12. Februar 2025
Das nächste DeepSeek könnte ein europäisches KI-Unternehmen werden

Viele glauben, dass die Europäische Union bei der Entwicklung Künstlicher Intelligenz bereits abgehängt ist. Doch DeepSeek zeigt, dass das nicht so sein muss. Die EU hat durchaus die Chance, mit Innovation und Millionen statt Milliarden aufzuholen – und vielleicht sogar zu überholen. Wenn die Chancen genutzt und die richtigen Weichen gestellt werden.
Von Michael Förtsch
Die Veröffentlichung des KI-Modells DeepSeek R1 hat viele überrascht. Denn das Modell ist nahezu gut wie die Modelle der KI-Pioniere OpenAI, Anthropic und Meta. In manchen Testkategorien schneidet es sogar besser ab. Dabei stammt es von einem vielen zuvor unbekannten Start-up aus China und ist zudem open source – also für jedermann kostenlos nutzbar und zur Weiterentwicklung freigegeben. Vor allem aber soll das Basismodell von R1 für weniger als sechs Millionen US-Dollar auf 2048 Nvidia-H800-GPUs entwickelt worden sein. Modelle ähnlicher Größe und Leistungsfähigkeit werden sonst für Dutzende Millionen auf Serverfarmen mit zehntausenden Rechnern mit hochmodernen KI-Beschleunigern trainiert. Der Erfolg von DeepSeek versetzt die Entscheider im Silicon Valley also zu Recht in Unruhe. Doch während man dort vor einer potenziellen Disruption steht, sollte Europa diesen Moment als Chance begreifen. Denn das Start-up zeigt: Künstliche Intelligenz geht auch anders und ohne Milliardenbudgets!
Es gibt selbstverständlich Personen in der KI-Branche, die die Angaben der Ingenieure von DeepSeek mit Skepsis betrachten – und das durchaus aus gutem Grund. Sie halten die sechs Millionen Dollar für das Training eines hochperformanten Modells für unrealistisch oder irreführend. Denn Kosten für fehlgeschlagene Trainingsläufe, die Kuratierung der Datensätze, die Hardware und vieles mehr sind nicht einberechnet. Es gibt Indizien, dass DeepSeek einige Teile des KI-Trainings auf Servern mit moderneren Nvidia-CPUs durchgeführt haben könnte, die auf verschlungenen Pfaden trotz der Handelsrestriktionen nach China gelangt sind. Viele KI-Forscher, die die von DeepSeek veröffentlichten Studien und technischen Berichte analysiert haben, halten die darin beschriebenen Ansätze zur Optimierung des KI-Trainings jedoch für kreativ und innovativ – und die Angaben zu Hardware und Kosten für weitgehend schlüssig.
„Natürlich kann ich nicht mit Gewissheit sagen, ob die 5,6 Millionen korrekt sind, ob da Propaganda oder Übertreibung mitspielt, und der tatsächliche Wert vielleicht eher im Bereich von 10 oder 15 Millionen liegt“, sagt uns ein KI-Forscher aus einem renommierten deutschen Forschungsinstitut, der nicht namentlich genannt werden will. „Aber selbst dann würde der finanzielle Aufwand von DeepSeek noch mehrere Größenordnungen unter dem liegen, was Unternehmen wie OpenAI und vergleichbare Akteure in diesem Bereich aufwenden.“ Andere Experten vertreten ähnliche Ansichten und Einschätzungen. Neil Lawrence, Professor für Machine Learning an der University of Cambridge, sagt etwa, DeepSeek hätte die Vorstellung, „dass es Milliarden von US-Dollar braucht“, um an Künstlicher Intelligenz zu arbeiten „lächerlich gemacht“.
Kreativität statt Rechenkraft
Amazon, Meta, der Google-Mutterkonzern Alphabet und Microsoft halten trotz des DeepSeek-Schocks an ihren Milliardeninvestitionen in KI-Rechenzentren fest. Doch mit dem Erfolg von DeepSeek wird offen hinterfragt, ob es gigantische Investitions- und Infrastrukturprojekte wie Stargate – in dessen Rahmen für 500 Milliarden US-Dollar Rechenzentren in den USA gebaut werden sollen – wirklich braucht. Auch die vermeintlichen Gewissheiten über die globale Dominanz bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz wurden erschüttert. Darunter die, dass die Europäische Union bei KI nicht mithalten könne, ja sogar schon abgehängt sei: Denn es fehle in der EU nicht nur an den Investitionssummen, die für die millionen- bis milliardenschweren KI-Initiativen aufgerufen würden, sondern auch an der Hardware in Form von gut ausgestatteten Rechenzentren, die die energieintensiven und monatelangen Trainingsläufe stemmen können. So die Erzählung der letzten Jahre.
Sollten sich die Prozesse von DeepSeek als reproduzierbar und weiter optimierbar erweisen, würde sich das Feld derer, die große KI-Modelle vom Schlage eines GPT-4o oder eben DeepSeek R1 entwickeln können, schlagartig erweitern. Nicht zuletzt in der Europäischen Union. Hunderte Millionen Euro an Risikokapital und Fördergeldern einzusammeln, gelingt in der EU zwar nur wenigen Ausnahmefirmen wie Mistral oder Aleph Alpha. Aber einige Millionen Euro: Das sind durchaus Summen, die Investmentfonds hierzulande und in den EU-Nachbarländern in Start-ups investieren, auch staatlich finanzierte Projekte liegen in dieser Größenordnung. Solche Summen könnten nun tatsächlich ausreichen, um ein Sprachmodell wie das freie DeepSeek R1 weiterzuentwickeln oder ein gänzlich eigenes aufzubauen, das es mit den KI-Portfolios von OpenAI, Anthropic, Google und Meta aufnehmen kann. Jedenfalls dann, wenn das Unternehmen das entsprechende Know-how mitbringt. Und hier kann die EU durchaus überzeugen.
Europäische Universitäten bringen seit Jahrzehnten mit die besten Informatiker und KI-Entwickler hervor. Die Technische Universität München, die ETH Zürich und die Sorbonne Université in Paris gehören zu den weltweit führenden Ausbildungsstätten für Informatik. Auch die RWTH Aachen, die Ludwig-Maximilians-Universität und die Universität Darmstadt mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz genießen hohes Ansehen. Einige ihrer Absolventen sind Entwickler, Forscher und Ingenieure in führenden KI-Unternehmen. Aber eben in den Vereinigten Staaten. Denn in Europa war es bislang fast aussichtslos, ein KI-Start-up zu gründen, das große Ambitionen hat, Grundlagenforschung betreiben, eigene Modelle bauen und damit ganz vorne mitspielen will.
Chancen nutzen
DeepSeek hat gezeigt, dass der Kampf um die Spitze bei der Entwicklung von Künstlicher Intelligenz noch lange nicht entschieden ist. Dass es für einen Underdog möglich ist, einen großen Sprung nach vorne zu machen. Es gibt eine Chance für ein europäisches Unternehmen, das nächste DeepSeek zu werden, die Pioniere aus dem Silicon Valley mit einem innovativen Modell herauszufordern und einen neuen Standard zu setzen. In anderen Bereichen ist dies bereits gelungen. Erst im August vergangenen Jahres überraschte das Start-up Black Forest Labs mit seinem Text-zu-Bild-Modell Flux. Das neue KI-Modell der ehemaligen Stable-Diffusion-Entwickler bot und bietet eine Bildqualität, die andere Bild-KIs übertrumpft. Flux ist das erste Modell, das in der Lage ist, menschliche Hände weitgehend zufällig darstellen konnte. Der Sitz von Black Forest Labs? Freiburg im Schwarzwald.
Die europäischen KI-Entwickler müssen jedoch nicht unbedingt gleich an der Spitze stehen oder das beste KI-Modell anbieten. Es gibt andere Karten, die gespielt werden können. EU-KI-Start-ups haben die Chance, hoch spezialisierte Künstliche Intelligenzen zu entwickeln, die sich in der Prä-DeepSeek-Ära wegen der vermuteten Trainingskosten nur schwer gerechnet hätten: Modelle etwa, die auf bestimmte Sprachregionen, Branchen oder wissenschaftliche Disziplinen abzielen. Oder auch Modelle, die mit besonderer Sorgfalt im Hinblick auf das Urheberrecht entwickelt werden und daher von Unternehmen eingesetzt werden können, ohne befürchten zu müssen, rechtlich belangt zu werden.
Es ist natürlich nicht sicher, wie erfolgreich das DeepSeek-Konzept in Europa repliziert werden kann. Denn auch wenn nun wenige Millionen für KI-Trainings und den Betrieb der Modelle ausgegeben werden müssen, bleiben viele Herausforderungen. Denn manche pessimistische Beobachtung stimmt: Es fehlt in Europa noch an der nötigen Infrastruktur für das KI-Zeitalter. Es gibt zu wenige Rechenzentren, zu wenig Rechenkraft. Der AI Act der Europäischen Union sorgt zwar für mehr Rechtssicherheit, aber auch für strenge und zuweilen sehr schwammige Vorgaben, die Gründer abschrecken und abwandern lassen könnte. Und noch immer herrscht Unklarheit darüber, wie Rücksicht auf das Urheberrecht und KI-Trainings zusammenkommen können.
Das alles heißt: DeepSeek ist ein Zeichen dafür, dass der Wettlauf um den Fortschritt in der Entwicklung Künstlicher Intelligenz nicht nur von finanzstarken Konzernen und mit Geldern von Großinvestoren geführt wird. Vielmehr zeigt es, dass Effizienz, Innovationsgeist und kreative Lösungsansätze eine ebenso entscheidende Rolle spielen können. Wenn die richtigen Weichen gestellt werden und sich talentierte Entwickler, visionäre Ingenieure sowie mutige Unternehmer der Herausforderung stellen wollen, hat Europa eine echte Chance, in diesem technologischen Wettstreit mitzuhalten.

Michael Förtsch
Leitender Redakteur
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Cooler Artikel!

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So euphorisch sich der Artikel auch lesen lässt, bleibt es nun mal dabei, dass in Europa wieder einmal zu lange geschlafen wurde – aus rein politischer Sicht. Bisher hat man dort kaum beachtet, wie wichtig KI sein kann und welchen Vorteil sie bringt. Die Politiker in Europa sind mit ganz anderen, mehr oder weniger wichtigen Themen beschäftigt. Hinzu kommen die zahlreichen unterschiedlichen Interessen der Länder und ihre jeweilige Priorisierung.
Das bedeutet, dass wieder viele Jahre über Regeln, Vorschriften und Gesetze debattiert wird – und in dieser Zeit hinken wir dem Thema weiter hinterher. Auch wenn das Thema derzeit in vielen Artikeln aufgebauscht wird, bleibt es doch bei einem riesigen Bürokratieapparat. Diesen zunächst abzubauen, wird Jahre dauern. Die Unternehmen wollen zwar, bekommen aber nicht den nötigen Handlungsfreiraum, um tatsächlich agieren zu können.
Am Ende braucht man doch scale im compute und Daten und das konsistent über Zeit um nicht nur ein one trick Pony zu bleiben. Oder leapfrogging - aber darauf würde ich mich nicht verlassen….
Nochmal zum Geld und dem infrastrukturellen Teil:
https://www.france24.com/en/europe/20250207-uae-to-invest-up-to-%E2%82%AC50-billion-in-massive-ai-data-centre-in-france
Wenn wir selber kein Geld ausgeben wollen, dann wären Partnerschaften vielleicht nicht verkehrt. Frankreich tut vieles um Geld Flüsse ins eigene Land zu stimulieren. Insbesondere auf Ebene der KI und Zukunftstechnologien.
Mir ist klar dass FR in der EU liegt; glaube nicht dass nicht-FR vom
Obigen wirklich was haben wird… eher noch von Microsoft, Google und co.
Würde mir mehr von SAP und schwarz Gruppe wünschen. die könnten zumindest für Distribution sorgen und in Adoption führen.