17. Dezember 2025
SciFi-Horror mit 13 Jahren Verspätung: Das Game „Routine“ verwandelt den Mond zum Spukhaus

Vor über einem Jahrzehnt hat ein kleines britisches Studio ein Horror-Videospiel angekündigt, das in einer 80er-Jahre-Mondbasis spielt. Nun ist es erschienen und zeigt eine einzigartige Vision einer anachronistischen Zukunft, die sich durch einzigartige Optik und Klang definiert.
Von Michael Förtsch
Die Tür der Isolationskammer faucht, als sie sich schlagartig öffnet. Beinahe wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten ist. Dahinter breitet sich ein ebenso langer wie düsterer Korridor aus. Knackend, klirrend und begleitet vom Klang berstender Neonröhren wird er Segment um Segment in fahles Licht getaucht. Gleichzeitig ertönt eine Aufzeichnung, die hörbar bereits hunderte Male von einem Kassettenband abgespielt worden sein muss. Sie begrüßt den namenlosen Techniker nach seiner Quarantänephase auf der Mondbasis und im Speziellen im Union Plaza, wo alle Reisenden mit einem Blick auf die Mondoberfläche empfangen werden, der sich auftut, nachdem die Jalousie eines breiten Fensters nach oben gerattert ist. Tatsächlich ist es ein beeindruckender Ausblick auf eine ebenso majestätische wie leere und gespenstische Szenerie. Und damit ein ziemlich guter Vorgeschmack auf das, was einen in Routine erwartet.
In dem bereits 2012 angekündigten Science-Fiction-Horror-Werk des britischen Studios Lunar Software entwickelt sich der Mond vom Sehnsuchtsort der Menschheit zu einem regelrechten Spukhaus. Während man durch die Gänge streunte, stellt man schnell fest, dass… irgendetwas nicht stimmt. Außer einem selbst scheint sich keine Menschenseele in dem Mond-Ressort zu befinden, dass sich sowohl unter- als auch oberirdisch ausdehnt. Dabei müssten eigentlich Hunderte von Menschen durch die Gänge schlendern, in Büros arbeiten, in Konferenzräumen ihre Besprechungen abhalten und in den Gesellschaftsbereichen fraternisieren. Allesamt scheinen sie verschwunden zu sein. Jedoch finden sich Koffer, halbvolle Kaffeetassen, Notizen, Post-its, Magnetkarten und auch der ein oder andere Blutspritzer an der Wand. Irgendetwas Sonderbares ist passiert.
Die Mondbasis in Routine ist keine High-Tech-Konstruktion. Angesiedelt in einer alternativen Realität, in der die Menschheit nach der erfolgreichen Mondlandung den Mond nie wieder verlassen hat, ist sie der Inbegriff des 80er-Jahre Cassette Futurism: Die Computer haben wuchtige Röhrenbildschirme, deren Benutzeroberflächen sind sichtlich vom Xerox Alto und dem System 1 inspiriert, überall liegen VHS-Bänder herum und Touch-Bildschirme scheinen aus dem legendären Buick Riviera geklaut. Selbst eine Arcade-Halle mit Automaten findet sich. Jegliche Technik surrt, klackert und fumpt. Die Gänge und Hallen der Basis sind aus weißem Stahl und Plastik, wie es wohl Oscar Niemeyer gefallen hätte. Dazwischen finden sich Stühle, Tische und mit geometrischen Farbmustern gewebte Teppiche, die das Mid-Century Modern hochleben lassen.
Die Inspiration für all das? „Es ist schwer, eine einzige herauszustellen“, sagt Aaron Foster, der die Routine einst erdacht und jetzt als Projektleiter bis zur Veröffentlichung gebracht hat, gegenüber 1E9. Unübersehbar sind jedoch die Einflüsse von Genre-Klassikern wie Saul Bass’ Phase IV, Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum, Andrei Tarkowskis Solaris und Robert Wises Andromeda: Tödlicher Staub aus dem All. „Aber um noch ein paar mehr zu nennen: Scanners, Silent Running, Outland, Space 1999 und etwas neuer Ad Astra.“ Somit stellt Routine auch einen Spiegel dieser eher weniger fantastischen, sondern geerdeten und in einem technischen Realismus verankerten Fantastik dar.
Was hat so lange gedauert?
Der erste Trailer für Routine erschien auf der GamesCom 2012. Erscheinen sollte das Weltraum-Horror-Game dann eigentlich bereits im nächsten Jahr. Stattdessen warten die Spieler 13 Jahre. In dieser Zeit entwickelte es sich zu einem Mysterium. Videospielmagazine führten es immer wieder auf Listen der meist erwarteten Games oder als Vaporware gleich Duke Nukem Forever. Denn auch wenn es nicht erschien, es war nie offiziell aufgegeben oder die Entwicklung eingestellt worden.
Aber wieso dauerte das alles nun eigentlich so lange? „Wir waren jung, aufgeregt, extrem motiviert, aber auch naiv“, sagt Aaron Foster, der die erste Fassung von Routine 2011 in der Unreal Engine 3 entwickelte – als einen von Dear Esther inspirierten Walking Simulator, der ohne Action und Gegner ausfallen sollte. Das Projekt sei für sie zu groß gewesen – denn das Kernteam war und ist bis heute ein Trio. Neben Foster besteht Lunar Software nämlich lediglich noch aus Jemma Hughes und Pete Dissler, die die Posten als Designer, Künstler, Programmierer und Produzent besetzen.
Neben der Größe eines solchen Projektes hätten sie zudem die finanziellen Aspekte unterschätzt. Foster selbst arbeitete zu Beginn der Entwicklung in einer Teilzeitstelle an einer Universität, wo er Studenten 2D- und 3D-Gestaltung beibrachte. „Als ich den Lehrauftrag aufgab, brauchten wir unsere Ersparnisse schnell auf“, sagt er. „Von da an verließen wir uns auf Freunde und Familie, was extrem stressig und schmerzvoll war.“ Gesundheitliche Probleme erschwerten das Projekt zusätzlich.
Zwischen 2016 und 2017 kam die Entwicklungsarbeit ins Stocken. „Das war die Zeit, in der wir persönlich und als Studio in einer echt schlechten Verfassung waren“, so Foster. In den Jahren darauf versuchte das Team, mit Auftragsarbeiten und kleinen Projekten Routine zu finanzieren. Aber auch das war sehr schwierig. Erst als es dem Team im Jahr 2020 gelang, einen Vertrag mit dem Publisher Raw Fury zu unterzeichnen, „nahm die Entwicklung wieder volle Fahrt auf“.
Wie Foster sagt, wäre die Entwicklung ohne die Unterstützung von Freunden, Familie und vielen weiteren Helfern nicht möglich gewesen.
Von VHS-Bändern und Robotern
Die retro-futuristische 80er-Jahre-Vision ist kein ruhiger Erholungsaufenthalt. Nein,Routine fordert einem als Spieler einiges ab – was Nerven, Geduld und Aufmerksamkeit betrifft. Zu Beginn ist das Aufschrecken aufgrund der sehr aktiven Klangkulisse oft noch ein Fehlalarm. Ausgelöst vom Fauchen eines Ventils oder vom Klappern einer blockierten Automatiktür. Doch schon bald sind stampfende Roboter hinter einem her, die mit knarzenden Laserscannern nach einem suchen, einen packen und durch die Gegend schleudern. Zwar sind die Typ-5-Sicherheitsblechmänner nicht besonders schlau und geben die Verfolgung auf, sobald man sich unter einem Tisch oder hinter einem Schrank in Deckung begibt, aber trotzdem sind sie bedrohlich. Vor allem, da die einzige Gegenwehr das sogenannte CAT bietet.
Das Cosmonaut Assistance Tool ist ein Multifunktionswerkzeug, das eine Mischung aus Pistole und Videokamera darstellt. Über seine Basisfunktion lässt sich ein Magnetimpuls auslösen, der Roboter kurzzeitig stilllegt, aber auch Schaltungs- und Computersysteme neu starten kann. Im Laufe des rund siebenstündigen Spiels finden sich Erweiterungsmodule. Eines davon ermöglicht es, Schleifspuren auf einem Boden oder Fingerabdrücke auf einem Tastenfeld auf dem kleinen Bildschirm auf der Rückseite sichtbar zu machen. Verzerrungen, Rauschen und Flackern auf dem Röhrenschirm lassen zudem elektromagnetische Interferenzen erkennen – diese markieren Orte, an denen sich vielleicht mehr finden lässt, als es den Anschein hat. Darüber hinaus kann das CAT als tragbarer Computer verwendet werden. Es kann mit Terminals verbunden werden, um Dokumente abzurufen, und es kann mit Projektoren gekoppelt werden, die dann eine Übersicht über Missionen und Hinweise, wie beispielsweise Fahrstuhlcodes, zeigen oder auch die Möglichkeit, den Spielstand zu speichern.
All diese Funktionen werden aktiviert, indem das CAT vor das Visier gehoben und die Knöpfe und Schalter angeschaut und gedrückt werden. „Es sollte sich wie ein echtes Werkzeug anfühlen“, sagt Foster. „Ich selbst liebe Simulationsspiele und auch wenn Routine keine Simulation ist, wollte ich mit dem CAT etwas davon hineinbringen.“ Aber auch darüber hinaus ist Routine ein auf absonderliche Weise haptisches und körperliches Erlebnis. Dies sei eines der ersten Elemente gewesen, die das Team implementiert habe, als das Studio über Foster als Solo-Entwickler hinausgewachsen ist.
Wenn der persönliche ID-Code benötigt wird, muss man ans sich herunter auf eine Plakette auf der Brust an schauen, um ihn zu finden. Um manche Schalter und Knöpfe zu erreichen, muss man sich mittels Tastenakrobatik auf die Zehenspitzen stellen, auf den Bauch legen oder durch einen Spalt zur Seite lehnen. Wenn man an einen Computer tritt, muss eine virtuelle Maus zur Steuerung genutzt werden, um sich durch die Menüpunkte und Seitenleisten zu bewegen. Für letzteres war Doom 3 aus dem Jahr 2004 die Hauptinspiration, das erstmals wirklich interaktive Computerbildschirme in einer Videospielwelt ermöglichte.
All das sieht, erlebt und steuert man durch einen virtuellen Astronautenhelm, der der Szenerie einen kränklich grünen Schein verleiht. Auch sonst präsentiert Routine eine eigensinnige, abgenutzt scheinende Optik, die wie große Teile der Szenerie im Spiel von den 80ern inspiriert ist. „Ich glaube, das hängt mit meiner Vorliebe für Filme aus den 70er- und 80er-Jahren zusammen“, sagt Foster. Das Team habe versucht, die visuellen Merkmale alter Kameralinsen und Filmemulsionen nachzustellen, die keine tiefen Schwarztöne darstellen konnten und bei denen Farben und Texturen miteinander verwaschen. „Dieser Look ist Teil der DNA von Routine“, bestärkt Foster.
War Routine das Warten wert?
Wie und was in der Mondbasis aber nun geschehen ist, offenbart sich nur langsam. Durch Texte in E-Mails, Sprachnachrichten und Briefen lernt man einige der einstigen Bewohner kennen. Man liest von Filmabenden, von Menschen, die sich über Kinder im Einkaufszentrum beschweren und von Bedenken hinsichtlich des Missbrauchspotenzials des CAT. Aber man erfährt auch von einem sonderbaren Mondbeben, das stattfand, während man selbst noch in Isolation war. Dieses hat offenbar für eine Fehlfunktion im Sicherheitssystem gesorgt. Türen gingen nicht mehr auf, Zugangscodes funktionierten nicht mehr und die Sicherheitsroboter verhielten sich abrupt… nein, nicht gewalttätig, aber merkwürdig.
Zudem beklagten sich mehrere Bewohner der Mondbasis über Kopfschmerzen und Sehstörungen. Manch einer verschwand sogar plötzlich. Mehr soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Eines der größten Geheimnisse, das es zu lösen gilt, ist jedoch nicht, was geschehen ist, sondern: Wer sind wir eigentlich abseits eines Zahlencodes auf einer Plastikkarte auf der Brust? Daneben blubbern jedoch zahlreiche kleine Mysterien aus dem Mondboden und zwischen den Computerterminals hervor, die Fragen zur Welt von Routine aufwerfen – und wie sich diese von unserer Realität unterscheidet. Tatsächlich bietet das Sci-Fi-Horror-Werk eine dicke Patina an Lore und Fluff, die es zu erforschen gilt.
Es sind vor allem das authentische Retro-Feeling, die gemächliche Gangart und die nahezu durchgängig angespannte Stimmung, die Routine definieren. Selbst kurze absurde Momente können die Bedrohlichkeit nur kurz durchbrechen. Zum Beispiel, wenn ein kleiner Hilfsroboter, der einem Fernseher auf Beinen ähnelt, einen neuen Weg öffnet und dabei erzählt, dass er es einfach liebe, „ahnungslosen Menschen zu assistieren“. „Wir lieben diesen subtilen Horror, der sich als Teil dieser Welt aufbaut – und in dem man sich verlieren kann“, unterstreicht Foster. „Das war uns wichtig. Denn dann treffen einen die harten Momente umso härter.“ Und das tun sie wirklich. Trotz der vielen Inspirationen ist es dem Team gelungen, für Routine eine ganz eigene Identität und Erfahrung zu entwickeln. Eine, die das fast 13 Jahre lange Warten durchaus wert war.

Michael Förtsch
Leitender Redakteur
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