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16. Dezember 2025

AI Artists versus KI-Kritiker: Lässt sich mit Künstlicher Intelligenz echte Kunst erschaffen?

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Ist das Kunst oder kann das weg? Bei Bildern und Videos, die mithilfe von Künstlicher Intelligenz erstellt wurden, ist es gar nicht so einfach, diese Frage zu beantworten. Das Netz wird von massenweise AI slop überschwemmt – lieblos geprompteter KI-Massenware. Gleichzeitig gibt es AI Artists, die mit Bedacht und Zeit aufwendige KI-Kreationen erstellen – und denen Kritiker aus der klassischen Kunstwelt trotzdem die Bezeichnung „Kunst“ absprechen würden. Unser Redakteur Michael Förtsch, der selbst viel mit KI experimentiert, hat sich auf die Suche nach Bewertungskriterien für echte KI-Kunst gemacht.

 

Von Michael Förtsch

 

Die Aufregung war groß – im Internet und darüber hinaus. Vor drei Jahren hatte Jason M. Allen bei einem Kunstwettbewerb der Colorado State Fair ein Bild mit dem Titel Théâtre D'opéra Spatial eingereicht. Er gewann in der Kategorie Digital Arts/Digitally-Manipulated Photography und nahm die blaue Siegerschleife mit nach Hause. Allerdings hatte Allen bei seinem Werk keinen einzigen Photoshop-Pinsel geschwungen. Denn er hatte Théâtre D'opéra Spatial mittels eines Prompts mit Künstlicher Intelligenz generiert – konkret mit Midjourney, das erst zwei Monate zuvor seine dritte Text-zu-Bild-Modellfassung gestartet hatte. Allen sagte der New York Times, er habe mit seiner Teilnahme demonstrieren wollen, wie „magisch“ diese Technologie sei, und gab als Urheber auch Jason M. Allen via Midjourney an, was die Veranstalter bestätigten. Die Juroren fühlten sich dennoch getäuscht und die anderen Teilnehmer betrogen. Auf Twitter, Reddit, Instagram und Co. zeigten sich zudem viele Künstler enttäuscht und erbost.

 

Seitdem hat sich die Entwicklung von Künstlicher Intelligenz massiv beschleunigt – vor allem durch den Erfolg von ChatGPT, das drei Monate später startete. Heute existieren Dutzende von Text-zu-Bild-Modellen, die Bilder generieren können, die kaum noch von echten Fotos und Malereien zu unterscheiden sind: neben Midjourney und den Stable-Diffusion-Modellen beispielsweise Flux 1 und 2, Qwen Image, Z-Image, eine Vielzahl offener und proprietärer Modelle, um die herum sich ganze Baukästen wie ComfyUI und WebUI aufgebaut haben. Dazu kommen immer fähigere KI-Systeme, die ebenso glaubwürdigere Videos erschaffen lassen: Veo 3, Kling 2.5, Gen-4 und viele mehr. Um all das hat sich eine stetig wachsende Szene entwickelt, die diese mit Passion nutzt – und von denen sich nicht wenige Mitglieder als Künstler betrachten: als AI Artists.

 

Aber gleichzeitig sind Skepsis und Kritik an der sogenannten AI Art weitergewachsen. Vor allem, seit die dafür nötigen Werkzeuge immer einfacher und günstiger zugänglich werden; seit sich direkt in Chatbots wie ChatGPT, Gemini und auch Meta.ai mit einem kurzen Prompt einfach Bilder oder – mit Video-Generatoren wie etwa der Sora-App – Videos generieren lassen, um diese dann auf Social Media auszuspielen, auf Plakate und Leinwände drucken zu lassen. Mittlerweile hat sich AI slop als Bezeichnung für diese Flut an oftmals ohne großen Aufwand, ohne Bedacht und auf die Schnelle erzeugten synthetischen Inhalten durchgesetzt, die auf immer mehr Plattformen authentische visuelle Beiträge in Timelines und Feeds verdrängen: KI-generierte Inhalte, die keinen Mehrwert oder Nutzen bieten oder gezielt aufregen und täuschen sollen.

 

In verschiedenen Communities auf Reddit und dedizierten Kunstplattformen wie ArtStation und DeviantArt hatten Nutzer zeitweise mit weithin sichtbaren Kampagnen dagegen gekämpft, KI-generierte Inhalte zuzulassen. Sie posteten dafür Bilder mit der Abkürzung AI, mechanischen Gehirnen oder Robotern, die mit roten Stop-Zeichen durchgestrichen waren. Auf der anderen Seite schufen sich aber KI-affine Kreative und Tüftler ihre Nischen auf Reddit, X – ehemals Twitter –, Bluesky, Discord und anderen Social-Media-Plattformen, wo sie ihre Werke präsentieren und sich über Arbeitsprozesse, neue Werkzeuge und KI-Modelle austauschen. Zwischen beiden Lagern verschärft sich der Ton. Es findet eine sichtliche Verschiebung von der argumentativen Kontroverse hin zu einem hochgradig affektiv aufgeladenen Schlagabtausch statt, der auch von einer gegenseitigen Delegitimierung geprägt ist. Jene, die einen Mittelweg suchen, geraten ins Kreuzfeuer.

 

Trotz – oder vielleicht sogar wegen – dieser zunehmenden Polarisierung stellt sich die Frage, ob sich mit KI-Technologie künstlerisch arbeiten lässt und ob sich damit echte Kunst erschaffen lässt. Oder ob sich diejenigen, die sich als AI Artists begreifen, nicht doch einer Selbsttäuschung hingeben. Die Antworten darauf sind nicht einfach zu finden. Denn dabei stellen sich unweigerlich Fragen wie: Was ist eigentlich Kunst und wann ist etwas Kunst? Wie gehen wir Menschen mit neuen Technologien bei der Gestaltung von Kunst um? Und natürlich: Wer definiert das eigentlich und wer hat bei diesen Fragen ein Mitspracherecht?

 

Wann wird aus einem KI-Bild echte AI Art?

 

Ich selbst bin beim Thema AI Art und Künstlicher Intelligenz keineswegs neutral. Wer mir auf X folgt, wird immer wieder mit KI-generierten Bildern und Videos konfrontiert. Diese würde ich allerdings nicht als Kunst bezeichnen. Ich sehe mich nämlich nicht als Künstler, sondern lediglich als jemand, der gerne mit diesen Technologien experimentiert und sich daran erfreut, Motive und Szenen zu schaffen, die sich mit einer Kamera leider nicht einfangen lassen. Aber könnte man diese Arbeiten als Kunst bezeichnen, wenn man wollte?  Wikipedia definiert Kunst recht allgemein als „im weitesten Sinne jede entwickelte Tätigkeit von Menschen, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition gegründet ist“. Im engeren Sinne ist Kunst demnach ein „menschliches Kulturprodukt“, das das „Ergebnis eines kreativen Prozesses“ darstellt. Der Duden definiert Kunst noch nüchterner als jedes „schöpferische Gestalten“.


Ein Bild von Synthetic Sould, das er "clean wiring, chaotic mind" getauft hat.
Ein Bild von Synthetic Sould, das er "clean wiring, chaotic mind" getauft hat.

 

Der Kunstpädagoge Claus Tiedemann schlug einst die folgende etwas elaboriertere Definition vor: Kunst sei ein „kulturelles Tätigkeitsfeld“, in dem sich Menschen ernsthaft bemühen, ihre Gefühle und Gedanken „durch ein selbst geschaffenes Werk oder durch eine Handlung auszudrücken“. Diese Definition mag auf meine Kreationen nicht zutreffen – genauso wenig auf die hunderten Millionen „Wie sieht das im Ghibli-Stil“-Bilder, die Flut von AI-slop-Kreationen oder einfach nur mit Random-Prompts generierte Grafiken, die en masse zum Zeitvertreib oder als reines Aufreger- und Troll-Material erzeugt werden. Aber auf andere schon.

 

„Einige Creator investieren viel Intention, Gedanken und Emotionen in ihre Werke“, sagt der Indonesier Dika Karan im Gespräch mit mir. Er arbeitet unter dem Namen DStudioproject und ist vor allem für seine cineastischen KI-Film-Experimente bekannt.  „Für mich wird ein KI-Bild oder KI-Video nur dann zur Kunst, wenn ein echter Prozess dahintersteht. Ein Prompt allein genügt nicht. Aus Dutzenden generierter Inhalte auszuwählen ebenso wenig.“ Hinter einem Bild, das er veröffentliche, stünden zuweilen „vierzig, sechzig, manchmal hundert gescheiterte Versuche“, das Gewünschte zu generieren. Und auch das sei lediglich eine Grundlage, die er mit Photoshop und anderen Bildbearbeitungsprogrammen nachbearbeite. Dennoch wolle er sich nicht anmaßen, sich als Künstler zu bezeichnen und seine Kreationen als Kunst. „Dieses Urteil überlasse ich anderen“, sagt er. „Wenn die Leute das tun, dann bin ich aber dankbar dafür.“

 

Eine ähnliche Ansicht vertritt Synthetic Soul. Er stammt ursprünglich aus Istanbul, arbeitet heute aber als Designer und Grafikkünstler in Brooklyn, New York und erschafft Bilder, die oft die Synergie von Mensch und Maschine erforschen. Er habe bereits jahrelang professionell analog und digital gezeichnet und gemalt, bevor er 2022 mit Midjourney die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz entdeckte – und damit, wie er sagt, „eine neue Form des Ausdrucks“. Laut ihm „macht die Absicht den Unterschied“ zwischen Kunst und Müll – oder auch „nur irgendeinem Bild“. „AI slop wird schnell und ohne Kontext oder Verantwortungsgefühl erstellt“, sagt er. „Kunst entsteht, wenn jemand bewusste Entscheidungen trifft, bedachte Bearbeitungen durchführt und über die Zeit hinweg etwas aufbaut.“ Entscheidend seien nicht das Werkzeug oder die Arbeitsmaterialien, sondern das Ziel und die Denkweise desjenigen, der damit arbeitet. Dabei könne etwas herauskommen, „bei dem ich einverstanden wäre, es Kunst zu nennen“, aber eben nicht in jedem Fall.

 

Etwas anders argumentiert Toshi aus Ecuador. Er sorgte Ende November mit einem viel zitierten wie kritisierten Post auf X für Aufregung, in dem er AI Art als die „größte aktuelle Kunstbewegung“ bezeichnete. Er vertritt das Motto: „Jede Kunst ist Kunst“, egal wie sie entstand. Der über 40-jährige Toshi sagt, er sei seit 20 Jahren als traditioneller Illustrator und Designer tätig gewesen. In dieser Zeit habe er an Comics, Werbegrafiken und auch Videospielen in Lateinamerika gearbeitet. Nun habe er sich jedoch in die Künstliche Intelligenz gestürzt, auch wenn er immer noch male und zeichne. Die Arbeit mit KI-Generatoren wie Midjourney habe sich für ihn angefühlt, „als habe jemand den Käfig geöffnet, in dem meine Kreativität eingesperrt war“. „Plötzlich konnte ich Filme machen, Szenen animieren, ganze Welten bauen, ohne ein riesiges Budget oder 300 Stunden für eine Illustration aufzuwenden.“


Mit seiner Verteidigung von KI-Kunst und Künstlicher Intelligenz als Kunst hat Toshi im November für Aufsehen und Aufregung gesorgt.
Mit seiner Verteidigung von KI-Kunst und Künstlicher Intelligenz als Kunst hat Toshi im November für Aufsehen und Aufregung gesorgt.

Dabei ist Toshi überzeugt, dass seine Arbeit mit KI-Modellen nichts an seinem Status als Künstler ändere. „KI ist nur ein weiteres Werkzeug in meinem Werkzeugkasten, nicht meine Identität“, sagt Toshi. „Nicht alles, was ich mache, ist Kunst. Manches ist nur eine Idee, eine Art Kritzelei.“ Für ihn ist Kunst mit einem Ziel, Geschmack und emotionalem Anspruch verbunden. Ein „eleganter Prompt“ sei lediglich der Ausgangspunkt. Die künstlerische Arbeit zeige sich in den hunderten Entscheidungen, die danach folgten: Was behältst du, was wirfst du weg, wie erzählst du deine Geschichte in dem Werk?“ Die meiste Zeit würde er daher dafür aufwenden, ein KI-generiertes Bild mit Werkzeugen wie Out-Painting zu erweitern und mit In-Painting im Detail zu manipulieren. Anschließend modifiziert er es in Photoshop, setzt manchmal mehrere Bilder zu einem zusammen, animiert es, denkt sich eine Geschichte dazu aus und kombiniert Musik dazu. Einzelne seiner auf X veröffentlichten Inhalte würden zwei bis zuweilen 40 Stunden Arbeit bedeuten. Denn er baue „kleine Universen, in denen jedes Lebewesen eine Geschichte hat“.

 

Genau diese oft nicht sichtbare Arbeit, die kreative Eigenleistung nach dem Prompt, also nach der „maschinellen Arbeit“, sei den Kritikern von KI-Kunst nicht bewusst, betonen KI-Künstler im Gespräch mit mir. „Wenn der Prozess nicht sichtbar ist, glauben Leute, dass keine Intention dahintersteht“, sagt beispielsweise Synthetic Soul. Hier sind auch die KI-Künstler gefragt, ihre Arbeit transparenter zu machen und zu zeigen, wie sie arbeiten und wie sich ihre Bilder und Videos vom ursprünglichen Prompt zum finalen Werk entwickeln.

 

Andere AI Artists sehen jedoch auch das Problem darin, dass sich viele Kritiker nicht aktiv mit der Technologie und den Prozessen auseinandersetzen – und es teils auch gar nicht wollten. „Sie wissen: Du tippst etwas ein und erhältst ein Bild“, sagt beispielsweise ein österreichischer Konzeptkünstler, der mit KI arbeitet und anonym bleiben will, im Gespräch mit mir. Er hat an einigen namhaften Indie-Games mitgewirkt und veröffentlicht seine KI-Werke nur unter Pseudonym, da er Kritik und Anfeindungen fürchtet. Er verweist unter anderem auf einen Artikel des Kunst- und Kulturjournalisten Nicholas Liu, bei dem „klar wird, dass der Typ keine Ahnung hat, wovon er spricht; der wahrscheinlich noch nie so einen KI Image Model bedient hat“. „Sie verstehen nicht, dass es damit für Künstler, die sich ernsthaft damit befassen, erst anfängt. Sie wollen den Unterschied zwischen slop und mit KI generierte Kunst nicht sehen. Es ist als würden sie eine Fünf-Sterne-Bolognese-Soße abstrafen, nur weil sie aus den gleichen passierten Tomaten gemacht ist, wie die Billigfertigsoße aus dem Hofer.“


Noch zumindest… vielleicht.


Ist KI-Kunstkritik bigott?

 

Bei der Definitionsfrage sehen sowohl KI-Künstler, als auch andere Künstler und Kunsthistoriker zunehmend eine Voreingenommenheit und auch Bigotterie. Denn vonseiten derer, die die KI-Kunst kritisieren, werden wiederholt vage und nicht ausformulierte Forderungen bezüglich Eigenleistung und Originalität an KI-Werke gestellt, um als Kunst gelten zu können, die an andere Kunstwerke nicht gestellt werden. Der Künstler Marcel Duchamp begann beispielsweise 1913 damit, reine Alltagsobjekte zu Kunst zu machen, indem er sie als Künstler einfach als solche deklarierte und ausstellte. Dazu gehörten ein Fahrrad-Rad und später ein Urinal – konkret das Modell Bedfordshire der Firma J. L. Mott Iron Works aus New York City –, das er mit einer Signatur und einer Datierung versah. Eine echte kreative Eigenleistung, jenseits der Umdeutung und Deklaration vom Alltagsgegenstand zum Kunstwerk? Eigentlich nicht vorhanden.

 

Gleiches gilt für Richard Prince und seine in den 1980ern entstandene Cowboys- und die in den 2010ern begonnene New-Portraits-Serie. Für Erstere fotografierte und vergrößerte Prince ohne Nachfrage und Genehmigung Ausschnitte aus Marlboro-Werbeanzeigen, deren Motive ursprünglich vom Schweizer Fotografen Hannes Schmid stammten. Für die New Portraits fotografierte er wiederum Selfies von vor allem jungen Frauen auf Instagram ab. Obschon diese Arbeiten von Prince – insbesondere, seit für einzelne Cowboys-Fotos Rekordpreise in Millionenhöhe erzielt wurden – zu harten Fragen bezüglich des Urheberrechts, Privatsphäre und Aneignung führten, war sich die Kunstwelt ziemlich einig: Das ist Kunst. Als provokant und ikonisch gelten die Cowboys und New Portraits heute. Auch und gerade, weil sie kontrovers waren, ethische und rechtliche Fragen aufwarfen.


Die Bilder und Videos von DStudioproject sind häufig von filmischen Einflüssen geprägt, aber auch von religiöser und kultureller Ikonografie.
Die Bilder und Videos von DStudioproject sind häufig von filmischen Einflüssen geprägt, aber auch von religiöser und kultureller Ikonografie.

 

Konzeptionell sind die initialen Schritte von AI Artists nicht viel anders als jene von Prince, Duchamp oder auch Künstlern, die sogenannte Appropriation Art betreiben. Auch sie bauen für ihr künstlerisches Tun auf einem fertigen Werk – eben einer KI-generierten Arbeitsgrundlage – fragwürdiger Natur und Herkunft auf. Denn trainiert wurden und werden die viel genutzten KI-Modelle mit Millionen über Millionen von Fotos, Grafiken, Malereien, Skizzen, Videoclips und anderen grafischen Darstellungen. Darunter Werke von alten Meistern, aber eben auch von lebenden, arbeitenden Künstlern, Film- und Fernsehschaffenden und ganz normalen Menschen, die ihre Fotos und Bilder ins Internet stellten und nie um Erlaubnis gefragt oder für die Nutzung entlohnt wurden.

 

Genau darin sieht Synthetic Soul eine Eigenheit der KI-Kunst und eine spezifische Herausforderung und Verantwortung für KI-Künstler, der sie sich bewusst sein und der sie sich stellen müssen. „Künstliche Intelligenz ist ein Werkzeug, aber es ist auch ein System, das eine eigene Verhaltensweise, eigene Präferenzen und eine eigene Dynamik in den Schöpfungsprozess einbringt“, sagt er. Denn wie ein KI-Bild- oder Videomodell auf einen Prompt reagiert, wie es bestimmte Menschen und Objekte darstellt und ob es mit bestimmten Stilen oder Künstlern trainiert wurde, hat definitiv Einfluss auf die Werke und die Arbeit des Künstlers.

 

„Die Künstler entscheiden, wie viel Kontrolle sie abgeben, wie stark sie eingreifen und ob sie das Ergebnis lediglich akzeptieren oder aktiv gestalten wollen“, ergänzt Synthetic Soul. „Nicht das Werkzeug verleiht der Arbeit einen Sinn, sondern die damit verbundenen Entscheidungen.“ Er selbst versuche stets, sich dessen bewusst zu sein, mit was und wie er arbeite. Er könne und wolle nicht den Stil eines etablierten Künstlers replizieren oder KI-Werkzeuge nutzen, um die Werke anderer zu ersetzen. „Ich nutze dieses Werkzeug, um meine eigene Sprache zu schaffen.“

 

Eine Frage der Ethik? 


Den KI-Künstlern, mit denen ich sprach, ist diese Problematik der KI-Modelle, die mit Milliarden von Bildern ohne Zustimmung der Urheber trainiert wurden, durchaus bewusst. „Künstliche Intelligenz hat ein ethisches Problem“, sagt etwa Dika Karan, auch bekannt als DStudioproject.  „Das ist auch etwas, das angesprochen werden muss.“ Er selbst unterstützt daher die Arbeit an Ethical Datasets, die urheberrechtsfreie und freigegebene Bilder sammeln.

 

Der KI-Künstler Toshi hofft auf eine Zunahme „ethisch trainierter Modelle“ und darauf, dass Künstler auch nachträglich für die Nutzung ihrer Werke entlohnt werden. Er fände es gut, wenn Künstler beispielsweise etwas von den Abo-Zahlungen an Midjourney erhielten oder es einen Weg gäbe, direkt Royalties an Künstler auszuzahlen, deren Werke auf irgendeine Weise in den eigenen Kreationen verwendet werden.

 

Allerdings hält es keiner meiner Gesprächspartner für sinnvoll, die ethisch belasteten KI-Modelle nicht mehr für ihre Arbeit zu nutzen. Denn das bringe weder den bestohlenen Künstlern noch den KI-Künstlern etwas. „Es bringt nichts, den Maler zu bestrafen, wenn der Hersteller des Pinsels einen Fehler gemacht hat“, argumentiert Toshi.


Die Trainingsdaten werden dabei nicht eins zu eins in den Modellen gespeichert, auch wenn sich manche Bilder oder Szenen mit dem richtigen Prompt erschreckend gut rekonstruieren lassen. Stattdessen werden sie in statistische Muster und Gewichtungen zerlegt. So können die erlernten Konzepte wie Figuren, Objekte, Orte, Stile und andere Elemente neu arrangiert und zu neuen Werken verknüpft werden. Genau das tun AI Artists mit ihren Prompts. Sie nutzen einen existierenden visuellen Korpus, verschieben dessen Kontext und arrangieren ihn mit maschineller Hilfe neu, um ein neues, persönliches Werk zu erschaffen, das ihrer künstlerischen Autorenschaft zugeschrieben wird. Anders als bei Prince ist dieser Korpus jedoch kein singuläres Werk, sondern die kumulierte Bildproduktion ganzer Gesellschaften aus Jahrhunderten.

 

Wenn die Kunstwelt also akzeptiert, dass bei Duchamp der Akt der Auswahl und Kontextverschiebung genügt, um ein Industrieprodukt in Kunst zu verwandeln, und bei Prince minimale Eingriffe in fremde Fotos – oder der Akt der Kopie selbst – zu ikonischen Werken genügen, dann ist es schwer zu begründen, warum AI Artists und ihre Werke strengere Maßstäbe erfüllen müssen. Zumal viele von ihnen – anders als Duchamp – weit über den bloßen Definitionsakt hinausgehen, zahlreiche Iterationen generieren und Kompositionsarbeit sowie Bearbeitungsschritte investieren. Es scheint daher so, als hänge die Absprache des Kunststatus weniger mit einem konsistenten Kunstbegriff zusammen, den es zu schützen gilt, als vielmehr mit einer Abwehrhaltung gegenüber Technologie und deren realen sowie angenommenen Implikationen für Kunst, Kultur und Gesellschaft.

 

Eine Sache des Gefühls

 

Einige KI-Kunst-Kritiker sprechen durchaus offen an, dass sich ihre Kritik und Vorbehalte nicht nur an rationalen und quantifizierbaren Kriterien entzünden. Sondern dass hierbei auch diffuse Gefühle eine Rolle spielen. So sagt beispielsweise der renommierte Filmemacher und Medienkritiker Thomas Flight in einem YouTube-Essay, ihn überkomme „ein merkwürdiges Gefühl“, wenn er KI-generierte Bilder oder Videos sähe. „Ich habe das Gefühl, dass mit diesen Bildern etwas nicht stimmt“, sagt er. „Für mich hat das Ganze etwas von einer spürbaren Leere. Auch wenn das eine oder andere Bild, das mit einer KI erzeugt wurde, meine Aufmerksamkeit erregt, zieht es mich nicht mit der gleichen Neugierde an, wie es bei einem menschlichen Kunstwerk der Fall ist.“


Kunst ist das nicht aber wohl auch kein slop, sondern eine passable Illustration. Oder?
Kunst ist das nicht aber wohl auch kein slop, sondern eine passable Illustration. Oder?

Tatsächlich lässt sich dieses Bauchgefühl nicht so einfach abtun, es ist aber wohl auch ambivalenter als gedacht. Vor drei Jahren zeigten mehrere Experimente, dass es für Menschen mit zunehmend besseren KI-Modellen zwar schwieriger, aber nicht gleich unmöglich wird, KI-generierte Werke von menschgemachten zu unterscheiden. Eine im Januar 2025 publizierte Studie der Western Sydney University untermauerte diese Befunde. In einem einfachen Versuch, bei dem die Probanden entscheiden sollten, welches der beiden Bilder von einer KI stammt, lag die Trefferquote bei signifikant über 50 Prozent. Dies scheint auf einen zumindest subtilen und unbewusst wahrgenommenen Unterschied hinzuweisen. Gleichzeitig wählten die Probanden in einem parallelen „Welches Bild gefällt euch besser?“-Test, bei dem zwei Bilder unkommentiert präsentiert wurden, die KI-Bilder mit ebenso klar über 50 Prozent als die angenehmeren und hübscheren aus. Mit anderen Worten: Unser Bauch – oder zumindest der Bauch einiger Menschen – signalisiert, dass mit einem Bild „etwas nicht stimmt“. Aber unser Auge und unser Geschmack votieren keineswegs konsequent gegen KI-Werke.

 

Auch die KI-Künstler, mit denen ich gesprochen habe, sehen das Bauchgefühl als validen Faktor und berechtigte Kritik an. Sie beziehen sich dabei jedoch nicht auf die KI-Kunst als Gesamtwerk, sondern auf die jeweiligen Werke und den Einsatz des jeweiligen Künstlers. „Ich habe KI-Ergebnisse weggeworfen, die technisch perfekt aussahen, sich aber leer anfühlten“, sagt DSProject beispielsweise. Es komme durchaus vor, dass er mit einem KI-Bild als Basis arbeite, dieses sich aber einfach nicht mit seinen Intentionen und seiner Zielsetzung harmonisieren lasse – weshalb er es dann aufgeben müsse.

 

Auch Toshi meint, er habe immer wieder eigentlich perfekte Bilder in die Tonne getreten. „Meine Seele wird nicht durch die Maschine in ein Bild eingehaucht“, sagt er. „Das mache ich, indem ich entscheide, was in dem Bild lebt und was stirbt.“ Wie bei jedem Kunstwerk brauche es laut Toshi sowohl Willen als auch Können, um einen wiedererkennbaren Look und Szenen zu schaffen, die ein Gefühl und eine Perspektive transportieren und eine Verbindung zum Künstler aufbauen lassen. KI-Künstler wie er, die die Kunst ernst nehmen, würden hierbei ebenso ringen und kämpfen wie andere Künstler auch. Selbst wenn dies viele nicht anerkennen oder wahrhaben wollen. 


Synthetic Soul ist hingegen überzeugt, dass diese Leere, die manche in KI-Werken sehen oder spüren, absolut nichts mit der Künstlichen Intelligenz als Werkzeug oder Technologie zu tun hat. Denn auch ein Foto oder ein Gemälde könne leer sein, wenn es außer einer Foto- oder Maltechnik nichts transportiere oder zu sagen habe. „Leere ist ein Problem der Intention, nicht des Werkzeugs“, betont er. „Wenn das Werk eine Stimme, Kontinuität und etwas zu sagen hat, fühlt es sich nicht leer an.“ Die KI könne die Persönlichkeit eines Künstlers nicht übermalen oder auslöschen, wenn diese vokal und ehrlich ist. Sie würde ein Werk durchdringen, egal wie und mit was es geschaffen wurde. Gleichzeitig sei KI aber auch keine Magie, die jemandem eine Stimme verleihen kann, der nichts zu sagen hat.

 

Art und Artifice

 

Im Jahr 2015 veröffentlichte der Kulturphilosoph und Kunstkritiker JF Martel sein Buch Reclaiming Art in the Age of Artifice. Darin entwirft er eine Unterscheidung zwischen echter Kunst und Kunst, die nur so aussieht – quasi Kunst, die Kunst simuliert: Content und Werbekultur. Beispielsweise ein Landschaftsfoto von Ansel Adams und ein Foto für eine Werbeanzeige einer Tourismusagentur, ein Banksy-Graffiti und ein Graffito in einem Skater-Laden, das ein lokaler Sprayer gegen Geld kreiert hat oder eine Melodie von Mozart und eingängiger Werbejingle. All diese Werke sind Kreativarbeit, aber jeweils eines ist durch den Wunsch nach Ausdruck, Verwirklichung und Individualität gekennzeichnet, während das andere ein unmotiviertes und formelhaftes Zweckwerk ohne echte Tiefe und Bedeutung ist.


Donald Trump beim Kochen? Solche schnell generierten und auf den zweiten Blick leicht erkennbaren KI-Bilder sollen aufregen, Emotionen wecken ... das ist slop.
Donald Trump beim Kochen? Solche schnell generierten und auf den zweiten Blick leicht erkennbaren KI-Bilder sollen aufregen, Emotionen wecken ... das ist slop.

 

In seinem YouTube-Essay argumentiert Thomas Flight, dass diese Differenzierung von Martell auch auf KI-Kunst und echte Kunst angewendet werden kann. Denn KI-Kunst sei, wie er sagt, eben „Content ohne echte Substanz“. Das sei an sich keine pauschale Abwertung, wie er betont. Es handele sich jedoch um Material, das die Muster von Kunst nachahme, aber nicht fassen könne. KI-Kunst könne keine authentischen Gefühle, keine Persönlichkeit und keine Geschichte transportieren. Doch das stimmt so pauschal nicht, sagen AI Artists. KI-Kunst könne das. Vorausgesetzt, sie werde als Kunst geschaffen. Zum Beispiel wenn Künstler KI-generierte Bilder und Videos als Basis nutzen, um darauf aufzubauen und sie in einzelnen Schritten mit ihrer Persönlichkeit zu versehen, ähnlich wie bei einer Collage aus Versatzstücken von Zeitungs- und Magazinausschnitten, die zu einem individuellen Werk zusammengesetzt werden.

 

Genau deshalb lässt sich die Martell-Differenzierung in Bezug auf AI Art anwenden, nur eben nicht so pauschal, wie es Thomas Flight tut. Mittels Künstlicher Intelligenz generierte Illustrationen in Magazinen, auf Werbeanzeigen, unzähligen X-, Instagram-, Tumblr- und Threads-Beiträgen oder auch der viel gescholtene KI-generierte Weihnachtswerbespot von Coca-Cola: Für puren slop ist in diese wohl bereits zu viel Überlegung, zu viel Ambition und „Ich dreh noch mal an diesem Prompt“ geflossen. Kunst ist es aber auch nicht – wohl nicht einmal für die Ersteller. Aber Artifice – Gebrauchskunst –, die eher schnell und für einen kommerziellen Zweck erzeugt wird? Diese Beschreibung passt. Klar, die Differenzierung in slop, Artifice und Art mag nicht ideal sein, aber dient durchaus als gute Leitlinie.

 

AI Art wird bleiben

 

Unabhängig davon, ob man sich auf gemeinsame Definitionen einigen kann oder nicht, ist die Ablehnung von KI-generierten Inhalten massiv und wird wohl noch zunehmen. Nicht ohne Grund, wie auch KI-Enthusiasten eingestehen. Wie mir der Schweizer Konzeptkünstler im Gespräch sagte, sei die AI Art Community – oder jene, die sich gerne dazu rechnen – durchaus selbst mit Schuld. Die pure Menge an KI-generierten Inhalten sei verstörend, würde echte Inhalte von Menschen zunehmend auf den Social Networks verdrängen, das störe ihn selbst. Außerdem gebe es unglaublich viele Menschen, „die ihre mit Midjourney, ChatGPT oder ähnlichen Tools generierten Bilder einfach auf Instagram, Reddit, X und anderen Plattformen veröffentlichen und dann behaupten: Hey, das ist Kunst! Natürlich fühlen sich da viele Maler, Fotografen und Grafiker auf den Schlips getreten.“


Der Autor des Artikels kreiert vor allem von Kinofilmen inspirierte, oft düstere Szenen.
Der Autor des Artikels kreiert vor allem von Kinofilmen inspirierte, oft düstere Szenen.

 

„Das habe ich am Anfang auch so empfunden“, sagt der AI Artist Toshi. „Du siehst plötzlich, dass jemand etwas erschaffen kann, wofür du jahrelang gelernt und gearbeitet hast. Das ist nur menschlich.“ Und das ist nichts Neues, wie andere AI Artists argumentieren, die ich für diesen Artikel befragt habe. In den 1990er Jahren fühlten sich beispielsweise viele Analogfotografen und Fotostudios durch die digitale Fotografie bedroht, da sie es immer mehr Menschen ermöglichte, Fotos zu machen, ohne diese teuer entwickeln lassen zu müssen. Zuvor gab es ähnliche Skepsis und sogar Hass gegenüber der Fotografie selbst.

 

„Als Kameras auftauchten, wurde es Menschen möglich, einen Moment mit einem Druck auf den Auslöser festzuhalten“, sagt Synthetic Soul. „Maler hatten hingegen zuvor über Hunderte von Jahren hinweg sorgfältig Momente auf eine Leinwand übertragen. Wie konnte da das Drücken eines Auslösers zu Kunst werden?“ Tatsächlich gab es hitzige Debatten, Streits und sogar Proteste gegen die Fotografie und das, was sie bewirken könnte: Das Aussterben der Malerei, die Trivialisierung von Bildern und die Degradierung der bildenden Kunst allgemein. Fotografen und diejenigen, die sich für diese Technologie starkmachten, wurden verspottet und verhöhnt. So bezeichnete der französische Schriftsteller Charles Baudelaire die Fotografie in den 1850er Jahren als „die Zuflucht aller gescheiterten Maler, der Unbegabten und der Faulen“.

 

Einige sehen die Skepsis und Wut gegenüber der KI-Kunst jedoch als Reflexion des Gesamtphänomens Künstliche Intelligenz. Die sei nicht unbegründet. Denn die rasante Entwicklung von KI ginge mit Vor- und Nachteilen einher, die beobachtet und zum Teil bekämpft werden müssten. Dazu gehören die zunehmende Macht von Technologiekonzernen, Fragen nach Umweltbelastung und Regierungsführung, die Integration von KI-Modellen in kritische gesellschaftliche Systeme und deren zunehmender Einfluss auf das Leben und Arbeiten der Menschen. Es ist auch die Aufgabe von Künstlern und AI Artists, diese Umwälzungen und Entwicklungen zu verfolgen und mit ihrer Arbeit zu hinterfragen.

 

„Es ist ein mächtiges Werkzeug“, sagt Dika Karan. Wie viele andere Werkzeuge könne es auf verschiedenste Weise eingesetzt werden. Das könne einerseits Angst machen, andererseits aber auch Neugier wecken. „Die KI steht noch ganz am Anfang. Wir haben noch nicht einmal fünf Prozent dessen erforscht, was aus diesem Medium werden wird. Wir leben im Übergang, inmitten eines kreativen Wandels, wie er vielleicht nur einmal pro Generation stattfindet. Er ist chaotisch, kontrovers, schön und aufregend – und wir können ihn aus der ersten Reihe miterleben.“ Ob wir KI-Kunst nun Kunst nennen oder nicht, wird diesen Wandel nicht aufhalten. Aber es kann entscheiden, ob wir ihn gestalten oder nur von außen dabei zusehen.

Michael Förtsch

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