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19. August 2025

Projekt Hyperion: Könnten uns diese Raumschiffe in andere Sternensysteme bringen?

Eine Initiative, die Reisen zu anderen Sternensystemen bewirbt, hat Ende letzten Jahres einen Wettbewerb zum Design von Generationenschiffen ausgerufen. Nun wurden die Gewinner bekannt gegeben. Die Designs der Schiffe sind beeindruckend und vielfältig.


Von Michael Förtsch



Wenn die Menschheit überdauern und sich kontinuierlich weiterentwickeln will, muss sie den Weltraum erobern. Denn eingeschlossen auf der kleinen Erde könnte sie leicht Opfer einer Katastrophe werden. Sei es durch einen alles zerstörenden Krieg, einen Meteoriteneinschlag, eine Seuche oder etwas heute noch Unvorstellbares. Für diese Sichtweise plädierten in der Vergangenheit unter anderem der Astrophysiker Stephen Hawking und der 2001-Odyssee-im-Weltraum-Autor Arthur C. Clarke. Heute wird diese Überzeugung unter anderem vom Astrobiologen Ian Crawford unterstützt. Auch der durch seine Drei-Sonnen-Reihe bekannt gewordene chinesische Science-Fiction-Autor Liu Cixin ist dieser Meinung: „Wenn die Menschheit überleben will, bleibt uns nur eine Wahl“, sagte er. „Wir müssen unseren Lebensraum ins Universum ausdehnen.“

 

Dabei genügt es aber nicht, wenn nur Himmelskörper in unserem solaren Vorgarten, also der Mond oder der Mars, bevölkert werden. Die Menschheit müsste auch in andere Sternensysteme vorstoßen. Doch die Reise dorthin ist weit und langwierig. Der nächste erdähnliche Planet ist Proxima Centauri b. Er ist 4,2 Lichtjahre entfernt, das sind etwa 39,7341 Billionen Kilometer. Mit konventionellen Raketentriebwerken würde eine Reise dorthin bis zu 70.000 Jahre dauern. Derzeit noch hypothetische, aber durchaus realistische Antriebsarten wie gigantische Sonnen- oder Lasersegel, Ionen- und Fusionsraketen könnten diese Zeit auf einige Jahrhunderte verkürzen. Aber auch das würde bedeuten: Die Menschen, die die Reise antreten, werden ihr Ende wohl nicht erleben.

 

Daher braucht es dafür Raumschiffe, auf denen Menschen leben, geboren werden und sterben können: sogenannte Generationenschiffe – ein Konzept, das bisher bisher lediglich in Gedankenspielen und der Science Fiction existiert. Der in Luxemburg arbeitende Raumfahrttechniker Andreas Hein möchte das ändern. Er ist Leiter der Initiative for Interstellar Studies und hat gemeinsam mit einigen Mitstreitern das Projekt Hyperion gestartet. Dieses soll die Idee eines Generationenschiffs zumindest etwas näher an die Machbarkeit bringen. Zu diesem Zweck hat er Ende letzten Jahres einen Wettbewerb initiiert. Teams aus aller Welt wurden dazu aufgerufen, Konzepte für ein solches Raumschiff zu entwerfen. Die Vorgaben waren streng. Die Teams mussten Fachleute umfassen – mindestens einen Ingenieur, einen Architekten und einen Sozialwissenschaftler. Zudem sollten sie zahlreiche Faktoren berücksichtigen – vom Antrieb und der Energie-, Nahrungsmittel- und Sauerstoffversorgung bis hin zum Kultur- und Wissenserhalt während der Reise.

 

Rund 50 Konzepte erreichten das Projekt Hyperion. „Das ist eine recht große Zahl, wenn man das Thema und die geforderte Teamzusammensetzung bedenkt“, sagt Hein zu 1E9. Die Bandbreite war der Ideen überraschend. Einige waren sehr künstlerisch, andere sehr technisch und wieder andere eher architektonisch geprägt.

 

Jetzt wurden die Gewinner bekannt gegeben: Der Architekt Giacomo Infelise, die Wirtschaftswissenschaftlerin Veronica Magli, der Astrophysiker Guido Sbrogio', der Umweltingenieur Nevenka Martinello und die Psychologin Federica Chiara Serpe​ mit ihrem gemeinsamen Vorschlag.

 

Eine Arche in andere Welten

 

Das Siegerkonzept der Project Hyperion Design Competition ist spektakulär. Das vom fünfköpfigen Team erdachte Schiff Chrysalis soll eine 58 Kilometer lange und an der breitesten Stelle sechs Kilometer durchmessende Röhre mit einem Gesamtgewicht von 2,4 Milliarden Tonnen darstellen. Ein Viertel davon würde ein riesiger Tank samt Fusionsantrieb einnehmen. Der Rest des Schiffs ist für 1.000 bis 2.400 Menschen vorgesehen, die die Reise nach Proxima Centauri b unternehmen sollen. Diese sollen in kreisrunden Schichten leben, die die Chrysalis wie bei einer Matrjoschka-Puppe von innen nach außen aufteilen.

 

Im nach Volumen größten Bereich am Rande würden Nahrungsmittel auf Feldern angebaut. Auf Weiden würden zudem verschiedene Nutztiere wie Kühe, Schafe und Hühner gezüchtet. Auch ausgewählte Insekten und Mikroben soll es dort geben. Dadurch soll eine autarke, vielfältige und möglichst nicht von Technologie abhängige Nahrungsmittelversorgung gewährleistet werden. In verschiedenen Sektionen entlang der Schale sollen zudem die Biome der Erde simuliert werden: ein Regenwald, ein borealer Nadelwald, eine Savanne und andere.

 

In der darunterliegenden Schicht sollen sich die Gesellschafts- und Lebensbereiche für die Passagiere befinden. Diese sollen aus verschiedenen Umgebungen mit Parks, Wäldern und Wiesen bestehen. In ihnen sollen Gebäudeanlagen, die wie Säulen von der Decke bis zum Boden ragen, als Räume für gemeinschaftliche Aktivitäten, Büros und Arbeitsbereiche dienen. Mittels 3D-Druck sollen sie sich immer wieder modifizieren, wiederverwenden und an die sich verändernden Lebensumstände, kulturellen und ästhetischen Ansprüche anpassen lassen. Außerdem sollen in dieser Schicht Schulen, Krankenhäuser, Sport- und Erholungsmöglichkeiten untergebracht sein.


Das Konzept WFP Extreme landete auf Platz 2 des Wettbewerbs.
Das Konzept WFP Extreme landete auf Platz 2 des Wettbewerbs.

Noch eine Schicht darunter wären die durch streifenförmige Park- und Gartenanlagen getrennten Wohnbereiche der Passagiere zu finden. Diese sollen mit 3D-Druckhäusern ausgestattet sein, die sich den individuellen Bedürfnissen anpassen lassen. Auf Chrysalis soll sich nämlich alles „um die Identität des Individuums und seine Zugehörigkeit zur Raumschiffgemeinschaft“ drehen. Familien sind möglich, aber nicht verpflichtend. Eltern und Kinder können zusammenleben, müssen das aber nicht. Das alles soll auf das Funktionieren und Miteinander der gesamten Crew einzahlen, die durch den Kosmos treibt. Diese soll im Idealfall bei etwa 1.500 Personen liegen. Dadurch könne eine stabile Gesellschaft, eine hohe Lebensqualität und genetische Vielfalt gesichert werden.

 

Leben und Arbeiten

 

In den weiteren Schichten der Chrysalis sollen Lager- und Fabrikationsstätten untergebracht werden. Ebenso soll es ein ausgeklügeltes Computersystem geben. Die von Menschen genutzten Schichten würden sich während des Fluges in dauerhafter Rotation befinden, um eine irdische Anziehungskraft zu simulieren. Zudem soll das Schiff an der Heckseite mit dem sogenannten Cosmos Dome versehen sein: einer 130 Meter hohen und 360 Meter durchmessenden Glaskuppel, die den Blick ins Weltall – in Richtung Erde und Sonne – erlaubt. Es ist der einzige Ort, der einen Blick nach draußen ermöglicht und an dem Passagiere die Schwerelosigkeit erfahren können. Außerdem sollen sie dort ihr Recht als Teil eines Konzils wahrnehmen und gemeinsam Entscheidungen treffen.

 

Neben den Menschen selbst soll eine hochentwickelte Künstliche Intelligenz an der Reise teilnehmen. Sie soll viele alltägliche Prozesse steuern und automatisch Wissen über das All sowie die Entwicklung der Crew sammeln und in einer umfassenden Chronik bewahren. Zudem soll sie dabei helfen, Konflikte und Unstimmigkeiten zu vermeiden und aufzulösen. Dabei soll die KI in den meisten Bereichen „lediglich als Beraterin auftreten“ und keine endgültigen Entscheidungen treffen. Die Menschen selbst sollten stets über ihr Schicksal bestimmen, nicht ein Computersystem. Um der Enge des riesigen Raumschiffs zu entfliehen, soll es den Bewohnern möglich sein, über Computer-Gehirn-Schnittstellen in ein Metaverse einzutauchen, in dem sie andere Welten erfahren können.


Systema Stellare Proximum landete auf dem dritten Platz.
Systema Stellare Proximum landete auf dem dritten Platz.

 

Irgendwann bei Proxima Centauri b angekommen, wäre es das Ziel, die Bewohner auf die Oberfläche zu bringen, wo sie einen Außenposten der Menschheit errichten. Das Team hinter Chrysalis glaubt jedoch, dass viele, die auf dem Schiff geboren und aufgewachsen sind, dies wohl gar nicht wollen. Sie sind „so an das Leben im Weltraum angepasst, dass das Ziel, auf der Oberfläche eines neuen Planeten zu landen und dort zu leben, außerhalb ihrer Vorstellungskraft liegt“. Daher könnte es nach der Ankunft wohl noch Jahrzehnte dauern, bis die eigentliche Mission startet: das Leben auf einer neuen Welt.

 

Hunderte Jahre bis zur Realisierung

 

Laut Andreas Hein hat die Jury das Gesamtkonzept und die Detailtiefe überzeugt, die die Entwickler von Chrysalis aufzeigen. „Bei Chrysalis haben das Habitat mit seinen zwiebelartigen Schichten, die Gebäude, die Lebenserhaltungssysteme und die Gesellschaft zusammengepasst und jeder dieser Aspekte war im Detail beschrieben“, so Hein. Das Chrysalis-Konzept habe dabei „Ähnlichkeiten mit Konzepten von Generationenraumschiffen aus den 80er Jahren von Alan Bond und Anthony Martin“, enthalte aber auch zahlreiche neue Ideen und eingehende Überlegungen zu Technologien wie Künstlicher Intelligenz.

 

Auf dem zweiten und dritten Platz des Wettbewerbs landeten die Konzepte WFP Extreme und Systema Stellare Proximum. Ersteres skizziert ein aus zwei riesigen Rotationsringen und einem zentralen Kern konstruiertes Schiff, das bis zu 1.100 Menschen fassen soll. Diese sollen unter anderem mit Schildkröten zusammengebracht werden, um die Beziehung zwischen verschiedenen Spezies zu stärken. Das Team hinter Systema Stellare Proximum schlägt hingegen vor, einen Asteroiden einzufangen, ihn auszuhöhlen und in ihm ein Raumschiff zu bauen, das aus zwei riesigen rotierenden Tori besteht, die im Inneren der Erde nachempfundene Landschaften bieten. Dieses Konzept ist von einer durch den Ozean schwimmenden Qualle inspiriert.

 

Andreas Hein möchte außerdem noch zwei weitere Entwürfe würdigen, die ihn begeistert haben. „Das Neo-Genesis-Seed-Konzept hat mir sehr gut gefallen, da es die Weitergabe von Wissen zwischen Generationen ins Zentrum stellt und die Gesellschaft dementsprechend organisiert“, sagt er. Und auch Galaxy Express 999 des Teams EBS sei sehr inspirierend. „Sie haben versucht das Konzept der Agora auf die interstellare Gesellschaft zu übertragen, in dem Verhandlungen ins Zentrum der Gesellschaft gestellt werden.“

 

Laut Hein werden aber wohl noch hunderte von Jahren vergehen, bis solche Ideen in die Realität übersetzt werden könnten. Dass solche Generationenschiffe aber grundsätzlich machbar sind, davon ist der Raumfahrttechniker überzeugt. Daher soll der Wettbewerb keineswegs das Ende von Projekt Hyperion sein. Vielmehr sei er ein Anfang, um das Konzept des Generationenschiffs weiterzudenken und zu erforschen. Das Team möchte viele der Ideen aus den Einreichungen gezielt sammeln und zusammenfassen, um ein übergreifendes Konzept für ein Generationenraumschiff auszuarbeiten. „Damit hoffen wir, gezielter Aspekte, die die Machbarkeit betreffen, untersuchen zu können.“

Michael Förtsch

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Kommentare (4)

Jeff Ryan
vor 4 Std.

The notion of generation ships is nothing more than an escapist fantasy for a privileged few. While a handful of people might dream of fleeing into space, billions would be left behind on the very planet we have brought to the brink. That is not vision, but sheer folly. Our intellectual resources would be far better spent preserving and improving the only spacecraft we truly have – Earth – rather than indulging in absurd speculations about “escape vessels” among the stars.

8

Jeff Ryan
vor 5 Std.

I see the concept of generation ships—vessels meant to travel for centuries, even millennia, in order to colonise new worlds—as little more than a social diversion, devised by people who, it seems, find life on Earth too dull. It has little to do with science and far more to do with a craving for attention.

We are already travelling on a spacecraft: our planet Earth. Instead of chasing utopian projects that will never come to fruition, we ought to devote our energy to improving life here and ensuring the future of our own world. Competitions of this sort are simply absurd. The ingenuity and skills of their developers would be far better employed on our interstellar vessel, Earth itself.

2

balthasarvoss
vor 22 Std.

Generationen, Raumschiffe, sind heutzutage überholt. Mit der Bio 3D Techniken, kann in wenige Jahre nahezu alles im Körper ersetzt oder ausgetauscht werden. Dann braucht man keine Generstionen Raumschiffe mehr.

0

Sp1eLmaNn
Sp1eLmaNn
vor 2 Tagen

Schönes Projekt, hatte es mitverfolgt und bin doch sehr überrascht gewesen wie eifrig die Teams waren. Wirklich tolle Präsentationen!

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