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24. November 2025

Ja, NFTs existieren noch – und in Brandenburg ermöglichen sie gerade den ersten „autonomen Wald“

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In Brandenburg hat ein Künstlerduo ein Waldstück erworben. Über eine Krypto-Organisation und mittels NFTs soll dessen Zukunft bestimmt werden. Damit sollen traditionelle Eigentumsverhältnisse und unsere Beziehung zur Natur hinterfragt werden.


Von Michael Förtsch


Die hohen Preise und die mediale Überpräsenz erscheinen mit Abstand ziemlich absurd. Von 2021 bis 2022 waren Non-Fungible Token, kurz NFTs, ein nahezu allgegenwärtiges Phänomen. Sie entwickelten sich binnen Monaten von einem Technologieexperiment auf Blockchains wie Ethereum, Tezos und Co. zu einem Werkzeug für Künstler und Geschäftemacher. Denn die kleinen digitalen Einträge fungierten plötzlich als Eigentums-, Echtheits- und Einzigartigkeitszertifikat, das frei gehandelt werden kann. Manche von ihnen geben den Inhabern sogar exklusiven Zugang zu Websites, Veranstaltungen oder Mitgliedschaften und Mitbestimmungsrechte in sogenannten DAOs – Dezentralisierten Autonomen Organisationen –, deren Besitzer sich über NFTs an einem Kunstwerk, einem Projekt oder einem Unternehmen beteiligen.

 

Mittlerweile ist der Hype abgeflacht. Die Preise der einst Abertausende Euro teuren NFTs sind kollabiert. Es ist stiller geworden um die Technologie dahinter – aber verschwunden ist sie nicht.

 

„Wir sind sehr gut darin, entweder zu früh oder zu spät zu sein“, sagt Paul Seidler daher zu 1E9. Er bildet zusammen mit Paul Kolling das aktuell als Duo agierende Künstlerkollektiv terra0. Dieses befasst sich bereits seit Jahren mit Blockchain- und NFT-Technologien sowie der Überschneidung von Ökonomie und Ökologie und erforscht diese derzeit in einem ungewöhnlichen, aber – im positiven Sinne – auch sehr deutschen Projekt. Für dieses hat das Duo mit im Auftrag der Berliner Kunststiftung LAS und mit Unterstützung des Krypto-Wallet-Herstellers Ledger im brandenburgischen Beelitz zwei Waldstücke gekauft. Der Vertrag wurde gerade erst unterschrieben. „Erlen, Birken, Buchen und Tannen“, beschreibt Paul Kolling die beiden Landstücke. „Anscheinend soll es dort auch Sonnentau geben.“

 

Der Grund für den Waldkauf? Die Erschaffung eines Autonomous Forest – ein Kunst- und Ökoprojekt, das die Möglichkeiten ökologischer Regeneration durch kollektive, blockchainbasierte Verwaltung erproben soll. Eine Idee, die, wie das Duo erklärt, fast ein Jahrzehnt alt ist. „Das Konzept von Autonomous Forest ist eine Weiterentwicklung unseres im Jahr 2016 verfassten Whitepapers: Can an augmented forest own and utilise itself?“, sagt Paul Kolling. In diesem Text entwickelten Seidler und Kolling an der Universität der Künste Berlin zusammen mit ihrem Kommilitonen Max Hampshire das Szenario eines Waldes, der von einer Gruppe Menschen gekauft wird. Die Verwaltung wird über eine Blockchain geregelt, über die Lizenzrechte zum Einschlag von Bäumen verkauft werden. Sobald der ursprüngliche Kaufpreis des Waldes eingespielt ist, wird der Besitz des Waldes an den Wald selbst übergeben; er gehört sich dann selbst.

 

Eine alte Idee

 

Mit Autonomous Forest soll die im Whitepaper beschriebene Vision nun erprobt werden. Auch wenn dessen Idealismus und konzeptionelle Höhe nicht vollständig umsetzbar sein werden, wie die beiden Blockchain-Künstler eingestehen. Denn dass ein Wald sich selbst besitzt, ist beispielsweise im deutschen Recht nicht vorgesehen. Daher muss das Konzept „an die aktuellen technologischen, rechtlichen und sozialen Gegebenheiten“ angepasst werden und wurde dafür über die letzten Jahre zusammen mit LAS weiterentwickelt, wie Kolling umreißt. Die Idee des Whitepapers soll aber im Kern erhalten bleiben.

 

Das bedeutet konkret, dass die beiden Waldstücke zunächst in den Besitz eines Vereins übergehen. „Es braucht einen eingetragenen Verein als rechtlichen Repräsentanten und Besitzer der Waldflächen im Grundbuch“, so Paul Kolling. Dieser hat Mitglieder und einen Vorstand. Wie es sich eben gehört. Parallel dazu wird jedoch auch eine DAO auf der Ethereum-Blockchain geschaffen. Der Verein fungiert als deren ausführendes Organ und setzt die Beschlüsse der DAO um. Es handelt sich um eine Hybridstruktur. „Ohne den Verein hätten wir keinen Rechtskörper, der nach deutschem Recht das Land besitzen kann“, erklärt Kolling. „Ohne die DAO gäbe es keine offene Partizipation, die wir für essenziell für das Projekt halten.“


Jeder Inhaber eines NFTs soll eine Parzelle des Waldes repräsentieren. Bild: terra0/LAS
Jeder Inhaber eines NFTs soll eine Parzelle des Waldes repräsentieren. Bild: terra0/LAS

 

Wer über den Wald mitbestimmen und Teil der DAO werden möchte, kann dies durch den Kauf eines NFTs erreichen. Diese sollen am 15. Dezember zur Prägung bereitstehen. Jedes NFT soll einen Teil der beiden Waldstücke repräsentieren. „Jeder Parzelle wird eine eindeutige Identifikationsnummer als Token-ID zugewiesen”, sagt Paul Seidler. Das Duo betont jedoch, dass der Besitz des NFT – anders als bei sonst gehypten NFTs – keinesfalls einen Besitz an der Parzelle bedeutet. Stattdessen stehen die NFTs des Autonomous Forest für eine Art Repräsentationsrecht für das entsprechende Waldstück in der DAO beziehungsweise im Verein.

 

Jedes NFT ist zudem mit einem einzigartigen Bild verbunden, das aus verschiedenen Daten des Waldstücks generiert wird. „Die Bilddaten für die Token werden vollständig in einem einzigen Prozess generiert. Mit einer speziell entwickelten Mapping-App bewegen wir uns durch den Wald und erfassen Bilder des Waldbodens zusammen mit Metadaten für jedes Geohash-Grundstück“, erklärt Paul Kolling. „Für die Bilderzeugung wird jedes Foto zu einem Albedo- und Höhenabschätzungsbild verarbeitet und dann in ein generatives Programm geparst, das ein 3D-Netz des Waldbodens extrudiert, verformt und schattiert. Die Parameter dieses Prozesses werden durch die gesammelten Metadaten beeinflusst.“ Wie das dann aussieht, das muss sich noch zeigen.

 

Nein, NFTs sind nicht tot

 

Was die Token-Inhaber mit dem Waldstück dann machen können, muss sich noch zeigen. Denn auch dort ist durch deutsches Recht keine totale Willkür und Freiheit möglich. Bei dem Autonomous Forest handelt es sich nämlich um ein geschütztes Biotop. Es lässt sich beispielsweise nicht roden und in einen Parkplatz umwandeln. „Erstmal begrenzt der Status eines Biotops die Ausbeutung erschreckend wenig“, relativiert Paul Kolling aber. So darf beispielsweise in einem Biotop Feuerholz geschlagen, gejagt oder eine Waldführung organisiert werden.

 

Die Mitbestimmung der DAO beschränkt sich zudem nicht auf den Wald selbst. Auch auf den Verein haben die DAO und ihre Mitglieder einen Einfluss. Dieser muss unter Umständen mit anderen Waldbesitzern und Behörden interagieren – und dabei kann die DAO mitreden. Ebenso ist es Aufgabe des Vereins, „Waldflächen aus dem Privatbesitz in Prozessschutzflächen zu überführen“. Sollte die Möglichkeit bestehen, weitere Waldstücke dazuzukaufen, hätte auch hier die DAO ein Mitspracherecht.

 

Aber hätte es dafür wirklich eine Blockchain, eine DAO samt NFTs gebraucht? Wäre ein derartiges System nicht auch mit klassischen Abstimmungsverfahren und Datenbanken möglich gewesen? Diese Frage stellten sich viele bei etlichen Projekten aus der Hype-Ära von NFTs. „Tatsächlich hast du schon recht, dass wir diese ganzen Prozesse natürlich auch zentralisiert auf unseren eigenen Servern hätten laufen lassen können”, sagt Paul Seidler zu seinem Projekt. „Aber dann stellen sich auch Fragen der Macht: Wenn der Vorstand eine geheime digitale Wahl auf dem eigenen Server durchführt, ohne dass eine Verifikation von außen möglich ist, dann erscheint uns das relativ fragwürdig – insbesondere, wenn es um die Wiederwahl des Vorstands geht.“ Noch schwieriger würde es beim Verkauf der Parzellen-Einheiten samt Bildern ohne Blockchain werden. Die Blockchain biete mit NFTs und DAOs schlichtweg eine bereits gut funktionierende Lösung, wenn auch nicht in allen Fällen die ideale. 

 

Nichtsdestotrotz ist sich das Künstlerduo der Kritik an der Blockchain-Technologie und den vielfach gescheiterten DAO-Projekten bewusst. „Eine unserer Thesen ist, dass DAOs hauptsächlich deswegen immer nur kurzzeitige Phänomene waren, weil sie im rechtlichen Rahmen eben nur sehr schlecht formalisiert wurden“, sagt Paul Seidler. „Mit Autonomous Forest versuchen wir das genaue Gegenteil: Können wir ein DAO technisch und rechtlich so verankern, dass es die nächsten 100 Jahre überdauert? So etwas zu bauen, braucht auch Zeit und vor allem die Expertise von Anwälten.“ Auch NFTs sieht das Duo nicht als gescheiterte Technologie. Eher im Gegenteil. Denn NFTs werden weiterhin für zahlreiche Projekte genutzt und in Galerien ausgestellt. „Es ist fast so, als ob der Begriff NFT verschwindet, während sich die eigentliche Technologie durchsetzt“, so Seidler weiter.

 

Bei Autonomous Forest geht es jedoch nicht um die Blockchain oder NFTs. Es geht vielmehr darum, die Beziehung von Natur, Besitz und Technologie zu erforschen. Damit soll eine These erkundet werden, die die Künstler vor fast zehn Jahren in ihrem Whitepaper aufgestellt haben. „Formuliert man die Beziehung zwischen ökologischen Entitäten und der Gesellschaft durch Programme oder juristische Personen, die in verschiedenen sozialen und wirtschaftlichen Kontexten unterschiedliche Ausdrucksformen haben können, verändert sich die inhärente Objekthaftigkeit nicht-menschlicher Entitäten”, so Kolling weiter. „Oder simpler formuliert: Erst wenn Eigentum wirklich kollektiv wird, können Beziehungen zwischen Natur und gesellschaftlichen Prozessen neu formuliert werden.“

Michael Förtsch

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