ist die nepalesische Jugend keineswegs homogen, sondern weiterhin von einem offiziell abgeschafften Kastendenken geprägt. Teile sehnen sich nach der im Jahr 2008 beendeten Monarchie zurück. Aber es gibt auch breite Strömungen, die all das überwinden und die nepalesische Gesellschaft neu denken sowie ihr Erbe kritisch aufarbeiten wollen.

 

Michael Förtsch

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