17. Februar 2025
Start-ups, Tech, Klima: Steckt in den Wahlprogrammen auch Zukunft?

In wenigen Tagen wird ein neuer Bundestag gewählt, doch bisher liefert der Wahlkampf wenig Anlass für Aufbruchstimmung. Steckt in den Wahlprogrammen mehr Zukunft als in den TV-Debatten? Jein. Zwar machen die Parteien Vorschläge, wie Start-ups, neue Technologien, Umwelt- und Klimaschutz vorangebracht werden sollen. Aber inspirierende Zukunftserzählungen sind Mangelware.
Von Wolfgang Kerler
Völlig unverhofft sind wir mit 1E9 in den Bundestagswahlkampf geraten. Seit ein paar Wochen wirbt die Kleinpartei Volt auf Plakaten und im Netz mit einem Slogan, den wir schon lange nutzen. Genauer: seit 2019. „Holen wir uns die Zukunft zurück!“, lautet er. Was er mit 1E9 zu tun hat, erkläre ich unten. Bleiben wir zuerst beim Wahlkampf. In dem spielt die Zukunft trotz der Volt-Kampagne leider eine Nebenrolle.
Lädt man sich die Wahlprogramme von CDU/CSU, SPD, Grünen, FDP, AfD, Die Linke und BSW herunter und durchsucht sie, landet man bei einem Punktestand von 367 zu 295 für die Vergangenheit. Während das Wort „wieder“ in Summe 367 vorkommt, sorgt „Zukunft“ für nur 295 Treffer. Klar, da sind Unschärfen drin. Schließlich kann es auch um ein „nicht wieder“ oder ein „wieder einmal“ gehen.
Doch es lässt sich kaum leugnen, dass der Wahlkampf – neben Reaktionen auf furchtbare Terrortaten, Debatten um Migration, Schuldenbremse, Einmischungen von Elon Musk und „Hofnarr“-Entgleisungen – von einer Sehnsucht nach der guten alten Zeit geprägt ist. Oder erinnert sich jemand an inspirierende Zukunftsbilder, die im Fernsehen bei Duellen, Quadrellen, Townhalls oder den üblichen Talkshows zur Sprache kamen? Anstelle von Visionen versprechen die Parteien die Rückkehr zu Altbewährtem. Make Germany Great Again.
„Mit einer neuen Politik können wir dafür sorgen, dass Deutschland wieder nach vorne kommt“, heißt es bei der Union. Die FDP plakatiert zwar „Alles lässt sich ändern“, schreibt aber: „Wir Freie Demokraten wollen ein Deutschland, das wieder an seine Stärken anknüpft.“ Bei der SPD finden sich Sätze wie: „Der viel beschworene Erfindergeist in Deutschland muss wieder zur obersten Priorität werden.“ Ähnlich bei den Grünen, die wollen, dass Deutschland „wieder treibende Kraft beim technologischen Fortschritt“ wird.
Die AfD will „,Made in Germany‘ wieder zu einem Markenzeichen für Exzellenz und Einzigartigkeit“ machen. Das BSW wiederum „ein Deutschland, in dem sich die Bürger wieder wohl und sicher fühlen“. Und die Linke formuliert Ziele wie: „Unsere Politik macht das Leben der Menschen wieder bezahlbar.“ Natürlich belassen die Parteien es nicht bei diesen eher pauschalen Aussagen, sondern machen zu allen Politikfeldern mal mehr oder weniger konkrete Vorschläge. Einige davon schauen wir uns genauer an – vor allem die, die unsere 1E9-Themenwelt betreffen.
Start-ups: Vor allem bei Union, FDP und Grünen ein wichtiges Thema
Was die Parteien für Start-ups planen, die zwangsläufig die Zukunft im Blick haben, haben sich die Kolleginnen und Kollegen von Gründerszene detailliert angeschaut.
So will die Union „Lust auf Unternehmertum machen“ und auf „Forschung, Innovationen, Technologien und Transfer (FITT)“ setzen. Dafür will sie zum Beispiel die Finanzierung für Start-ups erleichtern und sie durch eine „Gründerschutzzone“ anfangs von Bürokratie befreien. Auch sollen Ausgründungen aus der Wissenschaft vorangetrieben werden.
Auch die Grünen machen explizite Vorschläge, wie Start-ups gefördert werden sollen. Sie schlagen „One-Stop-Shops“ vor, also zentrale Anlaufstellen, die im Gründungsprozess helfen sollen. Zugang zu Kapital wollen sie erleichtern, genau wie Ausgründungen aus Hochschulen. Und sie wollen staatliche Aufträge häufiger an Start-ups vergeben.
Der FDP bescheinigt Gründerszene ebenfalls einen Fokus auf Start-ups. Sie will unter anderem Bürokratie abbauen, Steuern senken, Krypto- und FinTech-Innovationen fördern, Ausgründungen aus der Wissenschaft vorantreiben und Investitionen in junge Unternehmen pushen, zum Beispiel, indem Versicherer oder Pensionsfonds in Wagniskapitalfonds investieren dürfen.
Bei den anderen Parteien werden Start-ups selten oder gar nicht explizit benannt. Die SPD will Steuern für Unternehmen senken, Bürokratie abbauen, das Umfeld für Zukunftstechnologien stärken und Innovationen vorantreiben, erwähnt Start-ups aber nur in einem allgemeinen Satz. Die AfD möchte Start-ups durch Bürokratieabbau unterstützen. Das BSW will ihnen mit „geduldigem Kapital“ aus einem staatlichen Fonds helfen, private Finanzinvestoren werden kritisiert. Bei der Linken steht der klimagerechte Umbau der Industrie im Vordergrund. Start-ups werden nicht erwähnt.
Egal, wer am Ende regiert: Inhaltlich scheint es beim Thema Start-ups kaum unüberbrückbare Differenzen zu geben. Fast alle wollen erfolgreiche junge Unternehmen. Einen Unterschied dürfte es trotzdem machen, wem Gründerinnen und Gründer ihre Stimme geben. Denn Parteien, die Start-ups in ihrem Programm kaum erwähnen, werden deren Interessen nicht ganz oben auf die Tagesordnung setzen.
Wissenschaft und Technologie: Hightech-Agenda, KI-Strategie, Militär und „Pseudowissenschaft“
Forschung und Erfindungen, das sind klare Zukunftsthemen, die wir uns genauer ansehen wollen. Keine Partei lehnt wissenschaftlichen Fortschritt und die Entwicklung neuer Technologien ab. Doch setzen sie unterschiedliche Schwerpunkte.
Während die Union eine breit aufgestellte „Hightech-Agenda“ skizziert, macht die SPD konkrete Vorschläge für eine nationale KI-Strategie. Die Grünen betonen europäische Kooperation und Klimaschutz, die FDP allgemeine Technologieoffenheit und die Enttabuisierung militärischer Forschung. Die AfD kritisiert „ideologisierte Klimaforschung“, das BSW das „Wunschdenken einer schnell erreichbaren völligen Klimaneutralität“ und die Linke Patente „in den Händen weniger profitorientierter Akteure“. Hier die Details.
CDU und CSU wollen die Ausgaben für Forschung und Entwicklung steigern, von jährlich etwas über drei Prozent auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts bis 2030. Sie planen eine „Hightech-Agenda für Deutschland“, wollen das Land zum „Innovationsstandort für Zukunftstechnologien“ entwickeln – und nennen dabei Luft- und Raumfahrt, Quantencomputing, KI, Fusionsenergie, Biotechnologie, Batteriezellen und Mikroelektronik. Ein Innovationsfreiheitsgesetz soll Forschungsfreiräume schaffen.
Die SPD will eine „Weiterentwicklung der KI-Strategie“, wozu sie den Aufbau von branchenspezifischen KI-Ökosystemen und von generativen KI-Modellen für Medizin, Materialforschung und Bildung sieht. Auch schlägt sie Investitionen in Recheninfrastruktur vor. Ebenfalls im Fokus: Quantencomputer, Roboter, Netzwerktechnologien der nächsten Generation. Außerdem soll mehr Geld in Forschung gesteckt werden.
Die Grünen betonen die Bedeutung europäischer Zusammenarbeit, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Das 3,5-Prozent-Ziel für Investitionen in Forschung und Entwicklung rufen sie ebenfalls aus. Ihre Fokusthemen sind: KI, Quantentechnologie, Mikrochips, Cloud-Computing, klimaneutrale Energielösungen, Biotechnologie und Robotik. Auch die Bedeutung der Raumfahrt betonen sie. Den Schritt zur Klimaneutralität sehen sie als „Innovationsmotor“.
Der FDP scheinen Technologieoffenheit und Forschungsfreiheit besonders wichtig zu sein. Deutschland müsse „wieder ein attraktiver Standort für Spitzenforscher“ werden. Fusionskraftwerke, Gentechnologie und Quantenphysik werden explizit genannt – neben dem Ziel zu einem der stärksten KI-Standorte zu werden. Die FDP will zivile und militärische Forschung verzahnen und eine europäische DARPA gründen, eine „agile Verteidigungsforschungsanstalt nach amerikanischem Vorbild“, die technologische Innovationen finanziert.
Die AfD kritisiert die Einschränkung von Freiheitsrechten „auf Grundlage von einseitig bevorzugten, zuweilen auch pseudowissenschaftlichen Theorien“, wozu die Partei ohne weitere Belege für ihre Behauptungen „eine ideologisierte Klimaforschung, die Genderforschung und Pandemieforschung“ zählt. Sie möchte Deutschland zum „Innovationsführer“ machen – in Branchen wie Automobil- und Maschinenbau oder Chemie, aber auch bei Nukleartechnik oder KI. In seiner Analyse der Wahlprogramme nennt das deutsche Quantum Business Network in Bezug auf die AfD einen interessanten Punkt: Ihr Fokus auf Nationalismus und ihre Skepsis gegenüber internationaler Zusammenarbeit könnte auf einen zurückhaltenden Ansatz bei globaler wissenschaftlicher Kooperation schließen lassen.
Das BSW stört sich am „Wunschdenken einer schnell erreichbaren völligen Klimaneutralität“, will „alle Technologien nutzen, um CO2 zu reduzieren“. Dazu gehören Anlagen zur Abscheidung und Lagerung von CO2. Bis 2030 soll Deutschland mindestens vier Prozent der Wirtschaftsleistung in Forschung und Entwicklung investieren. Der Staat soll dabei Innovationen vorantreiben. Außerdem fordert das BSW frei verfügbare KI-Modelle für Wissenschaft, Bildung, Kultur und Verwaltung.
Die Linke sieht bei der Erforschung und Entwicklung neuer Technologien ebenfalls den Staat in der Führungsrolle, kritisiert patente und geistige Eigentumsrechte wichtiger Technologien „in den Händen weniger profitorientierter Akteure“. Innovationen sollten zur sozialen Gerechtigkeit und zum Klimaschutz beitragen. Für die Umstellung auf klimafreundliche Technologien will die Linke 200 Milliarden Euro Steuergeld bereitstellen.
Klima- und Artenschutz: Hier sind die Unterschiede am größten
Einen ausführlichen Vergleich der Pläne zum Klimaschutz findet ihr, zum Beispiel, bei der Tagesschau. Interessant – und wesentlich schonungsloser – fällt auch der „Zukunftswahl-Check“ der Naturschutzorganisation WWF aus. Hier wesentliche Punkte in der Übersicht.
Die SPD will deutsche Autobauer zwar von Strafen für das Verfehlen von EU-Flottengrenzwerten für CO2-Emissionen befreien und insgesamt „pragmatischer“ vorgehen, rüttelt aber nicht an Klimaschutzzielen. Nötige Investitionen will sie durch eine Lockerung der Schuldenbremse finanzieren.
Die Union will das Verbrenner-Verbot der EU kippen, den Wiedereinstieg in die Atomkraft prüfen und durch Klimaschutz auf keinen Fall die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft gefährden. Marktwirtschaftliche Mechanismen wie der Emissionshandel sind für sie zentral, um Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen.
Die Grünen formulieren die ehrgeizigsten Ziele. Eine Abschwächung des Klimaschutzes kommt für sie nicht in Frage, sie wollen aber für mehr Akzeptanz sorgen. Bis 2035 soll Strom komplett klimaneutral hergestellt werden, der Umstieg auf E-Autos soll beschleunigt werden.
Die FDP will Verbote durch marktwirtschaftliche Lösungen und Technologien vermeiden. Unternehmen soll es erlaubt sein, Klimaschutz im Ausland zu finanzieren und das auf deutsche Emissionsziele anzurechnen. Deutschlands Klimaneutralität will sie erst 2050 erreichen.
Die AfD spricht von „unwissenschaftlicher Klimahysterie“, will aus dem Pariser Klimaabkommen aussteigen und lehnt den Ausbau erneuerbarer Energien weitgehend ab. Kurzum: Sie glaubt nicht daran, dass die globale Erwärmung vom Menschen verursacht wird.
Die Linke will Deutschland bereits bis 2040 klimaneutral machen. Die nötigen Investitionen sollen durch höhere Steuern für Reiche bezahlt werden. Der öffentliche Nahverkehr soll ausgebaut, Privatjets und Megajachten verboten werden.
Das BSW hält, wie oben schon erwähnt, eine vollständige Klimaneutralität für unrealistisch. Es will das Verbrenner-Verbot kippen, den CO2-Preis abschaffen und Gas aus Russland beziehen.
Der WWF hat sich nicht nur den Klimaschutz, sondern auch die Vorschläge der Parteien zum Erhalt der Artenvielfalt bewertet. Das Programm der Grünen kommt am besten weg, gefolgt von der Linken und der SPD. Der CDU werden erhebliche Mängel bescheinigt, dem BSW erhebliche Leerstellen im Programm. Katastrophal schneiden die Pläne von FDP und AfD ab, da mit ihnen aus Sicht des WWF kein Klima- und Umweltschutzziel erreicht werden könnte.
Mehr Zukunft wagen? Diesmal offenbar nicht.
Im Grunde sind sich alle Parteien einig, dass Deutschland eine schwere Zeit durchläuft. Die Wirtschaft stagniert, die Infrastruktur bröckelt, das Ringen in der Migrationspolitik hat bisher keinen gesellschaftlichen Konsens gebracht – und das in einer Welt voller Kriege, Konflikte und einer neuen US-Regierung, die knallhart eigene Interessen durchsetzt und von Klimaschutz nichts mehr wissen möchte. Wer will da schon Moonshots oder Utopien ausrufen?
In diesem Wahlkampf wird kein erfolgreiches, aber auch neues Deutschland skizziert, wie es in Zukunft sein könnte, sondern ein wiederhergestelltes erfolgreiches Deutschland der Vergangenheit – nur mit anderem Energiemix. Begeisterung kann das nicht erzeugen. Das ergab auch die Wahlstudie 2025 „Was Deutschland wirklich bewegt“ des Rheingold Instituts.
Demnach haben die Menschen aktuell „kaum Zuversicht, dass sich die Lage durch einen Regierungswechsel verbessern wird“. Von Aufbruchstimmung sei „nichts zu spüren“. Es herrsche ein „Gefühl der Ausweglosigkeit“, der „Hoffnungslosigkeit“. Die AfD übe auf manche die Verheißung aus, „das System ,sprengen‘ zu können“.
Die Volt-Plakate, die sich unseren 1E9-Spruch „Holen wir uns die Zukunft zurück!“ geliehen haben, werden nach der Wahl verschwunden sein. Wir werden das Motto beibehalten, das auch die Überschrift des ersten Artikels in unserem digitalen Magazin war. Vor Corona, vor schlimmen Kriegen und Konflikten, vor ChatGPT und Wirtschaftsflaute. An Krisenstimmung mangelte es aber schon damals nicht. Hier eine Passage aus dem sechs Jahre alten Text, der Schlagzeilen deutscher Medien aufgriff:
Die Digitalisierung bedroht Millionen von Jobs. Künstliche Intelligenz wird alles verändern. Deutschland und die EU verpassen die Zukunft. Wer nicht digitalisiert, verliert. Unsere fetten Jahre sind vorbei. Die Zukunft spielt in China. Facebook zerstört die Demokratie. Die Killerroboter kommen.
Herrliche Aussichten sind das. Was bleibt einem da, als von der guten alten Zeit zu träumen und Populisten zu wählen?
Mit 1E9 wollen wir seit 2019 einen Beitrag dazu leisten, dass Menschen eben nicht in Zukunftsangst und Vergangenheitssehnsucht verharren. Wir bemühen uns, die Zukunft nicht als Naturkatastrophe, sondern als Möglichkeitsraum darzustellen. Wir erklären neue Technologien realistisch, aber vergessen nie ihre Chancen. Wir stellen Vordenkerinnen, Erfinder, Start-ups und Ideen vor, die Lösungen für die großen Probleme aufzeigen. Und wir bringen Menschen zusammen, die Zukunft gestalten wollen.
Einen gesellschaftlichen Stimmungsumschwung konnten wir damit leider noch nicht erreichen, aber wir bleiben dran. „Holen wir uns die Zukunft zurück!“ ist aktueller denn je.
Kriegt Deutschland nach der Wahl die Kurve?
Ja, die nächste Regierung wird die Probleme anpacken.
Nein, es muss noch schlimmer werden, bevor sich was ändert.

Wolfgang Kerler
Chefredakteur
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Überschrift 3
Cooler Artikel!

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"Die Digitalisierung bedroht Millionen von Jobs. Künstliche Intelligenz wird alles verändern. Deutschland und die EU verpassen die Zukunft. Wer nicht digitalisiert, verliert. Unsere fetten Jahre sind vorbei. Die Zukunft spielt in China. Facebook zerstört die Demokratie. Die Killerroboter kommen.
Herrliche Aussichten sind das. Was bleibt einem da, als von der guten alten Zeit zu träumen und Populisten zu wählen?"
The most entertaining outcome becomes reality .... Fragt sich nur wer der Zuschauer ist :)