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14. März 2020

Die Zukunft als Mega-Objekt: Die irren Ideen des Superstudio


Vor über 50 Jahren erschuf eine Gruppe von Architekten und Designern bizarre Entwürfe für Städte und Mega-Gebäude. Diese werden auch heute noch im Internet geteilt und auf Konferenzen debattiert. Kein Wunder, die Konzepte des Superstudio waren so provokant wie irreal.


Von Michael Förtsch


Weithin zieht es sich. Bis an den Horizont und noch darüber hinaus. Einmal um den ganzen Erdball rund herum. Mal dutzende, mal hunderte Meter hoch ist nichts zu sehen als ein riesenhafter Block aus glänzenden Glaskacheln. Er schlängelt sich durch Täler und Ebenen, durch Dörfer und Metropolen wie New York City, wo er ganze Häuserblocks überspannt, Kirchen und Appartementhäuser einfasst. Andernorts spähen Ansammlung von Wolkenkratzern, Bergspitzen oder Wiesen durch das massive Konstrukt hindurch. Es sind Bilder, die gut und gerne auf den Covern von Science-Fiction-Romanen zusehen sein könnten.


Dieser riesige Koloss aus schimmernden Platten ist das Continuous Monument – oder auch: Il Monumento Continuo –, eine hypothetische Mega-Struktur ohne genau definierten Sinn oder Zweck. Erdacht hatte sie eine Gruppe von Architekten und Designern, die sich ab 1966 um Adolfo Natalini und Cristiano Toraldo di Francia zusammengefunden hat. Die beiden Gründer und ihre wechselnden Kollaborateure und Mitstreiter nannten sich Superstudio und wollten in der Welt der Architektur und des Designs neue Wege gehen. Sie wollten nicht wirklich bauen, sondern avantgardistische Ideen, Konzepte und Entwürfe schaffen – und dabei Konventionen in Frage stellen. Sie schufen dafür Fotomontagen, schrieben Texte, drehten Filme und konstruierten Modelle, die sich zuvorderst der Idee der Stadt und der Vereinnahme der Umwelt annahmen.


Einfach mega


Das Continuous Monument ist bis heute eine der bemerkenswertesten und imposantesten Konstrukte, die das Superstudio konzipierte. Wer sich für Architektur interessiert oder sich nur dann und wann durch Pinterest oder Design-Blogs auf Tumblr klickt, wird unweigerlich über einige der surrealen Bilder gestolpert sein, die das Team 1969 davon angefertigte. Unter den Bildern: Oft Fragen, was das Monument nun sein und wofür es taugen soll. Die Architekten und Designer von Superstudio haben damit, wie sie sagten, ein Gebäude erdacht, das „eine kosmische Ordnung auf der Erde“ schaffen könnte – aber nie und nimmer umsetzbar wäre. Und auch nie umsetzbar sein sollte. Vielmehr war das Continuous Monument eine architektonische Kritik.


Das Continuous Monument sollte sich durch Städte, Felder, Wälder und Gebirge ziehen. © Superstudio

Wie Cristiano Toraldo di Francia, einer der Gründer von Superstudio erklärte, sollte der unbaubare Mega-Bau eine Warnung sein. Einerseits vor „dem Horror“, den die Architektur der Nachkriegszeit und Stadtplanung des vermeintlichen Fortschritts darstellen könnten. Andererseits vor der Gefahr, die der Globalisierung und Urbanisierung innewohnt. Beides könne zu einer brutalen Vereinnahme der Umwelt führen und lokalen Eigenheiten der Architektur, des Designs und der Lebensweise auslöschen. Eben genau so wie das Continuous Monument, das sich glatt, uniform und ohne erkennbare Besonderheiten dahinzieht. Aber die Architekten schufen damit auch eine Persiflage auf reale Mega-Strukturen – etwa Städte wie New York City, Autobahn- und Highway-Netze die ungezügelt wachsen und Land auffressen.


Das Continuous Monument ist, wie Cristiano Toraldo di Francia sagt, ein Bauwerk, dem jegliches Gefühl für die Qualität des Raums, der funktionellen Verortung und Sensibilität entzogen wurde.

Das Continuous Monument ist, wie Cristiano Toraldo di Francia sagt, ein Bauwerk, dem jegliches Gefühl für die Qualität des Raums, der funktionellen Verortung und Sensibilität entzogen wurde. Die Fotomontagen stießen durchaus auf Beachtung und wurden vielfach interpretiert und analysiert. Sie wurden im Maxxi Museum in Rom sowie in der Neuen Galerie in Graz ausgestellt und haben Architekten wie Rem Koolhaas und Zaha Hadid beeinflusst. Heute befinden sich mehrere der ursprünglichen Fotomontagen im MoMA in New York City.


Eine Ebene für das Leben

Drei Jahre nach dem Continuous Monument entwickelte Superstudio die Idee weiter. Viel weiter. Denn da stellte die Architektengruppe ihr Konzept für ein sogenanntes Supersurface – im Original Supersuperficie – vor, eine gerasterte Membran, die sich wie eine Folie über die Erdoberfläche legt. Wie beim Continuous Monument schauen nur hie und da einzelne Hindernisse hindurch: Berge, Wiesen, Hügel oder ein kleines Waldstück. Anders als bei dem Mega-Monument hatten die Architekten dem Supersurface in einem kurzen Film jedoch einen futuristischen Sinn und Zweck mitgegeben. Sie sahen es als eine intelligente Fläche, die auf ihrer Oberseite durch nicht näher definierte Technologien für ein stets ideales Klima für die Menschheit sorgt.



An verschiedenen Stellen der Membran sollte es Stationen geben, wo sich die Menschen mit Wasser, Lebensmitteln und anderen Notwendigkeiten versorgen könnten. Wer auf dem Supersurface lebt, könnte sich daher auf seine Basisbedürfnisse fokussieren, müsste nicht länger arbeiten oder nach Höherem streben. Und letztlich würden auch Städte, Wohnungen überflüssig und Straßen ebenso. Denn: „Jeder Punkt ist genauso wie jeder andere“, heißt es in einem Projekttext des Superstudio. „Die Reise von Punk A nach Punkt B mag kurz oder lang sein“, aber letztlich bewege sich der Mensch auf dem Supersuperface auf einer stets einheitlichen Oberfläche und befindet sich in einem stetigen Prozess der Migration. Damit sollte das Supersurface sowohl ein Denkkonzept als auch eine Kritik am Fortschritts- und Verstädterungsdrang darstellen.


Als eine Art Gegenentwurf zum Supersurface, das Ballungsräume überflüssig machen sollte, entwarfen die Architekten 1971 dann zwölf bizarre Idealstädte. Jede dieser Ideal Cities wurde mit einer eigenen Geschichte und Photomontage versehen. Für New York hatten sich die Architekten eine Katastrophe ausgemalt, die die ganze Metropole in Schutt und Asche legte. Dort, wo einst der Central Park war, würde dann ein riesiger Kubus errichtet werden, der durch in seine Oberfläche eingelassene Linsen aus dem Sonnenlicht die Energie für sein Funktionieren erzeugt. Bewohnt werden sollte er nicht von Menschen, sondern Millionen von Gehirnen, gelagert in einer Flüssigkeit, „frei, um die höchsten Ziele der Weisheit und des Wahnsinns zu erreichen, vielleicht um absolutes Wissen zu erreichen.“


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Eine weitere Stadt sollte die Conical Terraced City sein, eine 1,2 Kilometer hohe und kreisrunde Pyramide, die aus unzähligen kleinen Stufe besteht. Auch eine Raumstation, die Spaceship City, gehörte zu den Superstudio-Städten – wenn auch eine vergleichsweise kleine. Die Architekten konzipierten sie als kreisrundes Habitat, das sich um einen Zentralen Kern drehen und auf „einen Planeten etliche Lichtjahre entfernt“ zusteuern sollte. Aber ebenso hatten die Architekten eine Metropole in ihrem Portfolio, die eigentlich eine Maschine ist; eine Stadt unter einem gigantischen Zirkuszelt und eine, die sich wie ein Korkenzieher in die Erde hinein schraubt. Wie die Menschen nun genau dort leben würden? Wie diese Städte genau hätten funktionieren sollen oder hätten umgesetzt werden können? Das war für Superstudio irrelevant. Ebenso wie eine klare Antwort darauf, ob ihre Entwürfe nun utopische oder dystopische Visionen sein sollten.


Architektur der Kritik


Adolfo Natalini, Cristiano Toraldo di Francia und ihre Mitstreiter sahen ihre Entwürfe nicht als Architektur, sondern als das Gegenteil davon. Als eine Art Antiarchitektur, Antidesign sogar. Sie produzierten unmögliche Ideen, die philosophischen und anthropologischen Fragen provozieren sollten. Zu Debatten darüber, was und wie die Menschen in den kommenden Jahrzehnten leben sollten. Wie Architekten die Umwelt gestalten müssen, um sie menschengerecht und menschenwürdig zu machen. Aber ihre Entwürfe sollten auch anregen, über Alternativen des Lebens auf der Erde oder auch im All zu spekulieren. Fast so, wie es auch die Science Fiction immer wieder getan hat – und auch immer wieder tut. „Es ist die Pflicht des Designers, seine Rolle in dem Albtraum, den er mit verantwortet, neu zu bewerten“, hatte Toraldo di Francia einst seine Arbeit begründet.


Verschalt sein sollte das endlose Monument mit Glasplatten, die es sowohl neutral, modern als auch bedrohlich erscheinen lassen sollten. © Superstudio

Noch bis 1978 hatte Superstudio mal größere, mal kleinere Arbeiten präsentiert. Dann zerstreute sich das Kollektiv und löste sich auf. Die Architekten und Designer gingen wieder eigenen Arbeiten nach. Ende des letzten Jahres starb Cristiano Toraldo di Francia. Anfang dieses Jahres dann auch Adolfo Natalini. Beide wirkten nach Superstudio an zahlreichen Architektur- und Designprojekten mit. Di Francia entwarf unter anderem die Bankgebäude der SanPaolo di Torino in Prato und Banca Toscana in Pistoia, Italien. Natalini hingegen gestaltete das Museo dell’Opera del Duomo in Florenz und zeichnete Pläne zur Umgestaltung des Römerbergs in Frankfurt und des Areals um die Klagemauer in Jerusalem. Doch vor allem über ihre Arbeiten beim Superstudio wird heute immer noch geredet, geschrieben und debattiert. Und das sowohl in Universitätsräumen und Architekturbüros als auch im Internet, wo ihre unmöglichen Architekturwelten geteilt, repliziert und neu interpretiert werden.


Titelbild: Superstudio

Michael Förtsch

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