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18. Dezember 2024

Können ausrangierte Windräder zu kleinen Häusern werden?


Wenn Windkraftwerke zurückgebaut oder ersetzt werden müssen, ist das mit viel Aufwand und Energieverbrauch verbunden – bisher. Ein Designstudio zeigt nun jedoch eine Alternative auf: Zumindest die großen Maschinehäuser der Windkraftanlagen könnten zu Tiny Houses werden.


Von Michael Förtsch

 

Die Energiewende in Deutschland schreitet weiter voran. In diesem Jahr stammten wochenweise mehr als 60 Prozent des erzeugten Stroms aus nachhaltigen Quellen. Den größten Anteil daran hatte die Windenergie. Ende 2024 stehen in der Bundesrepublik über 30.000 Windräder, die zusammen mehr als 69.000 Megawatt Energie liefern – und das in den meisten Fällen sehr zuverlässig. Das Gros der in den letzten Jahren errichteten Anlagen sind auf eine Lebensdauer von bis zu 25 Jahren ausgelegt. Aber was passiert eigentlich danach? Wenn ein Windrad das Ende seiner Lebensdauer erreicht hat oder durch eine größere und modernere Anlage ersetzt werden soll, müssen die tonnenschweren Bauteile recycelt werden, was Zeit, Geld und Energie kostet. Doch für eines der zentralen Bauelemente könnte es in Zukunft eine vergleichsweise einfach zu realisierende Zweitnutzung geben – nämlich als Tiny House.

 

„Wir haben uns schon länger die Frage gestellt, ob und wie Komponenten von Windkraftanlagen wiederverwendet werden können, ohne sie allzu sehr verändern zu müssen“, sagt Thomas Hjort, Innovationsmanager für Offshore-Wind bei Vattenfall, im Gespräch mit 1E9. Denn auch wenn sich viele Teile der Windkraftanlagen schon heute wiederverwerten lassen, ist das oft mit viel Aufwand und vor allem Energieeinsatz verbunden – etwa um die Verbundwerkstoffe zu trennen oder den Stahl wieder einzuschmelzen. „Im vergangenen Jahr haben wir deshalb einige Designstudios gebeten, sich mit dem Thema zu beschäftigen“, sagt Hjort. Die verschiedenen Studios erhielten dabei unterschiedliche Bauteile von Windkraftanlagen zugewiesen – unter anderem die Gondel beziehungsweise das Maschinenhaus einer V80-2MW-Anlage.

 

„Ein Studio kam mit der Idee für ein Tiny House“, sagt Hjort. „Und um zu sehen, ob es wirklich funktioniert, haben wir beschlossen, es zu realisieren.“ Bei dem Studio handelte es sich um Superuse aus Rotterdam, das über die Initiative Blade-Use bereits Rotorblätter von Windkraftanlagen als Kunstwerke, Lärmschutzwände und Kletterwände wiederverwendet. Laut Jos de Krieger von Superuse war das Studio daher prädestiniert für ein solches Upcycling-Projekt. „Wir konzentrieren uns seit langem auf die Wiederverwendung von Materialien“, sagt er zu 1E9. „Wir verfolgen die Entwicklung hin zu einer regenerativen Architektur als Teil einer Kreislaufwirtschaft und die damit verbundenen gesellschaftlichen Übergänge.“



Genug Raum für eine Wohnung

 Wie Jos de Krieger erklärt, war die Idee, die Gondel in ein Tiny House umzuwandeln, für das Studio zwar naheliegend, ihre Umsetzung jedoch eine Herausforderung. Denn eine Vorgabe von Vattenfall war, die Grundstruktur der Bauteile selbst so wenig wie möglich zu verändern und zudem die Bauvorschriften für die Art von Gebäuden einzuhalten: in diesem Fall ein Tiny House, das so tatsächlich genutzt werden könnte und dürfte. Dafür stand dem Studioteam zwar ein echtes Maschinenhaus für Studien zur Verfügung, aber „das kam mit der ganzen Technik drin“, sagt Jos de Krieger. „Dort konnten wir zwar Messungen vornehmen, aber der Großteil der Arbeit fand an einem digitalen Modell statt.“

 

Wie sich für die Designer zeigte, war die Metallröhre mit vier Metern Breite, zehn Metern Länge und drei Metern Höhe durchaus geräumig. „Für den Prototyp haben wir uns aber trotzdem entschieden, das Interieur so einfach wie möglich zu halten“, sagt Jos de Krieger. Dazu wurden die Wände isoliert und mit warmem Holz verkleidet. Statt Fenstern gibt es an beiden Enden vollverglaste Türen. Für die Aufteilung der Fläche wurde ein Küchenbereich und ein kombinierter Wohn- und Schlafbereich definiert – mit erstaunlich viel Raum. Im Metallkorpus finden sowohl eine kleine aber trotzdem voll ausgestattete Koch- und Spülzeile als auch eine großzügige Couch-Bett-Kombination und eine Sitzecke Platz. „Aber natürlich könnte alles auch individuell gestaltet werden“, sagt Jos de Krieger.

 

Eine Besonderheit des Tiny House: Es ist als weitestgehend autarke Wohneinheit konzipiert. Daher verfügt es über eine Wärmepumpe und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach, die nicht nur Strom für die Elektrogeräte liefert, sondern auch eine Ladestation für Elektrofahrzeuge speist. Eine Solarthermieanlage sorgt für warmes Wasser. „Wir sind ein Energieversorger“, sagt Thomas Hjort von Vattenfall. „Deshalb war es uns wichtig, hier selbst einiges beizusteuern.“ Die für die entsprechenden Anlagen nötige Technik konnte einfach im Boden, der Decke und den Wänden untergebracht werden.



Weitere Nutzungsmöglichkeiten erforschen

Jos de Krieger sieht durchaus Potenzial für das Tiny-House-Konzept. Denn: „Allein von dieser [hier verwendeten] Gondel gibt es weltweit mindestens 10.000 Stück“, sagt er. Im Laufe der Jahre müssten sie alle irgendwann rückgebaut und dann eben eingeschmolzen oder anderweitig recycelt werden. Aber, wie er und Thomas Hjort einschränken, wären die Umbauten einer Gondel zu einem Tiny House natürlich auch eine Herausforderung. Denn der Umbau sei zwar einfacher als das Recycling, aber trotzdem mit einem gewissen Aufwand verbunden – sowohl finanziell als auch logistisch.

 

Dennoch muss das Tiny House soll kein Einzelstück bleiben. „Wir prüfen derzeit, ob das Interesse und das Marktpotenzial groß genug sind, um eine größere Serie zu rechtfertigen“, sagt Jos de Krieger. Zwar sei es „nicht Hauptziel des Projekts gewesen, jetzt ein Unternehmen für Tiny Houses zu gründen“, aber wenn Interesse da sei und sich dadurch „Möglichkeiten der Wiederverwendung“ aufzeigen, wäre das eine Gelegenheit, ein positives Beispiel zu setzen.

 

Wie der Designer weiter ausführt, wäre eine singuläre Wohneinheit wie ein Tiny House  nur eine mögliche Option für die Wiederverwendung der Gondel einer Windkraftanlage. Ebenso könnten mehrere Gondeln zu größeren Wohneinheiten verbunden werden – zumal es auch Windkraftanlagen mit noch größeren Gondeln gibt. „Ich kann mir auch vorstellen, dass man damit bestehende Häuser in städtischen Gebieten vertikal erweitern könnte“, sagt er. Denn eine solches Maschinenhaus könnte einfach auf ein bestehendes Haus aufgesetzt werden. Sie könnten auch als Ferienhäuser oder sogar als Schafställe genutzt werden. Die Möglichkeiten wären sehr vielfältig.




Michael Förtsch

Michael Förtsch

Senior Editor / Lead Writer

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