13. Mai 2025
US-Politik und deutsche Industrie: „Sonst bauen andere die Fabriken der Zukunft“

Steckt hinter der Zollpolitik der US-Regierung unter Donald Trump vielleicht doch eine Strategie? Der Technologieexperte und Investor Stefan Fritz hält es jedenfalls für möglich, dass die USA gerade dabei sind, ihr Geschäftsmodell neu zu erfinden. Neben den global aktiven digitalen Plattformen wolle das Land mithilfe neuer Technologien Produktion zurückholen. Für die deutsche Wirtschaft hätte das schwerwiegende Folgen.
Ein Interview von Wolfgang Kerler
Mit seiner erratischen Zollpolitik stiftet US-Präsident Donald Trump Chaos, erschüttert die Finanzmärkte, verunsichert Handelspartner. Kritiker meinen, damit schade er am Ende vor allem den USA. Doch was passiert, wenn sich die USA tatsächlich erfolgreich neu erfinden – und nicht mehr nur als Digitalmacht die Weltwirtschaft dominieren wollen, sondern auch wieder als Produktionsstandort?
Der Investor und Unternehmer Stefan Fritz lebt seit einiger Zeit auch in den USA. Im Gespräch mit 1E9 spricht der Technologieexperte über das mögliche Ende von Deutschlands globalem Erfolgsmodells als Maschinenbauer der Welt – und erklärt, warum gerade deutsche Mittelständler jetzt viel größer denken müssen als je zuvor.
1E9: Stefan, du lebst seit einigen Monaten mit deiner Familie in den USA. Was sind deine wichtigsten Eindrücke im Vergleich zum Geschäftsalltag in Deutschland?
Stefan Fritz: Zwei Dinge springen mir besonders ins Auge: Offenheit und Geschwindigkeit. Termine werden hier nicht Wochen im Voraus vergeben, sondern finden oft nach wenigen Tagen statt. Und nach Meetings folgen strukturierte Follow-ups, meist noch am selben Abend. Es herrscht eine hohe Verbindlichkeit und ein echter Wille zur Zusammenarbeit, besonders in Innovationsfragen. Das gilt sowohl im Wagniskapital- als auch im Private-Equity-Umfeld. Was manche als „oberflächlich“ interpretieren, ist in Wahrheit eine bemerkenswerte Fokussierung auf Chancen und Machbarkeit.
Deine Beobachtungen in den USA haben dich in den vergangenen Monaten zum Nachdenken gebracht – und zwar über die Zukunft der deutschen Wirtschaft. Schauen wir zuerst zurück auf die „gute alte Zeit“, wie manche wohl sagen würden. Früher war die Arbeitsteilung klar: Deutschland exportierte Maschinen, die USA konsumierten. Wie hat dieses Modell funktioniert?
Stefan Fritz: Die Grundlage war das Prinzip der „Economies of Scale“ – also: je größer die Produktionsmenge, desto niedriger die Stückkosten. Das hat in vielen Branchen funktioniert: bei Autos, Elektronik, Haushaltsgeräten. Die USA stellten den riesigen Konsummarkt, Deutschland lieferte die Maschinen, mit denen diese Massenproduktion immer effizienter wurde. Unser Mittelstand war der versteckte Motor im globalen Getriebe. Wir haben die Maschinen gebaut, mit denen vor allem in China, aber auch in den USA selbst produziert wurde – und damit dazu beigetragen, dass Produkte weltweit erschwinglich wurden.
Diese Rolle hat uns über Jahrzehnte Wohlstand gebracht. Aber sie war letztlich eine Rolle im Hintergrund. Wir haben inkrementell verbessert, Jahr für Jahr, zwei bis drei Prozent mehr Effizienz herausgeholt. Wir haben allerdings mit wenigen Ausnahmen nicht die Produkte selbst geschaffen, sondern nur ihre Herstellung ermöglicht.

Und warum war der US-Markt für dieses Modell so entscheidend?
Stefan Fritz: Weil die USA nicht nur groß sind, sondern auch eine besondere Konsumkultur haben – deswegen sind sie ein so wichtiger Markt für Produkte, die mithilfe deutscher Maschinen auf der ganzen Welt hergestellt wurden.
Die amerikanische Gesellschaft hat ein anderes Verhältnis zu Schulden und Konsum. Wer Geld verdient, gibt es auch aus. Leasing statt Kaufen, Konsum auf Pump – das ist dort gesellschaftlich akzeptiert. Dadurch entstand ein riesiger Markt mit hoher Zahlungsbereitschaft, der dann auch noch einheitlich reguliert ist. Für Unternehmen war das bisher ideal: Du konntest dich auf eine Branche spezialisieren und hattest trotzdem Millionen potenzieller Kunden.
In Europa dagegen ist alles fragmentiert: unterschiedliche Sprachen, Gesetze, Kulturen – trotz der Europäischen Union. Ein Produkt in Europa zu skalieren, ist viel aufwändiger. Der US-Markt war der Motor für globales Wachstum – und damit auch für den deutschen Exporterfolg.
Heute gerät dieses Modell aus deiner Sicht gefährlich ins Wanken. Warum?
Stefan Fritz: Weil sich die Wertschöpfung verändert. Immer weniger Wert entsteht durch physische Produktion, immer mehr durch digitale Dienste. Und diese kommen fast ausschließlich aus den USA. Wenn Unternehmen heute ihre Prozesse digitalisieren, nutzen sie Tools von AWS, Microsoft, Google, ServiceNow. Diese Software ersetzt nicht nur Mitarbeiter, sie entzieht auch unseren Unternehmen Wertschöpfung – und verlagert sie in die USA.
Das ist eine stille, aber massive Umverteilung. Früher lagen IT-Budgets bei zwei Prozent vom Umsatz. Heute sind es sechs Prozent und mehr. Mit der Verbreitung von KI werden sie weiter steigen. Das heißt: Selbst, wenn unsere Industrieproduktion noch in Deutschland steht, fließt ein wachsender Teil der Gewinne an amerikanische Tech-Konzerne ab.
Und diese Gewinne sind schon jetzt gewaltig, was sich auch im astronomischen Börsenwert der US-Tech-Konzerne spiegelt. Warum funktioniert das so gut?
Stefan Fritz: Software-as-a-Service (SaaS) ist ein Wertextraktionsmodell. Die Preisgestaltung orientiert sich nicht an Herstellungskosten, sondern an der Einsparung beim Kunden. Wenn eine Software einen hochqualifizierten Mitarbeiter ersetzt, kann sie teurer verkauft werden. Es geht um das Maximum dessen, was der Kunde zu zahlen bereit ist – nicht um faire Preise, bei denen Herstellungskosten eine zentrale Rolle spielen. Diese Dynamik ist strukturell zu unseren Ungunsten. Sie entzieht nicht nur Geld, sondern auch Kompetenz und Kontrolle.
Ist das einfach ein Nebeneffekt des digitalen Wandels oder steckt da mehr dahinter?
Stefan Fritz: Ich sehe darin durchaus eine klare Strategie – sowohl unter Biden als auch mit Trump, auch wenn die aktuelle US-Regierung aus deutscher Sicht gerade keinen allzu strategischen Eindruck macht.
Die USA haben über Jahrzehnte den Welthandel ermöglicht – nicht nur als größter Markt, der viel importiert. Ihre Handelsflotten und Militärbasen schützten außerdem globale Lieferketten. Aber jetzt, wo sie zunehmend unabhängiger werden – dank eigener Energiequellen, starker Digitalisierung und zunehmend auch KI und Robotik – brauchen sie den Welthandel weniger. Stattdessen sichern sie ihren Heimatmarkt, vor allem gegenüber China, mit Zöllen ab, schützen ihre Verbraucher und holen Produktion zurück.
Das ist kein Zufall, sondern eine politische Entscheidung. Auf einer Start-up-Konferenz habe ich erlebt, wie auch schon Vertreter der damaligen US-Regierung von Joe Biden die Tech-Unternehmen ganz direkt aufriefen: Denkt an Unabhängigkeit! Entwickelt auf Basis von Rohstoffen, die wir aus Kanada oder Mexiko beziehen können, nicht aus China oder Russland. Die Energieversorgung für eure Rechenzentren: Macht sie selbst. Das ist eine Strategie für Autarkie.
Und dabei passt die Technologie perfekt ins Bild: Plattformen, KI, Robotik...
Stefan Fritz: Genau. Diese Technologien machen eine neue Produktionslogik möglich: weg von der angebotsgetriebenen Massenproduktion, hin zu einer nachfragegetriebenen, dezentralen Herstellung. Durch gezielte Werbung, soziale Medien und Datenanalyse kann Nachfrage präzise generiert werden. Und durch 3D-Druck, Robotik, CNC-Maschinen kann diese Nachfrage lokal, flexibel, just-in-time bedient werden.
Das bedeutet: Ich brauche keine Millionen-Stückzahlen mehr, um effizient zu produzieren. Ich kann kleinere Mengen, individueller, lokal herstellen. Die klassische Logik von Economies of Scale bröckelt. Und das trifft das Herz des deutschen Industrieerfolgs.
Warum?
Stefan Fritz: Unsere Kompetenz war jahrzehntelang, die Massenproduktion besser zu machen. Aber wenn Masse keine Voraussetzung mehr ist, wird unsere Rolle obsolet. Wir müssen lernen, komplette, vernetzte Produktionssysteme zu bauen, mit denen auch in Hochlohnländern wie den USA lokal produziert werden kann – nicht nur einzelne Maschinen. Wir müssen weg von inkrementeller Verbesserung hin zu Systemintegration. Das ist ein mentaler und struktureller Wandel. Und dafür brauchen wir neue Unternehmensformen, neue Allianzen und mutige Investitionen.
Was kann Deutschland konkret tun, um den Abstieg in die Bedeutungslosigkeit zu verhindern?
Stefan Fritz: Wir müssen jetzt handeln – in drei Schritten:
Digitales Kerngeschäft aufbauen: Mittelständler sollten eigene Digital- und Software-Kompetenz stärken, KI-Tools einsetzen und sich nicht nur auf US-Plattformen verlassen.
Systemintegration statt Einzelmaschine: Statt nur Maschinen und Komponenten zu liefern, brauchen wir die Kompetenz komplette, vernetzte Produktionssysteme für flexible, verteilte und lokale Fertigung zu liefern.
Skalierung durch Allianzen: Wir brauchen neue Industrieverbünde und Investitionen. Wenn zwei oder drei Mittelständler sich zusammenschließen oder Private-Equity-Kapital solche Verbünde orchestriert, können wir globale Wertschöpfungsketten mitprägen und daran teilhaben.
So können wir mit unseren Kernkompetenzen an der zukünftigen digitalen Wertschöpfung partizipieren. Und: Wir brauchen einen echten europäischen Binnenmarkt – ohne 27 Lieferkettengesetze.
Ist das also das Ende der Globalisierung, wie wir sie kannten?
Stefan Fritz: Zumindest eine Transformation. Der Welthandel mit physischen Gütern wird zurückgehen. Aber das heißt nicht, dass internationale Zusammenarbeit endet. Im KI-Bereich sehen wir hochvernetzte Teams – in Karlsruhe, Boston, Montreal, Shanghai. Der Wissensaustausch floriert. Vielleicht ist das die neue Form der Globalisierung: Ideen teilen, lokal umsetzen. Weniger Container, mehr Cloud.
Wir können nicht einfach zur alten Welt zurückkehren. Selbst wenn wir wieder wettbewerbsfähiger werden, wäre das nicht genug. Die Spielregeln haben sich geändert. Wir müssen uns neu positionieren – technologisch, strukturell, strategisch. Und dafür braucht es Mut. Sonst bauen andere die Fabriken der Zukunft. Und wir liefern ihnen nur noch die Ersatzteile.

Wolfgang Kerler
Chefredakteur
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